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Greta Lauer: Das Jüngste Gericht (Auszüge)

Montags=Text
Greta Lauer

Das Jüngste Gericht
(Auszüge)


Und die Kinder auf den Dächern hocken sich jetzt hin. Ihre Handschalen zeigen zum Himmel. Der Himmel ist ein leeres Blatt. Nur die Signale der Anlage blinken hinter ihren Rücken in die Nacht. Die Kinder öffnen ihre Münder. Sie singen wie Wale.

Tide, die Unterschiede
 
Tide, die Zeit
 
In euren Gliedern:
 
Agrá
 
In Gelenken:
 
Ágra
 
Die Greifer entzündet
 
(singend) Zipperlein, Zipperlein
 
Die Finger schlafen
 
Zipperlein, Zipperlein
 
Krank wie Königinnen
 
Seid ihr keine, ihr
 
Sucht nicht
 
Nach anderen Worten, ihr
 
sitzt verstolzt mit allzeitsausfahrbaren Adlerkrallen auf den Gewissheiten der Steine
 
Rede dreht sich thetisch
 
dreht sich Rede in den Bahnen toter Denker
 
Liebe rostet in Garagen
 
Gram veralibiert in welken Tätigkeiten Angst
 
während Wünsche über Morgenschalen schwappen
 
ungetränktes nicht-durcht-trieft-sein umkreist neidgeigend s´Eigen
 
eigentlich von Welt getrennt


Eure Schubladen sind Gräber verjankerter Tage

Wünsche
 
ersaufen in Chlorgewässern hinter Tujen
 
Wünsche
 
Frieren in den Adern der Institutionen
 
Und Erde
 
In den Adern der Körper.



In den Senken schwarzer Taschenbücher thesendfach gelatscht
 
Euer Alibi
 
Das Gras der Kindheit stundenknisternd rückwärts wächst
 

 
Die Alten klagen.
 

 
Wir klagen nicht.
 
Die Alten klagen.
 
Über versäumte Tage
 
Tote Zeiten
 
Tide!
 
Ihr tut es ab.
 
Tide!
 
Wir klagen nicht.
 
Wir
 
klagen an!



Setzt euch.
 
Hier werdet ihr noch länger sein.


Wir sind Viele
 
Fische
 
Mussten wir werden
 
Flossen
 
haben wir uns wachsen lassen
 

Wie einst die Säugetiere
 
Sind wir in das Meer gegangen.
 
Wir sind Wale geworden und zu euch geschwommen.
 

Wir sind Viele
 
Jeder Einzelne von uns und Viele
 
sind wir Einzelne.
 
Wir sind gekommen um nach den Vögeln zu suchen
 
Die zu uns flogen und von euren Sommern erzählten wenn es bei euch winterte
 

Jetzt müsst ihr selbst erzählen!
 
Wir brauchen keine Gründe für Gewalt
 
Geschichten
 
Die Hände wecken.
 
Wir brauchen keine Gründe, kein Gewissen
 
Wir sind ohne Sünde weil wir Kinder sind
 
Schreibt
 
Die schlafenden Finger munter
 
Stoßt euch ab
 
Schreibt
 
Waffen
 
brauchen
 
wache
 
Hände
 
Unten in den Straßen gehen die Menschen mit schweigenden Händen auf die Tore der Anlage zu, um ihre Körper der Arbeit zur Verfügung zu stellen. Jedes Glied der Anlage muss seinen Teil beitragen, damit sie funktioniert. Der rotwangerte Patriarch bekommt immer mehr Ansehen. In seines blickt er stolz, wenn er in den Spiegel schaut.

Auf den Dächern werfen die Kinder das in ihren Armen gestapelte Papier vor den Geiseln in die Luft. Die Kinder drücken die Läufe der Sturmgewehre in ihre Rücken. Die Geiseln setzen die Stifte ans Papier.


Greta Lauer lebt in Wien. Schreibt szenische Texte, lyrische Texte und Prosatexte. Mitglied der GAV.
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