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Gespräch mit Günter Plessow 3

Dialoge



3. Polyidiomatik

Lieber Günter Plessow, aufgefallen ist mir, als ich gestern die frühen Sonette von Cummings in Ihrer Übersetzung las, daß dieser Autor die von Ihnen im Zusammenhang mit Edna St. Vincent Millay angesprochene Distanz im Grunde aufgibt. Seine Sonette sind weniger elegant, aber beziehen ihre Kraft (wahrscheinlich) aus dem Slang und einer gewissen Pose.
Könnte man sagen, daß Faulkner gewissermaßen zwischen diesen beiden Sonettisten steht? Daß er also die verschiedensten Haltungen vorstellt, während Millay und Cummings eine spezifische Sprechhaltung auf die Spitze treiben?

Vorab: Sie verblüffen mich immer wieder, hier z.B. dadurch, daß Sie Autoren, die ich nacheinander für mich entdeckt und übersetzt habe, weil mich ihre literarische Heterogenität interessiert und sprachlich herausgefordert hat, nun ex post kurzerhand nebeneinander stellen und aneinander zu messen suchen. Aber ich will Ihnen nicht ausweichen und gebe folgendes zu bedenken:

Hat Cummings die Distanz aufgegeben?
Ich finde: Nein: weil ja schon der (ja, gerade der) parodierende Umgang mit der kanonischen Form für einen blutjungen Dichter, der modern sein möchte, Distanz bedeutet: Distanz zum Gegenstand und Distanz zum eigenen reflektierenden Ich, ich könnte auch sagen: Distanz im Gedicht zum Gedicht. Allein schon, daß er seine frühen Sonette drei Rubriken zuordnet und von SONNETS––REALITIES, SONNETS––IRREALITIES und SONNETS––ACTUALITIES spricht, zeigt uns, daß von Anfang an ein gerüttelt Maß ironischer Distanz zu seinem Handwerkszeug gehört. Ein Blick in seinen frühen Roman The Enormous Room (1920) bestätigt das. Im Nachwort zu was spielt der leierkasten eigentlich (Engeler 2008) habe ich die gravierenden Abweichungen von der kanonischen Sonettform, die sich Cummings gestattet, aufgezählt, dann aber behauptet:


„… Und doch sind es Sonette: formal, weil es immer, wenn auch oft vielfach gebrochene, vierzehn Zeilen sind, die auf irgendeine Weise durch Endreime gebunden werden, und inhaltlich, weil immer (und sei es ironisch ex negativo) ein gedankenlyrisches Element spürbar bleibt, das den Bezug zur jahrhundertealten Sonett-Tradition wachhält. Das war es jedenfalls, was den Übersetzer bewogen hat, seinen sonettologischen Spaziergang durch die englische Lyrik bis an diese von Cummings bezogene Grenzposition zu verfolgen. Übersetzungstechnisch sicher ein Drahtseilakt, ein Wagnis, bei dem so manches poetische Element um der Wahrung anderer Elemente willen auf der Strecke bleiben muß, und das man nur eingehen kann, weil die Zweisprachigkeit der Präsentation das Original unverfälscht daneben stellt."


Mag sein, daß zumindest seine SONNETS––ACTUALITIES die Distanz zum eigenen Erlebnis bewußt unterlaufen und all die Anzüglichkeiten, die das klassische Sonett immer trickreich umschrieben hat, lustvoll ausbreiten. Aber auch das geschieht nicht ohne Ironie.

Ist eine spezifische Sprechhaltung auf die Spitze getrieben? Bei Cummings zweifellos; er gefällt sich in den Posen, die er einnimmt: als junger Mann und als junger Dichter sieht er anscheinend (noch) keinen Anlaß, von der eigenen Ein- und Erstmaligkeit abzusehen. Die ist ja für jeden von uns einmal das einzig Wichtige gewesen. Edna St Vincent Millay, die anders als Cummings (den sie gleichwohl sehr schätzte und förderte) modern, aber nicht modernistisch auftritt, wirkt da um einiges abgeklärter, bemerkenswerterweise auch schon in ihren allerersten Gedichten (Renascence, Interim…), die sie mit 19, 20 Jahren vor ihrem Studium am Vassar College verfaßt hat. Vielleicht ist ihre Eleganz ja auch ein wenig darauf zurückzuführen, daß sie nicht mit der Vergangenheit bricht, weil sie spürt, daß Vergangenheit so vergangen gar nicht ist, wie Gegenwarten immer wieder gern behaupten. Womit wir beinahe schon bei Faulkner wären.

Vorher aber möchte ich wenigstens drei der 63 frühen Cummings-Sonette vorstellen. Er hat sie 1922 in ein umfangreiches Manuskript (ca. 150 Gedichte) aufgenommen, das er Tulips and Chimneys taufte. Tulips steht dabei für die bunte Vielfalt lyrischer Formen, während das Label Chimneys Sonetten vorbehalten bleibt, die quasi wie Rauchzeichen einer neuen Poetik aufsteigen. Diese Gedichte sind sehr frühe Vorläufer einer Methode, die heute De-konstruktivismus genannt wird, denn beides, De- und Kon-struktion, sind hier zugleich am Werke. Bestaunen wir nicht nur die Frische und Virulenz dieses Tons, der seinesgleichen nicht hat, sondern auch die drei Rubriken, die er seinen Sonetten zuweist: SONNETS––REALITIES sprechen im Indikativ (und verwenden gelegentlich Slang), sie zeichnen den distanzierten Blick des malenden Dichters auf Umwelt und Gesellschaft und zeigen eine satirische Empathie nicht ohne Sympathie; SONNETS––IRREALITIES handeln quasi im Konjunktiv, es sind Meditationen und Tagträume (und kommen damit der kanonischen Gedankenlyrik der Gattung Sonett am nächsten); SONNETS––ACTUALITIES dagegen sind so etwas wie ein lyrisches Tagebuch der Lust (des männlichen Ichs) am Leben und an der Liebe, in einer Weise allerdings, die alles Sexuelle, das die Sonett-Tradition allenfalls angedeutet hatte, lustvoll konkretisiert.


SONNETS––REALITIES XVII

of this wilting wall the colour drub
souring sunbeams,of a foetal fragrance
to rickety unclosed blinds inslants
peregrinate,a cigar–stub
disintegrates,above,underdrawers club
the faintly sweating air with pinkness,
one pale dog behind a slopcaked shrub
painstakingly utters a slippery mess,
a star sleepily,feebly,scratches the sore
of morning.    But i am interested more
intricately in the delicate scorn
with which in a putrid window every day
almost leans a lady whose still–born
smile involves the comedy of decay,


(veröffentlicht in & [AND], 1925)

SONETTE––REALITÄTEN 17

von dieser welken wand den anstrich splittert
die sonne,die vom foetusduft verdrossen
zu wackeligen blenden,unverschlossnen,
wandert,ein zigarrenstumpf verwittert,
oben erschlagen unterhöschen mit
ihrem rosa die leicht schwüle luft,und
fein säuberlich entledigt sich ein hund,
ein falber,hinterm busch von seinem schitt.
ein stern,verschlafen,kraftlos,kratzt die wunde
des morgens.    Doch mich fasziniert imgrunde
der delikate spott der dame,der
s im mürben fenster täglich fast gefällt;
ihr totgebornes lächeln sagt mir mehr
als die komödie des verfalls enthält,


SONNETS––UNREALITIES III

a connotation of infinity
sharpens the temporal splendour of this night

when souls which have forgot frivolity
in lowliness,noting the fatal flight
of worlds whereto this earth’s a hurled dream

down eager avenues of lifelessness

consider for how much themselves shall gleam,
in the poised radiance of perpetualness.
When what’s in velvet beyond doomed thought

is like a woman amorous to be known;
and man,whose here is always worse than nought,
feels the tremendous yonder for his own—

on such a night the sea through her blind miles

of crumbling silence seriously smiles

(veröffentlicht in Tulips and Chimneys, 1923)



SONNETS ACTUALITIES XXIV

and this day was Spring....us
drew lewdly the murmurous minute clumsy
smelloftheworld.    We intricately
alive,cleaving the luminous stammer of bodies
(eagerly just not each other touch)seeking,some
street which easily tickles a brittle fuss
of fragile huge humanity....
                                             Numb
thoughts,kicking in the rivers of our blood,miss
by how terrible inches speech—it
made you a little dizzy did the world’s smell
(but i was thinking why the girl-and-bird
of you move....moves....and also,I’ll admit—)

till,at the corner of Nothing and Something,we heard
a handorgan in twilight playing like hell


(veröffentlicht in & [AND] 1925)


SONETTE––IRREALITÄTEN 3

unendlichkeit schwingt mit,nicht auszumessen,
verschärft den glanz der nacht für eine zeit

wenn seelen,aller leichtsinn ist vergessen,
in demut weltenfluchten sehn so weit,
ein traum dagegen diese erde,die

durch straßen wirbelt leblos bitter kalt

und denken:für wie viele strahlen sie
denn selbst,wenn unaufhörlich alles strahlt.
Wenn das,was diesseits dessen richtig ist

den frauen gleicht,die ihre liebe zeigen;
und wenn das hier des manns stets nichtig ist,
er fühlt das riesenjenseits als sein eigen—

die see ist ernst in einer solchen nacht

die stille bröselt meilenweit,und lacht




SONETTE––AKTUALITÄTEN 24

und es war frühling den tag . . . . der
summend plump minutiöse duftderwelt
zog uns an.    Wir lebendig verwickelt
ins leuchtende stammeln der leiber(nur ja
nicht einander berühren)suchten,glaube
ich,einfach wege,sprödes aus fragiler
allzumenschlichkeit herauszukitzeln . . . .
                                                                 Taube
gedanken,im blutstrom pochend,verpassen da
wie schrecklich träge sprache ist—dich
machte er etwas schwindlig,der duft der welt,nicht?
(doch ich dachte warum sich mäd-und-vögelchen
von dir regt . . . . regen . . . . und auch,zugegeben,ich—)

bis wir an der Nichts&Etwas-ecke ne handorgel hörten
spielte wie teufel im zwielicht

Drei Beispiele, die uns all die Marotten, die inszenierten Regelverstöße in Schreibweise und Schriftbild vorführen: das Einsetzen mitten im Satz und das offene Ende, die Eigenwilligkeiten in Spelling, Interpunktion und Layout: vor allem das Spacing, an dem Cummings so viel gelegen ist, um dem Leser/Sprecher ein allzu flottes Rezitieren des Gedichtes zu erschweren; und die doch zugleich belegen, daß jedes Gedicht einen zusammenhängenden Assoziationsfluß in eine durchlaufende Redefigur faßt, und damit überraschenderweise an einem sehr wesentlichen Charakteristikum der Sonett-Tradition festhält, also viel reflektierter ist, als es zunächst den Anschein haben mag.

Steht Faulkner zwischen den beiden Sonettisten? Eine verblüffende Frage (s.o.), die ich mir nie gestellt habe. Aber da ich mich auch mit seinen eigenen Lyrikversuchen ein wenig befaßt habe, darf ich vielleicht zunächst einmal sagen: als Sonettist steht er beiden nach. Er konnte, wie er in seinem Essay Verse, Old and Nascent: A Pilgrimage (1924) darlegt, mit den meisten modernen Lyrikern wenig anfangen (wobei er Robinson und Frost, Aldington und Conrad Aiken ausnahm) und zog The Shropshire Lad von Alfred Edvard Houseman (1896) bei weitem vor; hielt die Oden von Shelley und Keats eigentlich immer noch für aufregender als die Moderne. (Von Emily Dickinson hat er womöglich noch nichts wissen können.)

Er war ein Spätentwickler, hat Zeit gebraucht, bis er sich von Europa lösen und sein eigenes, spezifisches Amerika entdecken konnte. Sherwood Anderson hat ihm in dieser Hinsicht den Kopf gewaschen, Winesburg, Ohio (1919) hat ihm vorgeführt, daß es da ein konkretes Kleine-Leute-Amerika zu entdecken gibt, gesellschaftlich, psychologisch und sprachlich, hat ihm geraten, bei dem zu bleiben, was er aus eigener Anschauung kenne. Und da er diesen Rat beherzigt hat, ist aus dem etwas verklemmten Lyriker dann doch sehr bald der große souveräne Erzähler geworden, der dem Volk aufs Maul schaut und in jedem seiner Romane anders und überraschend mit dem gesprochenen Idiom arbeitet. So beginnt etwa Soldier’s Pay (1926), eine Kriegsheimkehrergeschichte, mit einem komplexen Stimmengewirr im Eisenbahnwaggon, ohne diese Stimmen bestimmten Personen eindeutig zuzuordnen. In The Sound and the Fury (1929) dagegen gibt es vier scharf gegeneinander abgesetzte Erzählerstimmen, mittels derer Faulkner versucht, einer Geschichte aus wechselnden Perspektiven der beteiligten Figuren beizukommen, woran er, wie er gern erzählt hat, immer wieder gescheitert sei, weshalb er nun endlich wisse, wie man einen Roman schreiben müsse.

Will sagen: es bleibt ein Experimentieren. Light in August (1932) etwa ist gekennzeichnet durch verschiedene Erzählstränge, die am gleichen Ort zur gleichen Zeit ablaufen, aber eigentlich wenig mit einander zu tun haben. Während Absalom, Absalom! (1936) wieder mehrere Erzähler hat, die ein und dieselbe Geschichte einkreisen, und zwar einerseits als Personen, die selbst in sie verwickelt sind, und andererseits als zunächst völlig unbeteiligte, die sich in die Erzählung hineinziehen lassen, bis sie nicht mehr herausfinden. Dies ist der einzige Roman, den ich wirklich genau kenne, weil ich mich vier Jahre lang an einer Übersetzung versucht habe, die die syntaktischen Härten und die idiomatischen Besonderheiten nicht glättet und eindeutscht, sondern in ihrer Befremdlichkeit zu bewahren versucht. Auch hier ist Slang im Spiel.

Aber im Sinne Ihrer Frage auf die Spitze getrieben ist das idiomatische Vielerlei, soweit ich sehe, eher in As I Lay Dying (1930). Dieser angeblich in 8 Wochen (in denen Faulkner die Heizung der Universität zu warten hatte) niedergeschriebene Roman ist atemberaubend dadurch, daß fast jede der zahlreichen Figuren ein eigenes Idiom redet, an das ihre Persönlichkeit unauflösbar gebunden bleibt. Der Roman ist mehrfach übersetzt worden, ohne daß diese Poly-Idiomatik dabei als Aufgabe begriffen worden wäre.

Diese Polyidiomatik, von der Sie sprechen, ist im deutschsprachigen literarischen Raum kaum ausgeprägt. Allerdings sehe ich dieses Phänomen zumindest bei einigen Autoren der amerikanischen Literatur deutlich. (Eben Faulkner, aber auch später bei William Gaddis.)
Ich habe das Gefühl, dass der Autor (zumindest Faulkner und Gaddis) zu Gunsten der Figurensprache in den Hintergrund treten. Sehen Sie das ähnlich?
Und würden Sie das in einer angelsächsischen Tradition ansiedeln?
(Mitschwingt natürlich die Frage nach der besonderen Herausforderung an den Übersetzer.)

Lieber Jan Kulbrodt, immer wenn Sie den ganzen deutschsprachigen oder englisch/amerikanischen Sprachraum ansprechen, bin ich überfragt. Ich kenne einfach viel zu wenig (Faulkner ja, Gaddis nein). Der viel lesende Rentner, der ich einmal werden wollte nach meiner Berufstätigkeit, bin ich nicht geworden. Meine Übersetzungslust hat das verhindert. Sicher, ich lese; aber nicht viel sondern wenig; lese langsam; lese nur, um zu übersetzen, immer nur das eine Buch oder Büchlein, an dem ich gerade arbeite; lese es laut, immer wieder von neuem. Lese allenfalls noch etwas Sekundärliteratur, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Habe auf diese Weise einen Teil der riesigen Faulkner–Philologie und der ebenfalls erstaunlich umfangreichen feministisch geprägten H.D.–Philologie zumindest angelesen. Vergesse sie aber sehr bald (bis auf das, was ich etwa in einem Nachwort oder in Anmerkungen (vor allem für mich selber) notiert habe) und befasse mich dann wieder ausschließlich mit der Poesie des gegebenen Textes, denn die allein spricht mich an.

Im Nachwort zu: „Samuel Daniel: Delia / with the Complaint of Rosamond. 1592. / Übersetzung einer ‘Übersetzung’ / Elizabethan English & Deutsch / vorgelegt & herausgegeben von GP, LIT Verlag 2008“ habe ich geschrieben:
… Übersetzen ist Übersetzen, ist wagemutig, neugierig, anmaßend, riskant –– das ist das erste. Übersetzen ist Lesen, ist aufmerksam, skeptisch, vermutend, verstehend, lernend –– das ist das zweite: Aufbruch ins Fremde und Befragung des Eigenen; Bereitschaft und Zögern; Erwartung und Überraschung; die Spannung zwischen zwei Zeiten und zwei Zungen. Übersetzen ist Dichten –– das ist das dritte, wenn denn ‘Dichten’ imitatio ist: ein Auffassen, Umbilden und Weitergeben gedanklicher Figuren, aus denen sich ein poetischer Kanon herausbildet. …


Bitte nehmen Sie das als Ausweichmanöver, das keines ist; es soll begründen, warum ich als langsam-und-wenig-Lesender so allgemein nicht Stellung nehmen kann. Bezogen auf die Romane Faulkners, die ich kenne und bereits aufgezählt habe, kann ich Ihre Frage nur bejahen. Ja, er schreibt so, als erzähle sich der Stoff, diese fiktiv, aber sagen wir lieber: poetisch verdichtete Realität, von selber, als machten die erzählenden Figuren einen auktorialen Erzähler fast überflüssig. Ich kenne zu wenig von der englischsprachigen Romanliteratur, um sofort mit einer Tradition aufwarten zu können; aber ich vermute, daß Romane wie der Ulysses nicht so ganz unbeteiligt sind an dieser Polyidiomatik.

Wenn ich selbst ein Romanschreiber wäre (was ich nicht bin), würde ich vielleicht vermuten, daß sich die Gegenwart imgrunde weniger darum bemüht, alle fünf Jahre einen neuen Erzählstil zu erfinden, sondern sich einer bedrängend übermächtigen Widersprüchlichkeit der Welt gegenüber sieht, die von einem Autor eh nicht erfaßt und sublimiert werden kann, sondern ihm über ist; und andererseits vielleicht auch spürt, daß nicht wir unsere Sprachen, sondern die Sprachen uns beherrschen, besetzen und bedingen; daß Wörter uns überschwemmen und wir Mühe haben, ab und an ein ‘Ich’ dazwischenzuschalten, um nicht abhanden zu kommen.

Eine besondere Herausforderung für den Übersetzer? Ja, eine Herausforderung, aber im Prinzip immer dieselbe: Wenn Übersetzen imitatio ist (im Sinne des o.a. Zitats, das, wie folgt weiter geht:)

Imitatio bedeutet also zunächst keineswegs ‘Imitation’, unselbständiges Nachbeten, sondern poetische Teilnahme, Neuaufbau des Gelesenen, Umbau des Fremden ins Eigene. Ein Gedankenspiel, das Zeiten und Sprachgrenzen überspringt. Ein Fundus von Anspielungen, die man sich zuwirft wie Bälle. Aber ein solches Spiel ist von vornherein nicht ohne Risiko, gedankenvolles Mitspielen kann in gedankenloses umschlagen. Spieler ermatten. Gedankenfiguren verfestigen sich zu Klischees, verblassen dabei, und sobald man das so empfindet, beginnen Authentizität und Selbsterfahrung den concettistischen Konsens zu unterlaufen. Petrarkismus und neuplatonische Ideenpoesie werden satirisiert und kritisch überwunden.

GP 2008

dann erfordert sie immer eine poetische Teilnahme, also eine semantische und syntaktische Entsprechung, immer ganzheitlich orientiert an dem, was das Original sprachlich vorgibt. Shakespeares Dramen beispielsweise stellen Prosa, Blankverse und gereimte Zeilen (sowie eingestreute Lieder) nebeneinander, abwechselnd je nach den dramatisch/dramaturgischen Erfordernissen; sie verlangen also Übersetzungen, die in analoger Weise ihre Rede zu differenzieren wissen. Die historisch akkreditierte Schlegel/Tieck/Baudissin-Übersetzung hat sich im Prinzip so verhalten; viele moderne Übersetzungen dagegen ziehen rhythmisch freie und un- oder halbgereimte Versionen vor und sprechen gleichwohl von einer besonderen Verantwortung beiden Sprachen gegenüber. Und sonnen sich im Beifall der Akademien…   

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