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Helm aus Phlox

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Jan Kuhlbrodt


Phlox



Ich bin kein Gärtner und beileibe kein Balkonpflanzenkenner, also musste ich Phlox nachschlagen. Es handelt sich um Flammenblumen aus der Familie der Sperrkrautgewächse. Allein für diese Worte bin ich den Autorinnen und Autoren des Buches dankbar. Ich packe sie in die Schachtel, zu den Sprossvokalen, die ich jüngst geschenkt bekam. Auf der Rückseite des Buches sind gewissermaßen als Klappentext Alternativtitel angegeben, die in ihrer Summe eine herrliche Wirrnis stiften, aber keine der Alternativen ist so treffend, wie der titelgebende florale Helm.

Jede deutsche Universität, die auf sich hält, hat inzwischen eine Poetikdozentur oder eine ähnliche Einrichtung, in der sie bekannte oder gar berühmte Schriftstellerinnen und Schriftsteller ausstellt, welche dann aus dem Gehege, das das Podium eines Hörsaals ist, bedeutsame, nachdenkliche oder fordernde Sätze ins Publikum entlassen.
Diese Vorlesungen (Leipzig leistet sich derart sogar im Rathaus) lassen das Publikum entsprechend gut unterhalten, belehrt oder gelangweilt zurück. Meist sind es Prosaautoren, die ausgestellt werden, und sie erzählen vom Zustandekommen ihres letzten Textes, oder des vorletzten, oder wie sie mit einem Lektor den Plan für ihr bekanntestes Buch ausheckten. Im besten Falle ist so etwas amüsant, aber es macht auch nix, wenn man es versäumt. Ausnahmen allerdings bestätigen die Regel und in diesen Ausnahmen scheint mir sogar eine neue Regel erkennbar.


Die Hauptausnahme für mich war wohl Jandls Frankfurter Vorlesung „Vom Öffnen und Schließen des Mundes“, die ich leider nur nachlesen konnte, aber auch Pastiors Vorlesung „Das Unding an sich“, die – Gott sei‘s gelobt – in meine Frankfurter Studienzeit fiel, war ein bis heute nachklingendes Fest. Wahrscheinlich ist es so, dass die Lyrik derzeit, vielleicht aber auch immer, ihre Autorinnen und Autoren zur Selbstreflexion oder die Reflexion auf ihre Verfahrensweisen bringt. Vielleicht versteht sie sich vor allem als technische Disziplin. (Allerdings stünde das der Prosa auch gut zu Gesicht, nur weil sie ihre Maschine zumeist hinter Konventionen versteckt, heißt das nicht, dass sie keine hat. Auch Prosa ist Technik, und vielleicht liegt ja ihre Krise, und meiner Meinung nach befindet sie sich in einer, an eben jener Technikvergessenheit. Prosaautoren scheinen sich aber lieber in Talkshows um Tagespolitik zu kümmern. Aber um diese Krise soll es hier nicht gehen.)

Die Lyrik im deutschsprachigen Raum, soweit ich diesen überblicke, hat sich in den letzten Jahren zu einer ungeheuren Vielfalt entwickelt, da bleibt es nicht aus, dass sich Schulen und Lager bilden, wobei sich die Schulen weit jenseits der staatlichen Institutionen konstituieren. Diese Vielfalt ist die Basis dafür, dass hin und wieder höchst inspirierende poetologische Statements produziert werden. Sie heizen die Freude am Denken an, nicht nur am Nachdenken über Lyrik, zumindest bei mir, inwieweit sie Einfluss haben auf meine eigene lyrische Produktion, kann ich nicht sagen, wahrscheinlich aber ist ein Einfluss vorhanden, aber indirekt, schon deshalb, weil die Lektüre Lust am Formulieren weckt, sei es auch nur Widerspruch, der formuliert werden will. Im vorliegenden Buch aber finden sich auch Sätze wie dieser, für die ich sehr dankbar bin, weil sie mir eine denkerische Abkürzung bieten, und somit auch den Raum für intellektuelle Umwege.

Die kühle Gelassenheit des Weisen lässt sich auf nichts ein, berührt nichts und entsprechend kann man mit ihr auch nichts anfangen. Fassadenkunst im Klassizismus, das leere Gefühl beim Lesen von Aphorismen, chinesischen Meistersprüchen, man geht hindurch wie durch ein Museum, ein aufgeräumtes Lager, eine aseptische Klinik.

Ganz anders in diesem Buch, hier wird Wissen nicht in starre Form gegossen, sondern fordert geradezu zum Widerspruch heraus. Allein der hier zitierte Satz ist in sich herrlich paradox, da er auf quasi aphoristische Weise gegen den Aphorismus anreitet.

Helm aus Phlox ist bereits 2011 im Merve Verlag erschienen und hat insgesamt fünf Autoren. Cotten, Falb, Jackson, Popp und Rinck. Allesamt Lyrikerinnen und Lyriker, in Berlin beheimatet, wenn man das so sagen darf, bis auf Cotten im Umfeld des Verlags Kookbooks.
Die Fünf haben in Vorbereitung des Buches ein Blog mit dem Namen STABIGABI betrieben (ein Name, der die Assoziationsräume weit öffnet), auf dem die eingestellten Beiträge anonymisiert wurden. Diese Anonymisierung wurde im Buch aufrechterhalten, was bei mir zunächst, aber nur für kurze Zeit ein recht kriminalistisches Verhalten auslöste, in dem ich versuchte, die Texte den Klarnamen der Autorinnen und Autoren zuzuordnen. Nur für kurze Zeit, weil die Qualität der Texte ein solches Spiel schnell überflüssig machte.

Das Buch versammelt also eine Anzahl poetologischer Texte die nach einem Schlagwortprinzip gruppiert sind. Theorien werden angedacht und entfaltet. Allerdings wurde auf eine lexikalische Ordnung verzichtet und leider hat das Buch auch kein Register. Mein derzeitiger Lieblingsartikel (derzeitig, weil sich das ändern kann und sicher auch ändern wird) ist mit Schlechteste Werkzeuge überschrieben und beginnt folgendermaßen:

Wenn Künstler sich mit Fachgebieten beschäftigen, wenden sich Experten ab. Ein Künstler als Gärtner, Schreiner, Sozialarbeiter oder Schriftsteller ist an sich so spektakulär wie der künstliche Fels im Zoo.

Die Anordnung der Texte ermöglicht aber ein Wanderschmökern, so wie ich es im Grunde am liebsten habe. Man geht gewissermaßen im Buch hin und her und erkennt Orte und Passagen wieder, denen man sich schon einmal aus einer anderen Richtung genähert hatte, dabei erhalten sie zuweilen eine andere Bedeutung.

Der Möglichkeit nach könnte alles, ein Programm für einen Sequenzroboter, eine Bohrinsel, der Klimawandel, das Tasten eines Aye-Aye, die Vegetation generell und der Ernährungsplan eines Sportlers als Gedicht bezeichnet werden. Die Metapher von allem als Gedicht entgeht der totalen Trivialität ihres Zutreffens nur durch Negation.

Der Gegenstand des Buches erlaubt und fordert ohnehin nur eine eingeschränkte Systematik. Eine heute formulierte Poetik hat im seltensten Fall eine Schreibanweisung zum Gegenstand, und wenn doch, macht sie sich in den Augen des selbstbewussten Lesers eher lächerlich.
In Helm aus Phlox hat der kollektive Autor in sich noch nicht einmal eine einheitliche Position. Allerdings scheint mir das auch kein Problem allein eines kollektiven Autors zu sein. Mir selbst bereitet es oft genug Probleme, allein mit mir in Einklang zu kommen. Man könnte von innerer Zerrissenheit sprechen, um modern zu sein. Aber wir finden uns in einer Zeit nach der Moderne, und zuweilen erfahre ich das Zerfasern eines Gegenstandes als beglückend und befreiend. Und so auch in diesem Buch. Dass darüber hinaus mit einer Reihe von klugen und witzigen Illustrationen aufwarten kann.
Einmal mehr, dass sich ein Buch des Merve Verlags zu einem für mich langjährigen Begleiter aufschwingt.


Ann Cotten, Daniel Falb, Hendrik Jackson, Steffen Popp, Monika Rinck: Helm aus Phlox. Zur Theorie des schlechtesten Werkzeugs. Berlin (Merve Verlag) 2011. 336 Seiten. 22,00 Euro.

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