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Jan Volker Röhnert: Wolkenformeln

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Tom Schulz


VOR BALKONE TRAGEN WELLEN DEN GEGLÜCKTEN TAG
Jan Volker Röhnerts Gedichtband „Wolkenformeln“ in der „Edition Faust“



Wer einen Gedichtband aufschlägt, mag sich manchmal fragen, gibt es einen Anfang und ein Ende, ein poetisches Treiben und Geschehen, das auf der letzten Seite den Leser glücklich zurück und wieder an den Anfang gelangen lässt? Denn an den Anfang zu gelangen, wo nichts erklärt und versprochen werden muss, wo Anmut und Schönheit keine leeren Phrasen und Sprachhülsen sind, wo Rhythmus und Klang für sich wirken können, wo die Idee zur Musik wird und der Vers ungebunden spricht, wäre dies nicht ein idealer Ort für die Kunst?

So oder so ähnlich ergeht es einem nach der Lektüre von Jan Volker Röhnerts Gedichtband „Wolkenformeln“. Für einen Augenblick sieht man die Welt anders, beglückt, und wünscht sich, dass dies nicht aufhören möge. Oder wie es der Dichter sagt: „Ich habe die Landschaft,/ein stilles Glück,/beide Beine im Gras,/Rohrweihe Kiebitz Kormoran auf dem See./Die Schwalben bauen an Nestern,/ein halbes Leben sesshaft,/ein halbes Leben unterwegs - /ein Leben lang in der Luft.“

Indes Röhnert ist kein Idylliker, jedoch ein Impressionist der Innerlichkeit. Gleichzeitig sucht er die äußere Welt und durchstreift sie als Reisender. Wie ein Flaneur spaziert und wandert er durch Landschaften und Städte, die Refugien sein könnten.

Freilich sind es erschütterungsfähige, fragile Gebilde, die ihn, den Dichter, wie in dem Gedicht  „Genua“ in die Poetik der Frage führen: „Wie könnte der Raum derselbe geblieben sein?/Jeder der hindurch geht, verändert ihn.“ Die Suche nach einem Süden, nach dem Mittelmeerischen, hat eine lange Tradition, in die sich Röhnert einreiht, wenn er das Licht und die Farben, die Umrisse der Schatten und die Skalen, die Töne und auch die „Sonnenquartette“ bedichtet, die einst Haydn in eine höfische Welt setzte. Es sind die helleren, wärmeren Farben auf der Palette, die es Jan Röhnert angetan haben. Man mag sich Monet vorstellen, wie er ein Kornblumenfeld ins Bild setzt, so sprießen in diesen Versen die Farben licht und leicht: „Sie tragen die Boote hinaus /und mit ihnen das Licht, in dem wir den Tag überstehen.“ heißt es in „Fuga“ und endet: „Diese konzentrischen Ringe, in die wir eintreten,/sind eine laufende Vermählung,/von der wir nichts wissen, bleib auf der Hut,/ wie du willst – wenn wir sie streifen,/treibt uns die Sonne in Anmut, Betörung, Liebe zurück.“

Immer wieder findet sich die Anrufung an die Sonne, den Tag-Stern, und das Licht als Lebenselixier. Das Licht einer südlichen Landschaft, gleißend vor Helle und ägäischer Transparenz. Dabei reichen die Referenzflächen und Traditionslinien, die Jan Röhnert berührt, von der Moderne zu den französischen Dichtern des neunzehnten Jahrhunderts bis hinein in die Klassik. So lässt er gleich im ersten Gedicht „Landschaft“ den Leser wissen: „Ich will, um mit meinen Liedern abzuheben,/unter freiem Himmel wie die Astrologen leben,/und den Bildern, angespornt von Wind,/folgen an den Tagen, die aus Sonne sind.“ War wirkliche Dichtung jemals frei von wahrhaftigem Pathos? Röhnert scheut sich nicht etwas aufzurufen, das in uns verborgen liegt: die Tage der Kindheit und die Sehnsucht nach einer anderen Welt, vielleicht sogar nach einem Fantasie-Reich. Um an die weniger belichteten Stellen der eigenen Geschichte zu treten und zu reflektieren, dass die Erinnerung ein „unscharfes Sommerbild“ ist. Dem Akt des Erinnerns wird das Positive zugeschrieben: Was immer wir im Spiegel erkennen, der Blick ist unvermeidlich - und was immer wir sehen, es zeigt unser wirkliches Bild.

In den Texten des 1976 im ostdeutschen Thüringen geborenen Autors verbindet sich eindrucksvoll die sinnliche Wahrnehmung von Dingen mit einem fotografischen Gedächtnis, dabei entstehen Rückblenden und Bildwelten, die Vergangenheit und Gegenwart miteinander verbinden. So auch in den Liebesgedichten, getragen von dem, was Roland Barthes „den Liebeswahnsinn“ nannte:  „Wo ich dich träumte, der Ort/ist nicht wo ich dich sah,/nicht wo du dein Kleid/von den Hüften streifst/der Traum noch einmal beginnt.“ Das Glück, das wir vermeintlich erfahren, entspricht dem Wunsch, schweben zu können. Und doch wissen wir, dass die Flügel aus Federn und Wachs sind und sich, je näher wir der Sonne kommen, aufzulösen beginnen.

„Ich setze ein Jahrhundert/auf das Wippen deines Beins,/ein Jahrtausend auf den Vogelflug.“ Besser und einleuchtender hat dies lange niemand mehr formuliert:
die Gunst des Augenblicks. Um nichts anderes geht es, um das Wissen von Sprache und Welt. Jan Röhnert ist dies mit seinen „Wolkenformeln“ auf beinah vollkommene Weise gelungen.



Jan Volker Röhnert: Wolkenformeln. Gedichte. Edition Faust, Frankfurt am Main, 2014. 160 Seiten. 19,00 Euro.

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