Jan Kuhlbrodt: Waterhouse - Celan
Rezensionen/Lesetipp > Rückschau
Jan Kuhlbrodt
Waterhouse – Celan
Im Genesisgelände
Wenn man Celan in einen künstlerischen Kontext stellen möchte, muss man den eigenen Blick weiten. Nicht nur über die enge der deutschen Sprache hinaus, sondern auch über die Grenzen der Gattung. Es gibt Parallelen im Werk bildender Künstler seiner Zeit und zuweilen Zusammenarbeit, aber auch die Übersetzungstätigkeit, an vorderster Stelle vielleicht Mandelstam und Shakespeare zu nennen, worauf wir im Zusammenhang mit Szondi zurückkommen werden.
Celan war mehrsprachig, was natürlich zuallererst an seiner mehrsprachigen Umgebung liegt. Diese Sprachenvielfalt in einigen Gebieten Osteuropas, von der zum Beispiel auch Canetti profitierte und berichtete, hat sich im Zuge des zweiten Weltkrieges und des national-sozialistischen Terrors und der anschließenden Neuordnung Europas aufgelöst, aber eben im Werk einiger Dichterinnen und Dichter hat sie Bestand. Stellvertretend sei an dieser Stelle noch einmal und dringend auf das Werk der Dichterin Debora Vogel verwiesen.
Und es waren gerade eben jüdische Dichterinnen und Dichter, die sich in verschiedenen Sprachen bewegten und so etwas wie Sprachbrücken bauten.
1998 veröffentlichte Peter Waterhouse im Verlag Urs Engeler den Band „Im Genesisgelände – Versuch über einige Gedichte von Paul Celan und Andrea Zanzotto“. Waterhouse spürt in den Textversuchen den Wortgebäuden Celans nach, sowohl hinsichtlich ihrer lexikalischen Herkunft, aber auch hinsichtlich manifester und möglicher Konnotationen. Er sieht klangliche Nähen in den Wörtern, aus denen letztlich auch inhaltliche Verschiebungen resultieren. Und er interessiert sich für Wortlisten, die Celan in seinen Notizen anlegte. So setzt er im zweiten Teil Texte des italienischen Dichters Andrea Zanzotto gegenüber, deren Sprachabstraktion auch über das nationalsprachlich Beschränkte hinausweist. Und natürlich braucht man Übersetzerinnen und Übersetzer, die uns zwischen den Sprachen vermitteln.
Vielleicht kann man sagen, dass Celan die deutsche Sprache benutzte, die ihm vorlag, mit den lokalen Besonderheiten des Deutschen, das von der jüdischen Bevölkerung in der Bukowina gesprochen wurde, und eines wird schnell klar, es unterscheidet sich in seinen Möglichkeiten radikal von jener deutschen Sprache, die Klemperer in der LTI* analysierte. Celans Deutsch lässt Verschiebungen zu und bleibt im Gegensatz zu dem von Klemperer beschriebenen verfestigten Militärstiefeldeutsch beweglich.
Und diese Beweglichkeit, diese Konnotationsfähigkeit und Konnotationsrührigkeit ist Gegenstand im Genesisgelände. Gerade der Titel des Buches macht deutlich, wie wichtig eine lebendige und bewegliche Sprache der Dichtkunst ist und, wie Dichtkunst selbst, die Lebendigkeit und Beweglichkeit erhalten kann. Und dass Sprache immer an Sprachen grenzt und ihre Grenze für den kleinen Grenzverkehr, aber auch den zeitlich großen, offenhalten kann und muss.
Ich glaube Waterhouse hat sich diesen Hintergrund internalisiert, wie man auch in seinem Kleistbuch sehen kann, das eben auch das Kleistdeutsch in einen größeren Kontext stellt. Allerdings schätzt er dabei die Bedeutung des einzelnen Wortes nicht minder gering:
„Auch andere Feinheiten berühren im Gedicht einander. Das oben nämlich, jenes bei dem Stern (es wird als milchige Perle bezeichnet), kommt herab in das unten, in den Schlamm, das unten eine Steindattel, verhält sich oder öffnet sich dem Gebläu gegenüber, (Gebläu – fast Gelb, Gelbläu – eine Doppelfarbe), also vielleicht dem Himmel und oben gegenüber.“
* Victor Klemperer: LTI (Lingua Tertii Imperii, Sprache des Dritten Reiches) – Notizbuch eines Philologen
Peter Waterhouse: Im Genesis-Gelände – Versuch über einige Gedichte von Paul Celan und Andrea Zanzotto. Basel (Verlag Urs Engeler Editor) 2001 (2. Auflage). 96 Seiten. 12,00 Euro.