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Hendrik Jackson: sein gelassen

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Jan Kuhlbrodt

Dialektik und Trost


Eine Annäherung zu Hendrik Jacksons Buch sein gelassen.


Vielleicht ist die Gelassenheit im Dasein der höchste Anspruch der antiken Philosophie. Und nicht nur der Philosophie. Die Suche nach Erkenntnis soll, wenn man so will, zum gelassenen Umgang mit den Dingen, ihrem Sein, und somit auch dem Eigenen, mit sich selbst also, führen. Wissen denkt sich als Bannen einer Gefahr. Und doch steht dem Wissen kein Ende zu, weil allem ein Ende droht. Unausweichlich.  

Das Sterben naher oder bekannter Personen führt uns auch unser eigenes Sterben vor Augen. Vielleicht ist damit auch die sich überschlagende Aufregung in den sozialen Netzwerken zu erklären, die angesichts des Hinscheidens von Popgrößen jedes Mal aufflammt. Wir wollen das eigene Ende bannen. Aber wir wissen!

Das Buch, um das es hier geht, das ein Bannbuch ist und in dieser Hinsicht besser funktioniert als jede herausgepresste Kunstträne, ist von Andreas Töpfer gestaltet. Und wie immer ist seine Gestaltung auch inhaltliches Statement und Kommentar. Im vorliegenden Fall finden sich zum Beispiel keine geraden Seitenzahlen. An deren Stelle aber Spiegelungen der vorangehenden ungeraden Seitenzahl. Und dort, wo eigentlich eine 70 stehen würde, findet sich so eine gespiegelte 69. Mithin ein Zeichen für Unendlichkeit, aber auch für das Auffinden des einem im Anderen. Und auf eben jener Seite beginnt folgendes Zitat:

Wenn die abendländische Philosophie, wie Schestow polemisierte, vor allem Trost ist, Zuspruch der Vernunft zum Zwecke des Sichfügens ins Gegebene, also Affirmation des Lebens, skandalöser Sterblichkeit und Ausgesetztheit; und gesetzt dass auch die Literatur ganze Gehege von  Behaglichkeit ausbreitet, in denen sich Egozentriker in Posen und Affekten ergehen zur eigenen Wattierung; ...


Hier klingt die Bitterkeit eines von Jacksons Gewährsleuten, des jüdisch-russischen Philosophen und Polemikers Schestow durch, den zu lesen hier wärmstens empfohlen sei. Beide, Jackson und Schestow, setzen sich denkend einer Ausweglosigkeit aus. Jackson hat dabei Parmenides in der Hand, diesen vielleicht hellsten der Vorsokratiker.

Aber da eine letzte Grenze vorhanden, so ist das Seiende abgeschlossen nach allen Seiten hin, vergleichbar der Masse einer wohlgerundeten Kugel, von der Mitte nach allen Seiten hin gleich stark. Es darf ja nicht da und dort etwa größer oder schwächer sein. Denn da gibt es weder ein Nichts, das eine Vereinigung aufhöbe, noch kann ein Seiendes irgendwie hier mehr, dort weniger vorhanden sein als das Seiende, da es ganz unverletzlich ist. Denn der Mittelpunkt, wohin es von allen Seiten gleichweit ist, zielt gleichmäßig auf die Grenzen. So Parmenides.


Und Jackson:

ich wählte jedenfalls Parmenides nach dem Hörensagen, nach der Einbildung, die er mir verschaffte. sein Name allein. so füllte ich ein Bild, das ich selbst von ihm entworfen hatte, mit immer neuem Leben, mit Proben meiner Zukunft – und hielt mich daran fest. um dann dies Bild dem philologischen Parmenides anzunähern.


Diese Bewegung gleicht der, die Brecht als jene der Liebe seiner Figur des Herrn K in den Mund legt. Und wenn man bei Brecht so etwas wie eine philosophische Grundkonstante finden kann, dann ist es jene, die nach der Dialektik von Tod und Verschwinden fragt. Nach der Auslöschung und des Herstellens.

Dem Tod zu entgehen, scheint unmöglich. Im Grunde umgibt er das, was wir unser Leben oder emphatisch unsere Existenz zu nennen gewohnt sind, wie eine Schale. Die Sphäre des Lebendigen umkleidet der Tod. Dieser Gedanke entbehrt nicht einer gewissen Bedrückung. Man will, wenn man kann, dem Gedanken entfliehen, und ich sehe viele, vielleicht die meisten literarischen Texte, die ich kenne, in dieser Fluchtbewegung. In einer Bewegung, die weg will vom Unausweichlichen. Darin trainieren sie ihre Freiheit. Eine Freiheit, die wiederum beschränkt ist von, ja letztlich von ihrem physischen Ende, vom Tod des Subjekts, denen sie angehört.

Philosophie war immer auch ein Versuch, das Sterben zu bannen. Da kann sie sich noch so materialistisch geben, der Tod als ihr gegenüber ist ihr eingeschrieben, und eingeschrieben ist ihr auch das Anrennen gegen den Tod, das hilflose Zappeln, das zu seiner Überwindung führen soll. Und doch ist den meisten Philosophen immer klar, dass das Absolute nicht überwindbar ist. Ja, dieser Gedanke ist trostlos im Grunde, und doch, und das ist vielleicht der Kern der Dialektik: er tröstet. Zumindest mich tröstet er.

Dieses Buch wird mich begleiten, zumal es das klassische Westentaschenformat hat. Trostbücher liegen neben meiner Reisetasche. Hin und wieder ist für mich auf Grund einer lästigen Krankheit ein Klinikaufenthalt unerlässlich. Und neben Schestow und Pascal werde ich jetzt auch jedes Mal diesen Jackson in der Tasche haben.


Hendrik Jackson: sein gelassen. Aufzeichnungen. Berlin (kookbooks – Reihe Prosa) 2016. 157 Seiten. 19,90 Euro.

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