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Hans Thill: Das Holz der Abgestorbenen

Gedichte > Gedichte der Woche



DAS HOLZ DER ABGESTORBENEN

1

Im Norden enden die Flüsse kniehoch zwischen Hütten.
Wenn der Tag hinter den Dächern verschwunden ist, rennen
die Kinder übers leichte Eis. Die Tiere atmen
das von den Pflanzen verschluckte Licht.

2
Das elterliche Holz jetzt im Gestrüpp des Monats
Quatember

3
Die Stadt liegt an den Flüssen wie ein Gott,
der die Fliegen anzieht. Die Insekten sind aus dem Raps
gefahren, haben die Fische berührt, jetzt fallen sie
auf die Städter, die aus den schwarzen
Fabriken kommen.

4
Der Kranke geht durchs Kaufhaus, einen Korken
zwischen den Zähnen. Erwachend neben
dem späten Bett, spreche ich mit den
Abgestorbenen,

5
die das Fleisch anbeten und das grüne Wasser des Himmels
unterm Makadam. Ich sage: Anderswo.
Die Frauen tragen Knochen an ihren Hälsen, bedeckt
mit Fellen gehen sie vorbei an  
Brücken und Baustellen.

6
Die Leitungen der Stadt singen für die Abgestorbenen,
die das Holz anbeten, weil es vom warmen Wind
mit sich trägt.

7
Die Frauen tragen den Windstoß unter ihren Röcken.
Die blinden Vögel bewachen das Haus. Ich,
ein Selbstgespräch, trinke vom Weiherwasser.

8
Ich habe den Schlüssel vergessen, das Kleingeld.
Im Haus steht die Luft still, die Tagzeiten
schweigen, eine Wiese nach der Mahd.
Im Sitzen gleiche ich dem Zimmer,
das mich nährt.

9
Meine Stimme aus Algen und Fleisch. Die schimmlige
Tapete aus Holz, Wörtern. Das späte Brot,
der gegessene Schnee.

10
Der Schreier zwischen Häusern hat Unrecht.
Er gleicht dem schwermütigen Apfel in den
Schnee- und Regenwäldern, er gleicht der Makrele
in den Freizonen. Errare Erasmus est. Das Tier
hat Unrecht, das Kind hat Unrecht.

11
Wer flüstert, lügt. Der Weiher soll heißen Sohn,
Dad, Sonne. Boote voll Milch und von Leuten
gingen übern großen Teich.

12
Die grünen Wellen tragen den Himmel, lassen
das Holz sinken


Hans Thill: Ratgeber für Zeugleute. Gedichte. Brueterich Press, Berlin/Reitenegg 2015.

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