Gregor Kunz: Luftschiffhalde III
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Jan Kuhlbrodt
Gregor Kunz: Luftschiffhalde III. Gedichte 2000 – 2019.
Schönebeck (Moloko Print 113) 2021. 175 Seiten. 15,00 Euro.
Und wieder Gagarin, der Bruder Odysseus' !
Zu den Gedichten von Gregor Kunz
„Nah ist die Welt, und verklammert mit Drähten, verkabelt das Bekannte:Gestern...Es heißt so. Wir hätten es zwingen sollen. Doch selbst die Uhrenwiderstanden.“
Es sind Texte, die mich aufwühlen. Vielleicht, weil ich mich
darin erkenne als der, der einmal ich sein wollte; als der also, in dessen
Willen ich immer noch werde. Und eines der Gedichte hat im Titel den Namen, der
ein Signal ist, der die Möglichkeit zeigt, die Schwerkraft zu überwinden und
dennoch an ihr zu sterben. Das Gedicht heißt „Gagarins Wald“ und endet:
Habt Mitleid mit mir.Jäh kommt der Winter, erwartet, gewiss.Jäh kommt die Nacht, in der niemand mehr spricht.Dunkel lag der Weg und das Kind stand nicht lange.Wenn aller Schmerz endet. Das Licht sah ich nur einmalAuf Wiedersehen Freunde! Macht's gut. Bis bald.“
Luftschiffhalde III heißt ein Gedichtband des
Dichters und bildenden Künstlers Gregor Kunz, der mir vor ein paar Tagen ins
Haus flatterte und mich daran erinnerte, dass ich schon lang wieder und viel
mehr auf den Verlag Moloko Print hinweisen wollte, der ein Bestandteil des
Portals molokoplusrecords.de ist, einer Unternehmung also, die neben
Büchern auch Musikproduktionen anbietet, unter anderem Produkte einer Band Herbst
in Peking, die mich seinerzeit mit aus meiner ostdeutschen Lethargie riss.
Dieser Verweis wirkt vielleicht etwas sentimental, was am Projekt, um das es
hier geht, meilenweit vorbeitrifft.
Kunz ist in Ostberlin geboren und lebt in Dresden, sein
bildnerisches Schaffen gilt vor allem der Collage. Und auch hier schon lösen
sich Zeitläufe auf, indem sie sich übereinander schieben. Antike
vergegenwärtigt. Niemand als Punk vor einer gesichtslosen Masse Soldaten.
Letztlich ist Gagarin auch die Vorhut eines Odysseus im All.
Und ähnlich den Collagen verfährt Kunz in den collagierenden
Texten. Wir begegnen in ihnen den tradierten Metren, die Silben erscheinen
gezählt, wohl geordnet. Soldatisch, aber mit einem Hang zur Desertion. Doch sie
desertieren nicht. Sie tanzen in Ketten, wie Nietzsche es sah.
Im Gedicht, das „Niemand“ heißt, werden sie ihm wieder
folgen, jenem Führer, der um Führer zu sein, sich selbst verleugnete.
Nicht Herrschaft und Macht, einen Hund kannst du habenIn der Spur, der Passage, im Auftrag gewiss.
Es ist ungewiss, ob in den traditionellen Formen nur
Erinnerungen liegen, oder ob sie nicht vielmehr auf einen weiteren künftigen
Zusammenbruch weisen. Denn in ihnen liegt etwas von der vom Neoliberalismus
fast völlig verschütteten Gewissheit, die bei Kunz auflebt und die auch ein
Antrieb des Schreibens von beispielsweise Heiner Müller war und die sich im
Motiv des „Feindbilds im Spiegel“ findet.