Jan Kuhlbrodt: Einübung der Freiheit
Diskurs/Kommentare > Diskurse
Jan Kuhlbrodt
Einübung der Freiheit
Eine Ratlosigkeit
„Man will von einer Freiheit geliebt werden und verlangt, daß diese Freiheit als Freiheit nicht mehr frei sei, daß diese Freiheit durch sich selbst gefangengenommen wird, daß sie, wie im Wahn, wie im Traum, ihre eigene Gefangenschaft will.“ J.P Sartre
Wenn wir beginnen über Freiheit zu sprechen, beginnen wir zugleich im Nebel zu stochern, warum also nicht da, wo er am dichtesten ist, wir meinen die Sphäre des subjektiven Idealismus, meinen Fichte und Schelling, nicht natürlich, um den Nebel an dieser Stelle zu lichten, das mögen die Kollegen der Akademie erledigen. Aber ist es nicht so, dass gerade das momentan Unverständliche die meiste Attraktivität besitzt und die Gedanken in Bewegung versetzt, während der zugängliche Text zu nichts anderem drängt als zum Referat, und damit zu seiner Verfestigung. Wenn wir aber über Freiheit nachdenken wollen, braucht der Gedanke eine gewisse Beweglichkeit, um nicht zu sagen, Freiheit.
Und wenn wir Schelling richtig verstanden haben, den Schelling des Systems des transzendentalen Idealismus, dann ist das ICH etwas, das ins Unendliche drängt, sich aber selbst begrenzt, also die Tür ist, durch die es selber geht. Wir wollen uns aber nicht über Schelling lustig machen, wollen unsere Verständnislosigkeit nicht hinter einem Witz verstecken. Das ICH ist seine eigene Grenze. Und es braucht sich als Grenze, um sich selber anschaulich zu werden, mithin zum Sein für Andere und somit auch zum Selbstsein.
Man sollte, denke ich, wenn man über Freiheit sprechen will, zuerst über ihre Begrenztheit sprechen, und es muss die Frage erlaubt sein, ob die Freiheit nicht genau diese ihre eigene Begrenztheit ist. Wenn Freiheit zum Beispiel da aufhört, wo die Freiheit des Anderen beginnt. Vielleicht spricht Schelling ja, wenn er vom Ich spricht, von diesem einen Aspekt, der Freiheit des Ichs, und verhält sich damit komplementär zur Foucaultschen Sorge um ein Selbst.
Ist Freiheit also nur ein Akt der freiwilligen Selbstbeschränkung? Das hieße wohl, dass ich nur dann frei bin, wenn ich mir selbst Zwang zufüge, wenn das ICH sich unterwirft unter das Selbst, einer Überzeugung unterordnet, die es hervorgebracht hat, wobei die Hervorbringung ein Nachvollzug ist, es sich also um übernommene Überzeugungen handelt, die es nachvollzieht. Ist Freiheit also nur etwas, das den Zwang vorwegnimmt, um ihn zu mildern?
Philosoph und Philosophin sind verwirrte AnarchistInnen, ihre Theorien sind gleichzeitig philosophisch und politisch, weil sie immer zugleich eine Handlungsethik formulieren. Dem müssen wir uns stellen, ob wir wollen oder nicht. Aber wo ist dann die Freiheit? Wie unterscheidet sie sich von Willkür, wenn das ICH an sich ins Unendliche drängt. Wäre diese Grenze die einzig mögliche Existenzform, und Selbstbeschränkung die einzig mögliche Freiheit. Wenn das Ich als Tür sich selber zuschlägt, ist es gleichzeitig innen und außen. Gefangen und frei.
Es gibt eine Erzählung von Cortazar, in welcher der Icherzähler vor einem Terrarium steht und Olme beobachtet. Unmerklich ändert sich im Fortgang des Textes die Perspektive und am Ende ist es ein Olm, der den Betrachter aus dem Inneren des Terrariums heraus anschaut. Ist Freiheit eine Frage der Perspektive? Und wer ist frei? Der Beobachter?
Was wäre dann aber, wenn das ICH sich in einem Akt vorauseilenden Gehorsams kleiner macht, als die „objektiven“ Begrenzungen es verlangen. „Ich bin niemand.“ Der erste Akt des zivilisierten Subjekts und nach der Kritischen Theorie der erste Schritt zur Instrumentellen Vernunft. Sich selbst verleugnen, um die Freiheit zu erlangen, während man am Bauch eines Schafes hängt. Dem Voraus geht aber eine Tat, die zur Blendung des Zentauren führt. Nur die blinde Natur lässt sich derart betrügen. So etwa in der Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno.
Und Ernst Bloch? Ist Freiheit nicht ein fast mythisches Versprechen? Freiheit oder Tod. Entsteht der Gedanke an Freiheit nicht im Moment großer Bedrohung, im Moment da man sich einem überlegenen Feind konfrontiert sieht? Das Freiheitslied ist ja schon eine eigene Gattung und immer ein Gefangenenchoral. Ist der Gedanke an Freiheit ein Resultat knechtigen Bewusstseins?
Ist Freiheit ein dem Menschen innewohnendes Vermögen oder ist sie herstellbar? Ist Freiheit ein räumliches Phänomen, also das, was um Gefängnismauern herum existiert, also die Unendlichkeit, in der der Mensch gewissermaßen kleine Inseln der Unfreiheit errichtet hat, sei es zum Zwecke der Strafe oder der Zwangsarbeit.
Ist Freiheit, wie Marx formulierte, nicht zuletzt eine Sphäre jenseits von Fron und Lohnarbeit und nur als freie Tätigkeit zu denken?
Ist der Gedanke an Freiheit ein freier Gedanke, oder wie wir befürchten ein Anhängsel des Zwangs, der Beschränkung von Freiheit. Was bringt oder zwingt uns dazu, über Freiheit zu reden?
Begriffspaare - Körper und Freiheit
Die Peripatetiker, ist überliefert, legten alle Kleidung ab, bevor sie debattierend oder denkend ihre Wandelgänge vollzogen. Ob sie nicht wenigstens einen Lendenschurz trugen um das sonst frei schwingende Gemächt? Nichts jedenfalls sollte ihnen die freie Ausbreitung ihrer Gedanken behindern, zumindest kein Kleidungsstück. Den Körper selbst nahm man wohl hin als notwendiges Übel. Aber wenn er beengt war, war auch der Gedanke beengt. Vollkommene Freiheit des Gedankens erlangte man also nur in jenen Momenten, da man den Körper nicht spürte. Und es ist der Gedanke, an dem Freiheit sich fest macht. Der Träger des Gedankens wäre also ideal als Wachkomapatient zu betrachten. Einzig am Flackern der Augen sieht man, dass die Maschine in Betrieb ist. Ein Zeichen für Außenstehende, den Denkenden jetzt nicht anzusprechen.
Es ist mir bekannt, ob das Sprichwort, welches besagt, dass in einem gesunden Körper auch ein gesunder Geist wohne, schon in Griechenland dazu benutzt wurde, die Kinder zu körperlicher Betätigung zu bewegen. Der Gedanke war sicher da und auch der gegenteilige, wenn auch nicht zum geflügelten Wort geronnen, und man muss nur die Plakate zu Riefenstahl-Filmen betrachten, um zu sehen, dass sich in den letzten dreitausend Jahren nicht viel geändert hat.
Man könnte mutmaßen, dass Freiheit den Griechen Freiheit von körperlicher Beschränkung war. Der Körper störte sie nicht, so lang er sich nicht bemerkbar macht. Und wenn man ins Alter kam, träumte man sich, wie von Sokrates überliefert, in einen körperlosen Zustand. Der Überphilosoph sehnte den Tod wohl geradezu herbei, dass er sich vor versammelter Mannschaft den Schierlingsbecher schmecken ließ. Ein Verhalten, dass man heutzutage psychotisch nennen würde. Der Selbstmordattentäter mit philosophischer Botschaft und als sein einziges Opfer.
Ist der Tod also die einzige Möglichkeit, Freiheit zu erlangen? Alltagskommentare vor allem von jungen gesunden Menschen legen das nahe. “Eh ich mich nicht mehr regen kann, bring ich mich um.“ Solcherlei Geschwätz hört man jedenfalls aller Orten und am Zeitungsladen wird nicht nur praline bzw. SUPERillu verkauft, sondern auch der Vordruck einer Patientenverfügung.
Dass Sokrates, der hässlich gewesen sein soll und in bildlichen Darstellungen eher wirkt wie ein gealterter Trinker, wie ein Mann also, dessen Antlitz sich jenseits von hässlich und schön bewegt, dessen körperlicher Verfall nicht mehr aufzuhalten ist, der diesem aber mit einer Spur von Humor in den Augen begegnet, dass dieser Sokrates einer war, dem man zugehört und geglaubt hat, war Nietzsche ein Rätsel, denn es sei Hässlichkeit den Griechen doch schon eine Art Wiederlegung gewesen. In der griechischen Welt, die ja eine Welt des kultivierten Rassismus und Sexismus war, muss Sokrates ein Fremdkörper im wahrsten Sinne des Wortes gewesen sein. Und gerade daraus, so scheint es, zog er Macht, Freiheit und Autorität.
Freiheit mag auch nach biblischer Überlegung die vollkommene Dominanz des Geistes über den Körper bedeuten. Bei Agamben (Das Tier / Das Offene) lesen wir, und sind nur einen Moment lang verwundert, dass man sich im Mittelalter den Penis Adams als vom Gehirn steuerbaren Muskel gedacht habe, ähnlich handzuhaben wie die Hand selbst. Mit dem Sündenfall habe der Mensch (Mann) diese Fähigkeit eingebüßt, und nicht nur, dass er sich von nun an durch schweißtreibende körperliche Arbeit ernähren musste, es kam noch die körperliche Begierde über ihn wie eine Naturkatastrophe.
Wenn Freiheit Willkür ist, ist sie durch den Willen begrenzt. Wodurch aber begrenzt sich der Wille, ist seine Grenze, die Endlichkeit des Vermögens? Ist seine Grenze, zumindest die Grenze seiner Freiheit, der Kategorische Imperativ? Ist Freiheit ein körperliches Vermögen oder ein geistiges? Wie verhält sich körperliche Einschränkung zu Freiheit, damit verbunden, definiert etwa das körperliche Vermögen den Freiheitsrahmen? Bin ich als durch Erkrankung körperlich Eingeschränkter anders frei als ein Gesunder, oder bin ich wie ein Gesunder zur Freiheit verdammt?