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Håkan Sandell: Zwei Gedichte

Montags=Text
Foto: Dagfinn Hobæk
Håkan Sandell

Zwei Gedichte
aus dem Schwedischen von Klaus Anders


ES HÄTTE SO SCHÖN SEIN KÖNNEN, ZURÜCKZUKEHREN ZUR ERDE

Es hätte so schön sein können, zurückzukehren zur Erde,
sagte ich ganz leise, bereits tot in der Zukunft, im Limbus.
Abzutauchen durch die baumwollfaserigen Wolken
und durch den Himmel zu gleiten wie auf einer Schlittschuhbahn,
das gewaltige Meer wiederzusehen mit Inselparadiesen,
die paradiesisch sind just durch den Abstand, den
sie voneinander halten mit hochtürmenden Wogen.
Den Planeten aufsteigen sehen am Horizont eines Nichts,
so strahlend und blaugerundet, in Milde kreisend,
mit ehrfürchtigem Abstand im weiten Ring um die Sonne,
durch die Wipfel der Bäume sinken, durch ihr Grün,
und von oben ovale Eier sehen in Vogelnestern,
und zuletzt niedergehen auf ein Bett aus Moosen,
wenn nicht auf dichtgepackten Schneekristallen eines Autodachs,
Schnee, der die ganze Nacht fiel, oder auf dünnem Ahornlaub,
eine windige Woche zusammengepackt zur goldgelben Matte.
Niederzugehen längs der hohen, eleganten Kiefernstämme
in den Vorstädten, wo kurzgewachsene Kinderfrauen
von den Philippinen, aus Thailand, die den ganzen Tag
mit milchigem Arm einen kleinen Nacken stützen, soeben
von den Villen her eine Spur gelassen in unberührtem Schnee,
und nicht nur sie, denn plötzlich stehen
Rehe mit hart klopfenden Herzen in schweren
Körpern im bläulichen Licht von Scheinwerfern,
                erst die Mutter,                    dann das Kitz,
und das nicht einmal weit weg von einem Supermarkt
mit seinen langen Warenreihen, in denen jetzt Ruhe herrscht
kurz vor Ladenschluss, wenn schwer die Dämmerung fällt
und verdeckte Lautsprecher nur mehr eine Ernte ohne
Arbeit ahnen lassen, Musik bei Hofe, zugänglich für alle.



ICH LIEB DEN ÜBERGANG, DEN LEEREN RAND

   … alles gewöhnliche Licht verlischt dort unten …
                                                       Hegel


Ich lieb den Übergang, den leeren Rand, schüttere,
   fast nadelkahle Fichten, die Sterne abgenommen,
Neujahrsvorsätze vergessen. Nun liegt Januar,
   sicher angetreten, ohne überdimensionierte Ansprüche,
auf der eher sentimentalen Gemeinschaft,
   die Schneeschicht ruhend wie ein unbeschriebenes Blatt.
Vertäut in der Zukunft, nach Mitternacht, an der Nachtbar,
   wo noch andere am Panoramafenster saßen:

Still zählend vorbeiflashende Ambulanzen,
   blassblaue Jacken von passierenden Nachtwachen,
beim Schnee, der seine Grazie aufrechthält im sachten Fall,
   wo nach vorn gebeugt Figuren langsam gehen;
zart glitt die Nachtwolke hin auf einer regen Scheibe
   zur seltsamen Musik der Planetendrehung.
Ruinen, Fußnoten, Neubeginn, und Schneegestöber
   dämpft das Knirschen der Polarachsen,

ein namenloser Schnee auf den Trottoirsteinen.
   Gestern wurde der Friedhof wieder vandalisiert,
gestürzte Steine, Kreuz abgeschlagen in
   den Schneewehen wie ein Zeichen von Nichtigkeit.
Meine Tochter fragte vorsichtig, ich zauderte
   und wollte keinen negativen Satz formulieren über eine
so unbeschriebene Zeit, in welcher sie später leben muss,
   wollt nicht Schatten legen, wo schon Schatten liegen.

So lass die Leere Bedingung sein der Fülle,
   neu zugeteiltes Los von spielenden Planeten,
mit winterhohem Jupiter und versunkener Venus,
   deren gleiche Echos nachklingen in Einstimmigkeit.
Dein Blick so klar, und ich will nicht verstummen,
   da ich mich wortlos am Fenster über Hegel beuge,
wie nun bald alles gewöhnliche Licht verloschen ist,
   wenn Ibsen Antwort gab; "Licht kann einer vielen geben."


Die beiden Gedichte sind dem neuesten Band Sandells entnommen: Musiken av aldrig och ingenting, Lund 2019 (Die Musik von Nie und Nichts).

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