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Gespräch mit Dominik Dombrowski & Armin Steigenberger 2

Dialoge



2. „Nähte des Getrennten“¹




KK: Also, es gibt ja diese Theorie, dass Sprache wie ein fahles Feuer ist, ein sehr abgemildertes Feuer, dass praktisch die Semantik und dieser Sprachfluss feuriger Natur ist. Und damit auch das Bewusstsein und die Assoziationskraft.

DD: Also Spiritus.

KK: Ja, das kommt daher. Geist. Geist ist ja auch feurig, wird immer feurig gesehen.

AS: Inspiration ist doch mehr dieses Luftelement ....

KK: Ja, das gehört dazu – Feuer ohne Luftzufuhr ist nicht denkbar. Es würde ausgehen.

AS: der Atem …

KK: Hauch.

AS: … aspirare heißt ja, glaub ich, atmen. Und da steckt es ja auch drin, dieser spiritus.

KK: Und um auf das Metrum zurückzukommen: Roberto Calasso sagt, das Metrum, die Idee des Metrums kommt aus der ganz frühen Zeit, von den Priestern, die praktisch da einen Mythos entwickelt haben, dass das Metrum ein Schutz, ein Schutzschild ist, auch ein Lastschiff, ein Gefährt, vorm Feuer und durchs Feuer.²

AS: Wer sagt das? Dieser Calasso?

KK: Die Veden, ja. Calasso gibt das nur wieder. Beim Feuerritual, um sich nicht zu verbrennen, haben die Priester metrische Gesänge entwickelt, und so ist es bei den Griechen ja auch. Die Schritte, das Tanzen.

DD: Da wirkt also dieses Metrum wie ein Code, oder was?

KK: Das ist wörtlich gemeint. Und zwar hätten das die Götter gemacht, und die Menschen haben's ihnen nachgemacht, so der Mythos. Und um dabei nicht zu verbrennen sondern (nur) tätowiert zu werden, brauchten sie die Metren als Schutz. Das die Vorstellung des Metrums beim Eintauchen … ist ja fast dasselbe wie in die Sprachstruktur, wenn du die aufbrechen willst oder stundenlang Lyrik liest. Da ändern sich die Sinne und die Wahrnehmung.

DD: Es kann dir auch in bestimmten Zuständen so gehen, dass du einen normalen Zeitungsartikel liest …

AS: Na klar, wenn du stundenlang …

DD: … oder in einer bestimmten Stimmung drauf guckst und du müde bist, dass du dann plötzlich nur Unsinn drin siehst. Oder was auch passieren (kann), mir ist es mal passiert, dass ich übermüdet in Jugoslawien im Zug saß und dann haben da zwei, drei Soldaten miteinander was-weiß-ich-was besprochen, serbisch oder kroatisch, und ich saß halt da neben denen, und so im Halbschlaf, in so einem Dämmer, hab ich plötzlich ein deutsches Gespräch herausgehört, das die gar nicht geführt haben.

KK: Das kann dir auch mit Musik, also am Zug oder im Auto, passieren, dass du plötzlich durch Windgeräusche und so Gesänge hörst, die sogar Wörter enthalten.

AS: Also, ich kenn das eigentlich nur bei bildender Kunst, ich war auf der Biennale vor zwei Jahren, da gibt’s ja noch einen Pavillon und noch einen, und nach dem achtzigsten bist du nicht mehr fähig zu verstehen.

DD: Das hat was Vexierbildartiges.

KK: Aber – was interessiert dich, Armin? Du hast ja deinen Stil jetzt ein bisschen geändert in deinen Gedichten, was interessiert dich jetzt mehr, dass Semantik rüberkommt oder Mischformen, oder suchst du da was Neues in dir?

AS: Also ich mach das ja nicht bewusst. Ich nehme mir nichts vor, sondern ich weiß auch vorher nie, was da jetzt rauskommt. Es ist meistens so, dass ich mir nicht vornehme, so, ich schreib jetzt einen Text über sowieso, sondern ich weiß schon, da ist irgendwas und ich hab meistens dann einen Satz schon im Kopf, zum Beispiel dieses „ich gestehe den weltfrieden“, nicht wirklich semantisch stimmig, und das ging mir wochenlang durch den Kopf. Und ich dachte, irgendwas ist da, was mich interessiert daran, und ich hab relativ lange drüber nachgedacht, was man da machen kann, und dann kam plötzlich – es hat sich wie eine Blüte plötzlich so entwickelt – ein Text raus, der mich selber überrascht hat.³

KK: Ja, durch die Verknappungen wahrscheinlich, wenn du Prosatexte schreibst, dann baut sich das bei dir ja auch sehr stark aus.

DD: Es reicht auch manchmal nur ein Wort oder so.

KK: Um dich in Bewegung zu bringen?

DD: Mir ging mal eine Zeitlang auch nur dieser Begriff „sonnendurchflutete Hausfrauund dann hab ich regelrecht darauf gewartet, bis ich das in einem Gedicht mal verwenden konnte. Man schreibt sich da mal solche Sachen auf und hat sie im Hinterkopf, und dann, unabhängig davon, schreibt man seine Gedichte oder seine Betrachtungen und was es dann auch immer wird, und dann guckt man, wartet, wo man seine favorites einfügen kann …

AS: Ja, dieses „der himmel ist heute kein kuvert, das man aufreißen kann“ ging mir auch jahrelang durch den Kopf, und irgendwann hab ich es dann in einem Text untergebracht.

KK: Kommen wir vielleicht zu diesem Struktur-„Gewebe“, was letztlich sowohl ein Sprachgitter als auch ein semantisches Feld sein kann. Und dieses Gewebe bekommt gelegentlich in der Semantik eine physische, nahezu greifbare Form, und da wird sie, glaube ich, interessant. Wenn zum Beispiel das Wort Brot in einem Gedicht erscheint, wenn dann, und da gibt’s Leute, die das können, Mallarmé beispielsweise konnte das bis zu einem gewissen Grad, wenn dieses Wort „Brot“ dann plötzlich wirklich duftet.

AS: Jaja, das stimmt.

KK: Oder nach Krumen schmeckt – das meine ich mit „Gewebe“, wenn was Physisches in ein abstraktes Wort mit eindringt.

AS: Na ja, ich hab das eher so als Motor gesehen, als den Eros.

KK: Ist er ja. Der treibt es rein. Unter Umständen. Und da frag ich mich, wenn man das erreichen will, ob man gleichzeitig versuchen kann, Sprache aufzubrechen, ob das funktioniert, das wär ja dann das gebrochene Brot, wenn du so willst.

AS:  Ich glaub nicht, dass du das so allgemein sagen kannst. Weil, es ist ja auch bei Gedichten oft so, dass in einem Gedicht was geht, was im anderen niemals gehen würde.

DD: Also bei „Schwarze Milch der Frühe“ duftet’s bei mir nicht nach Kaffee.

AS: Nee. (lachen). (Stille).

DD: Nach Tod eigentlich.

KK: Das ist ja auch gemeint, glaub ich.

AS: Ja, klar. Also ich sehe da bei dem Wort so ein Lüftungsrohr von dem Verbrennungsofen oben raus.

DD: Ja für mich, also ich assoziiere damit direkt, platt gesagt, der Tag ist gelaufen, bevor er schon begonnen hat, und auch, als ob die Mitternacht gegen den Tag gelaufen ist und damit (macht eine Bewegung).

AS: Ah, okay, ja. Ich sehe bei ihm so Aschekrumen, die in diese Milch reinsinken.

KK: Das ist in jedem Fall ein Verbrennungsofen.

DD: Und natürlich ein Untergang. Ich meine, dass dieses Bild „schwarze Milch der Frühe“, hab ich mal gelesen, aus der Kabbala kommt.

KK: Das kann gut sein. Schwarze Milch der Frühe ist auch dieser Urzustand, wenn du so willst, des Nicht-Denkens, Nicht-Wahrnehmens, des Bewusstlosen, also der Einfaltung zum Urkeim, bevor die Welt entsteht.

AS: Genau.

KK: Da atmet irgendwo etwas, entfaltet sich, aber bewusstlos, und ist trotzdem da. Das schwingt auch mit. Deswegen ist dieser Ofen als Verbrennungsofen leicht verdeckt. Und kriegt auch eine andere Bedeutung noch zusätzlich.

AS: Da ist auch dieser Begriff des absolut Bösen und …

KK: Die giftige Seite der menschlichen Natur und des Feuers …

AS: … die steckt da auch irgendwie drin.

_ _ _


¹ "Feuer gibt es nur an Rändern. An den Nähten des Getrennten, an den Übergängen den Auf-, Vorbei- und Untergängen; Feuer am Horizont des Feuers, Sprechen am Horizont des Sprechens. Auf der Grenze, in der Naht, der Brandung. Jetzt komme Feuer! Hölderlin. Mehr Licht! Goethe. Bei allen Unterschieden zwischen diesen beiden Worten, beide sagen, es sei noch nicht genug, nicht gegenwärtig genug, beide fordern, jetzt, zuletzt, heraus und wünschen ein Mehr, Steigerung, die Ankunft dessen, was schon genannt und da ist, und fördern dies Mehr, fördern das Kommen."

(Werner Hamacher: Brouillon zu einer Phantasie über Feuer und Sprache. In: Mütze #1, hrsg. von Urs Engeler. Solothurn 2012)


²   "Und das Metrum? Das Metrum ist das Joch des Wortes. (...) Nützlich und bescheiden wie Zugtiere, die, "wenn sie ins Joch gespannt werden, Lasten für die Menschen befördern, so befördern die Metren, wenn sie ins Joch gespannt werden, das Opfer zu den Göttern". Gleichzeitig aber können sich nur die Metren dem Feuer nähern, ohne sich zu verletzen. Vor allem jedoch: Wenn es den Göttern gelungen ist, unsterblich zu werden, so haben sie dafür allein den Metren zu danken." (Roberto Calasso: Die Literatur und die Götter. München (Hanser) 2003, S. 128. Zitat: Satapatha Brahmana 1, 8, 2, 8.)


³ ich gestehe den weltfrieden
in gelbgeblümten wahlwerbespots und
den chefunterhandel schnellen glücks,
gestehe freien willen und feiere
freiere welten und ihre unfassbaren nebel.

ich gestehe den schönsten tag seit vielen jahren,
eine langsame sünde wider den eiligen geist.
ich gestehe zwei linke hände und cordhosen,
behördengänge montagmorgens, deutliche
summen und peanuts, 95 % anfechtung sowie

die übertragung unordentlich grauer
morgensonnen. ich gestehe elfmeterseligkeit
und altmodische hemdmanschetten, discofox
um einen ungeklärten mond. nachts partiell leicht
pejorative psalter, abgetakelte bardamen.

ich beichte touchscreenmonitore, lückenlos
planierte mentalitäten, traumata, ölungen:
hinreißende premiumstunden
dienstagabends samt abwerbung friedlicher
david-hockney-himmel für meine sache.
(Armin Steigenberger: ich gestehe den weltfrieden)

Parmenides: Vom Wesen des Seienden, Fr. 1, 4ff.:
"Darauf fuhr ich: da nämlich fuhren mich die aufmerksamen Stuten,
die den Wagen zogen; und Mädchen lenkten die Fahrt.
Und die Achse in den Naben gab den Kreischton einer Rohrpfeife von sich
vor Hitze, so wurde sie getrieben von den zwei gedrehten
Rädern zu beiden Seiten, wenn schleuniger sich sputeten
die Sonnenmädchen (Heliades) mich voranzufahren, hinter sich das Haus der Nacht,
dem Lichte zu, und von den Häuptern mit Händen die Schleier aufschlugen."

 Die Mutter träumt in den Parks jeden Tag bei den pissenden Hunden
noch einmal von vorne zu beginnen
mit einem kleinen stillen Würstchen
wünscht sie sich hinter die Tabletten
auf den Balkonbrüstungen
zwischen den sonnendurchfluteten Hausfrauen
zucken alsbald die Blaulichter auf
(Dominik Dombrowski: Rot, 2. Strophe)


die sache ist heikel

die warterei auf die abholzung der bäume
die hochkantschilder in orange mit
scharfen zahlen drauf dazu diese grund-
beruhigte musik die lippengeglätteten

hochglanzslogans für eine bessere
welt richtung sicherheitsstreifen das tata
aus dem lautsprecher an das die einen glauben
die alltägliche fahrt durch schaukelnde

tunnels ohne zu wissen wo aussteigen
es arbeitet unverbindliche musik für uns
gegen uns wenn wir nur wüssten wo unsere
schmerzen sind wir sitzen und warten

auf die befunde die anderen glauben nicht
an eine gefahr entspannen sich ohne plan B

der himmel ist heute kein kuvert
das noch aufreißen könnte
(Armin Steigenberger: die sache ist heikel)

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