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Gustave Flaubert: Tod & Auferstehung

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Gustave Flaubert

Tod & Auferstehung

(in "Die Versuchung des heiligen Antonius", 5 - Auszug,
übersetzt von Hermann Lismann)


Der Archigallos fährt fort:
Sie liebt den Schall des Tympanon, das Stampfen der Füße, das Heulen der Wölfe, die hallenden Berge und die tiefen Schluchten, die Mandelblüte, die Granate und die grünen Feigen, den wirbelnden Tanz, die girrenden Flöten, den süßen Seim, die salzige Träne – und Blut!

Für dich, für dich! Mutter der Berge!

Sie peitschen sich mit ihren Geißeln und die Hiebe klatschen auf ihrer Brust. Das Fell der Tamburine schwingt zum Zerspringen. Sie nehmen ihre Messer und schlitzen sich die Arme auf.

Sie ist traurig; laßt uns auch traurig sein! Ihr zu Gefallen muß man leiden! Auf diese Weise werden euch eure Sünden erlassen. Das Blut wäscht alles rein; sprenget seine Tropfen aus wie Blumen! Sie verlangt nach dem eines andern – eines reinen!

Der Oberpriester erhebt sein Messer gegen den Hammel.

Antonius von Grauen erfaßt. Tötet nicht das Lamm!

Ein Purpurstrahl sprüht auf.

Der Priester besprengt damit die Menge; und alle, auch Antonius und Hilarion, stehen um den brennenden Baum und beobachten schweigend die letzten Zuckungen des Opfers.

Aus der Mitte der Priester tritt ein Weib, – ganz genau dem Bilde in dem Kästchen gleichend.

Sie bleibt stehen, da sie einen Jüngling mit einer phrygischen Mütze bemerkt. Seine Schenkel sind mit einer engen Hose bekleidet; diese ist an einzelnen Stellen in regelmäßigen Rauten geschlitzt, welche mit farbigen Schleifen zusammengefaßt sind. Er stützt sich mit dem Ellenbogen gegen einen der Äste des Baumes in schmachtender Stellung und hält eine Flöte in der Hand.

Cybele umschlingt seinen Leib mit beiden Armen. Um dich zu finden, durchstreifte ich alle Lande – und die Hungersnot verheerte die Gegenden. Du hast mich betrogen! Gleichviel, ich liebe dich! Wärme meinen Leib! Wir wollen uns vereinen!

Atys. Der Lenz kehrt nicht zurück, ewige Mutter! Trotz meiner Liebe ist es mir nicht möglich, dein Wesen zu durchdringen. Ich möchte mich mit einem farbigen Gewand bedecken, wie das deine! Ich beneide dich um deine milchstrotzenden Brüste, um die Länge deiner Haare, um deine breiten Hüften, aus denen die lebenden Wesen entspringen. Warum bin ich nicht du! Warum bin ich kein Weib? – Nein, niemals, geh!

Meine Mannheit ist mir ein Gräuel!

Mit einem scharfen Stein entmannt er sich, dann beginnt er rasend zu laufen, indem er sein abgeschnittenes Glied emporhebt.

Die Priester tun dasselbe, wie der Gott, die Gläubigen wie die Priester. Männer und Weiber vertauschen ihre Gewänder, umarmen sich; – und dieser Wirbel von bluttriefenden Fleischmaßen zieht in die Weite, während die Stimmen, immerfort hörbar, kreischender und gellender werden, gleich denen, die man vernimmt bei Leichenfeiern.
  
Oben auf einem großen mit Purpur bespanntem Katafalk steht ein Bett von Ebenholz, umgeben von Fackeln und Körben aus Silberflechtwerk, in welchen Lattich, Malven und Fenchel grünen. Auf den Stufen sitzen von oben bis unten Frauen, ganz in Schwarz gekleidet, mit gelöstem Gürtel und nackten Füßen; sie tragen große Blumensträuße mit schwermütigen Mienen.

Auf der Erde, an den Ecken des Aufbaues, rauchen Alabasterurnen, gefüllt mit Myrrhen.

Man unterscheidet auf dem Bette die Leiche eines Mannes. Er läßt den Arm hängen; ein Hund heult und leckt ihm die Nägel.

Die Fackeln stehen so enge gereiht, daß man sein Gesicht nicht sehen kann. Antonius wird von Angst erfaßt. Er befürchtet, jemand zu erkennen.

Das Schluchzen der Frauen verstummt, und nach einiger Zeit des Schweigens singen

Alle eintönig. Schön! Schön! Er ist schön! Genug geschlafen, erhebe das Haupt! Auf!

Rieche an unseren Sträußen! Es sind Narzissen und Anemonen, gepflückt in deinen Gärten, um dir zu gefallen. Belebe dich, du machst uns Angst!

Sprich! Wessen bedarfst du? Willst du Wein trinken? Willst du liegen in unseren Betten? Willst du von den Honigkuchen essen, welche die Form von kleinen Vögeln haben?

Wir wollen ihm die Flanken pressen, die Brust ihm küssen! Da! Fühlst du sie, unsere ringbeladenen Hände, wie sie über deinen Leib gleiten und unsere Lippen, die deinen Mund suchen und unsere Haare, die deine Schenkel fegen! Ohnmächtiger Gott, der du taub bist für unsere Bitten!

Sie schreien auf und zerfleischen sich das Gesicht mit den Nägeln, dann verstummen sie – und man hört immerfort das Heulen des Hundes.

Wehe, wehe! Das schwarze Blut fließt auf seinem schneeigen Fleische. Seht, wie seine Knie sich zusammenkrampfen, wie seine Rippen einsinken. Die Blüten seines Angesichts haben ihren Purpur ausgeträufelt. Er ist tot!

So laßt uns weinen und trauern.

Sie kommen alle der Reihe nach und legen ihr langes Haar – von ferne schwarzen und blonden Schlangen gleich – zwischen den Fackeln nieder; – und der Katafalk senkt sich sanft bis zum Boden einer dunklen Grabhöhle, welche hinter ihm gähnt. Da neigt sich

Ein Weib über die Leiche.

Ihre Haare, welche sie nicht abgeschnitten hat, umhüllen sie vom Kopf bis zu den Fersen.
Sie vergießt so viele Tränen, daß ihr Schmerz nicht von der Art sein kann, wie der der anderen, sondern übermenschlich, grenzenlos.

Antonius denkt an die Mutter Jesu.

Sie spricht:

Du entwichest dem Osten, und du nahmst mich, die ich ganz von Tau erzitterte, in deine Arme, o Sonne! Tauben flatterten über den Azur deines Mantels; unsere Küsse zeugten linde Lüfte im Laub, und ich gab mich deiner Liebe hin im wonnigen Genusse meiner Schwäche. Wehe, wehe! Warum wolltest du in die Berge schweifen?

In der Herbstnachtgleiche hat dich ein Eber verwundet.

Du bist tot, und die Brunnen weinen, die Bäume neigen sich. Der Winter pfeift durch das nackte Gesträuch.

Meine Augen werden sich schließen, da dich das Dunkel bedeckt. Nun weilst du auf der anderen Seite der Welt, bei meiner Nebenbuhlerin, die mächtiger ist als ich.

O Persephone! Alles Schöne steigt hinab zu dir und kehrt nimmer zurück.

Während sie sprach, haben ihre Gefährtinnen den Toten aufgenommen, um ihn in das Grab zu senken. Er bleibt ihnen in den Händen, es war nur eine Leiche aus Wachs.

Antonius empfindet darüber etwas wie eine Erleichterung.

Alles verschwindet; – und die Hütte, die Felsen, das Kreuz sind wieder da. Indes unterscheidet er auf der anderen Seite des Nils ein Weib, das mitten in der Wüste steht.

Sie hält in ihrer Hand das Ende eines langen, schwarzen Schleiers, der ihr Gesicht verhüllt, während sie mit dem linken Arm ein kleines Kind trägt, das sie säugt. Ihr zur Seite kauert ein großer Affe im Sand.

Sie erhebt das Haupt zum Himmel – und trotz der Entfernung hört man ihre Stimme:

Isis. O Neith Anfang aller Dinge! Ammon Herr der Ewigkeit, Ptha Weltenschöpfer, Thoth sein Verstand, ihr Götter des Amenthi, Dreigestalten zugehörig den Landesbezirken; Sperber in den Lüften, Sphinx am Tempelrande, Ibis stehend zwischen den Hörnern der Rinder, ihr Planeten, Sternbilder, ihr Gestade, du Murmeln des Windes, Wiederglanz des Lichtes: verkündet mir, wo sich Osiris befindet!

Ich habe ihn gesucht auf allen Kanälen und auf allen Seen und weiter noch bis Byblos, der phönizischen Stadt. Anubis, mit gespitzten Ohren, sprang kläffend um mich und wühlte mit seiner Schnauze in den Tamarindenbüschen. Dank sei dir, Hundeköpfiger, du guter, Dank!

Freundlich gibt sie dem Affen zwei oder drei kleine Schläge auf den Kopf.

Der scheußliche Typhon mit rotem Haar hatte ihn getötet, in Stücke zerrissen. Wir haben alle seine Glieder wiedergefunden. Aber das habe ich nicht, welches mich fruchtbar gemacht hat.
Sie stößt gellende Klagerufe aus.

Antonius ist von Wut erfüllt. Er wirft nach ihr mit Steinen und beschimpft sie.

Schamlose! Geh fort, geh fort!

Hilarion. Hab' Ehrfurcht vor ihr! Es ist die Religion deiner Vorfahren! Du hast ihre Amulette getragen in deiner Wiege.

Isis. Ehedem, wenn der Sommer wiederkehrte, verjagte die Überschwemmung die unreinen Tiere nach der Wüste. Die Dämme öffneten sich, die Barken stießen aufeinander, keuchende Erde trank den Fluß mit trunkenen Zügen. Du, stierhörniger Gott, strecktest dich aus auf meiner Brust – und man hörte das Brüllen des unsterblichen Kindes.

Die Saaten, die Ernten, das Dreschen des Korns und die Weinlesen erfolgten in regelmäßigem Gange mit dem Wechsel der Jahreszeiten. In den immerklaren Nächten strahlten große Sterne. Die Tage waren getaucht in unwandelbaren Glanz. Man sah, wie ein königliches Paar, die Sonne und den Mond zu beiden Seiten des Horizontes. Wir thronten beide in einer erhabeneren Welt, Zwillingsherrscherpaar, vermählt seit wir dem ewigen Schoße entsprungen, – er ein Szepter tragend mit dem Windhundskopf, ich eines mit der Lotosblüte, beide aufrecht mit vereinten Händen; – und die Umwälzungen des Reiches änderten nichts an unserer Haltung.

Ägypten dehnte sich unter uns, großartig und ernst, lang gestreckt wie ein Tempelgang, mit den Obelisken zur Rechten, den Pyramiden zur Linken, seinem Labyrinth in der Mitte, – und überall Alleen von Ungeheuern, Wälder von Säulen, schwere Pylonen zu beiden Seiten der Tore, welche auf ihrem höchsten Punkte die Erdkugel zwischen zwei Flügeln trugen.

Die Wesen seines Tierkreises fanden sich wieder auf seinen Weidegründen, erfüllten mit ihren Formen und Farben seine geheimnisvolle Schrift. Geteilt in zwölf Bezirke, wie das Jahr in zwölf Monate – jeder Monat und jeder Tag hatte seinen eigenen Gott – wiederholte es die unveränderliche Ordnung des Himmels; und der Mensch, welcher starb, verlor nicht seine Gestalt, sondern, durchtränkt mit Essenzen wurde er unzerstörbar und ging schlafen während dreitausend Jahren in einem Ägypten des Schweigens. Dieses dehnte sich, größer als das andere, unter der Erde aus. Man stieg auf Treppen in Säle hinab, in welchen die Freuden der Guten dargestellt waren und die Qualen der Bösen und alles was sich in der dritten, unsichtbaren Welt ereignet. Längs der Mauern geschichtet erwarteten die Toten in gemalten Särgen ihr Los; und die Seele, welche von den Wanderungen befreit war, schlummerte weiter bis zum Erwachen in einem anderen Leben.

Osiris kam jedoch bisweilen zurück zu mir. Sein Schatten hat mich zur Mutter des Harpokrates gemacht.

Sie betrachtet das Kind.

Er ist es! Das sind seine Augen! Das ist sein Haar, wie Widderhörner geringelt. Du wirst sein Werk wiederbeginnen. Wir werden von neuem aufblühen wie der Lotos. Ich bin immer noch die große Isis! Noch niemand hat meinen Schleier gehoben! Meine Frucht ist die Sonne.

Frühlingssonne, Wolken verdunkeln dein Antlitz! Der Hauch Typhons verschlingt die Pyramiden. Eben sah ich, wie die Sphinx entfloh. Sie galoppierte wie ein Schakal.

Ich suche meine Priester, im Leinenmantel mit großen Harfen, meine Priester, die einen heiligen Nachen trugen, geziert mit silbernen Rosetten. Keine Feste mehr auf meinen Seen! Keine Beleuchtungskünste in meinem Delta! Keine Schalen voll Milch mehr in Philä! Apis ist seit langem nicht mehr erschienen.

Ägypten, Ägypten! Deinen unbeweglichen Göttern sind die Schultern gebleicht durch den Rot der Vögel, und der Wind, der über die Wüste zieht, fegt die Asche deiner Toten. – Anubis, Hüter der Schatten, verlaß mich nicht!

Der Hundskopfaffe ist verschwunden.

Sie schüttelt das Kind.

Aber ... was hast du? ... Deine Hände sind kalt, dein Kopf fällt zurück!

Harpokrates ist gestorben.

Da stößt sie einen dermaßen schrillen, trauervollen und herzzerreißenden Schrei aus, daß Antonius ihn durch einen Schrei erwidert und die Arme öffnet, um sie zu stützen.

Sie ist nicht mehr da. Er senkt das Haupt, von Scham erdrückt.

Alles, was er gesehen, vermengt sich in seinem Geiste. Es ist wie der Taumel einer Reise, wie die Übelkeit eines Rausches. Er möchte hassen; aber sein Herz wird weich gestimmt von einem zagen Mitleid. Er beginnt reichliche Tränen zu vergießen.

Hilarion. Was macht dich denn so traurig?

Antonius nachdem er lange in sich selbst gesucht. Ich denke an alle die Seelen, welche durch diese falschen Götter dem Verderbnis preisgegeben wurden.

Hilarion. Findest du nicht, daß sie ... mitunter ... gewisse Ähnlichkeiten mit dem wahren haben?


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