Jan Kuhlbrodt: Kierkegaard
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Jan Kuhlbrodt
Kierkegaard
Auch
Bücher stapeln sich um mich, um die Krankheit, wenn ich die Krankheit bin, oder
die Krankheit ist ich.
»Falls
ein Mensch nicht im Besitz eines ewigen Bewusstseins wäre, falls allem nur eine
wild gärende Macht zugrunde läge, die sich in dunklen Leidenschaften windend.
Alles hervorbrächte, was es an Großem gibt und was es an Unbedeutendem gibt,
falls sich unter allem eine bodenlose Leere, niemals gesättigt, verberge, was
wäre das Leben dann anderes als Verzweiflung?«
Mit
diesem Satz beginnt Kierkegaard seine Lobrede auf Abraham, nachdem er ihn drei
Mal auf den Berg Moira hat gehen lassen. Er beschreibt also drei Mal ein und
denselben Gang;
Gott
schickte Abraham, dass er seinen Sohn Isaak opfere, auf diesen Berg. Er lobt
ihn dann, für sein Ansinnen, den göttlichen Befehl auszuführen und lässt ihn an
Stelle Isaaks aber eine Ziege opfern.
Das
ist im Übrigen nach Kierkegaard, und wahrscheinlich hat er Recht, der Moment,
das Abrahams Leben umschlägt von Jugend und Männlichkeit ins Alter. Und er
hätte, wenn Gott es gewollt hätte, auch seinen eigenen Sohn dafür geopfert. Wie
später der christliche Gott, von dem der jüdische hier noch nichts weiß.
Was
aber ist, wenn Gott einem das Gehen verweigert, einem die Kraft nimmt, sich
fortzubewegen? Wenn Gott einem nach und nach die Fähigkeit zu gehen, die er dem
Kind einmal schenkte, angedeihen ließ, als es sich an den Knien der Mutter,
einem Sessel oder einem Schrank hochgezogen hatte, und tapsig die ersten
Schritte unternahm, freihändig, die Hände wie ein antiker Mönch zum Gebet
erhoben, wieder wegnimmt, nicht mental natürlich, man ahnt noch, wie es sich
anfühlte. Man weiß noch, wie es geht, wie es ging, als man ging. Man kann sich
noch an das Gehen erinnern, das ging. Es wird ein theoretisches Gehen.
Ewige
Jugend? In Gedanken. Gehen in Gedanken, wie früher Denken im Gehen, was einen
stolpern machte. Stolpern die Gedanken jetzt.
Und
stirbt man dann notwendig jung? Wäre das der
Jim-Morrison-und-Jimmy-Hendrix-Effekt, der sich von den Lebensjahren gelöst
hat?
Oder
zieht man einfach nur in das Zimmer, dass die eigenen Kinder bewohnten, während
man selbst einen anderen kleineren Raum, eigentlich eine Abstellkammer mit
Büchern gefüllt hatte, bis man die Dinger einmal in der Woche einfach aus dem
Fenster geworfen hat, weil die Papiermülltonne dort stand, direkt unterm
Fenster. Ich konnte sie mit einem Stubenbesen öffnen. Der Deckel an die
Hauswand gelehnt. Mit Büchern füllte ich sie bis zum Rand und immer etwas
darüber hinaus, so dass der Deckel zwar nicht mehr schloss, aber den Inhalt
gegen einen leichten Regen abschirmen würde.
Wer nicht geht, der altert nicht.
»Nun
kehrten sie wieder heim, und Sara eilte ihnen entgegen; aber Isaak hatte den
Glauben verloren.«
Ja
sicher, nichts anderes als Verzweiflung. Das muss man schon aushalten, dass man
am Leben notwendig verzweifelt.
In Jan Kuhlbrodt: Krüppelpassion oder Vom Gehen. Berlin (Gans Verlag, Gegenwarten Band 4) 2023. 240 Seiten. 30,00 Euro.