Gerd-Peter Eigner: Mammut
Konstantin Ames
«Dampf- und Rauchduftverquickungshütte» («elmsfeuersatt»).
Gerd-Peter Eigners poetischer Erstling «MAMMUT», und was sonst noch
nicht ausgestorben ist
Mit «MAMMUT» legt der bisher vorwiegend als Romancier in Erscheinung getretene Gerd-Peter Eigner, der (traut man dem Klappentext) auf nicht weniger als sechs «Hauptwerke» verweisen kann, seinen ersten Gedichtband vor, was eine Untertreibung ist: Eigners poetisches Debüt hat Romandicke. Vielleicht ist das eine Berufskrankheit des Romanciers. Die Wertung eines solchen voluminösen Werks richtet sich danach, ob man einen einzigen verpfuschten Vers mit dem Scheitern des gesamten Werks in eins fallen lässt: Eine vitalistische Literaturauffassung würde so rigoros verfahren.
Die Abschnitte des Buchs, in denen Eigner mit dem Konzept des poète maudit kokettiert («eine 0,66-lt.-Flasche Nastro Azzurro und dann//Nochmal dasselbe im Antico Grottino»), das für gut ein Drittel der Texte eine Klammer bildet, sind nicht unzeitgemäß, sondern schlechthin ein aufgegossenes Parlando («Villon Villon/Du bist mein Mann/selbst wenn mir aus dem Stegreif keine Zeile kommt/Du bleibst mein Mann»). Der Literaturaktivist Sean Bonney hat in seinem «Letter on Poetics» (die dt. Übersetzung als «Rimbaudbrief» wurde in Nummer 79 der Zeitschrift «Schreibheft» publiziert) mit Blick auf die «Verklärung des Scheiterns» von «beschissenem Konformitätszeugs» gesprochenen (S. 142). Es gibt interes-sante argumentative Parallelen zwischen Bonney und Eigner, vor allem hinsichtlich des Umstands, wie Biographie als Legitimation herangezogen wird, so und nur so sprechen zu können, was dann, in einer expliziten und markigen Wortwahl dargeboten, in Richtung Tirade oder Trotzigkeit abbiegt.
In einem Eigner-Gedicht mit dem Titel «Jugend» liest man: «Wie könnte er das […] jemandem/der es nicht kennt/plausibel/zumindest halbwegs plausibel/erklären.» Bei einer reinen Verweigerung belässt es Eigner indes nicht.
Gerade das zweite Kapitel (lakonisch «Ach» betitelt) und das letzte («Sitzen und Liegen») brechen mit der heute verbreiteten furztrockenen Art poetischer Rede bzw. ihrer elitären Schwundform von heute, der Lyrik. Es wird in besagten Kapiteln erst gar nicht versucht, einen hohen Ton zu treffen. «MAMMUT» veranschaulicht, welche Anknüpfungspunkte eine spezifische Traditionslinie komischer Poesie (Busch-Kästner-Rühmkorf) noch immer bietet. Gerd-Peter Eigner ist unbedingt ein Satiriker und zeigt sich als begnadet fieser Reisender von großer Verletzlichkeit. Seine Verse sind selten mittelmäßig. Sie sind ganz und gar, ganz und gar schlecht oder saugut; Flausen im Kopf sympathischer rüberzubringen als er, das dürfte schwierig werden.
Sichel
Die Sichel des Mondes
in der Hand des Schnitters
trennt dem Träumer
selbst wenn sie nachwachsen
immer wieder
verläßlich die Locken
vom Kopf
Wo Eigner allerdings poetologisch wird, da poltert er wie der sprichwörtliche Dickhäuter im Porzellanladen («Ich/Dichtmaschine/Kurbel am Hals/Durchlauferhitzer/und Schmerzens-gewinde»). Von Fell, Archaik und dem spezifischen Charme der Stoffeligkeit, etwa eines Robert Walser oder eines Bartelby (beide werden als Gewährsleute präsentiert), findet sich jedenfalls kein Gran. In den schlechtesten Versen ist Eigner der narzisstischen Brachialtwitteratur näher, als ihm lieb sein wird («Unausweichlich unumgänglich/Schrift und Zeichen/Satzbau und Grammatik/Rettung und Vernichtung zugleich» heißt es in einem eiskalt mit «Schreiben» betitelten Sammelsurium). Es ist hier eine Selbstimmunisierung der eingearbeiteten Biographiepartikel zu beobachten, die auch gelegentliche Ausreißer Richtung Seelenstriptease nicht verschmäht («Du meine Tochter/die sich mir hart entzieht/wisse ich bin und bleibe/Dein Vater»). Im Ganzen trägt diese umfangreiche Gedichtsammlung ein Antagonismus, der bereits im zweiten Gedicht des ersten Kapitels angelegt ist («Ich will zur Schule gehen/ […] Ich will nicht zur Schule gehen»).
Es nimmt Wunder, dass ein immenses Talent zum pointierten Beobachten über weite Strecken einem barocken Lyrismus geopfert wird. Zum Davonlaufen sind alle Gedichte mit einem vorangetragenen poetologischen Programm. Man wird durch Museumslandschaften geführt und soll denken, das sei der bunteste Rummel. Problematisch sind dabei der Modus des Sprechens und die Wahl der Topoi gleichermaßen. Beispielsweise wird dem Faschisten und Übervater der anglolyrischen Zunft Ezra Pound ein Denkmal errichtet, ebenso dem Antihumanisten Robert Jeffers. Dem Pochen auf Inkommensurabilität («Wer sagt […] weiß nichts») wäre Eigner am besten durch Nichtpublikation nachgekommen, die Rede wird hier esoterisch. Hier ergibt sich eine, vom Dichter so sicher nicht beabsichtigte, Zeitgemäßheit. Diese unfreiwillig komische (altersunspezifische) Distinktionsrhetorik konfligiert mit einer nicht hinterm Berg haltenden Freude am Senioritätsprinzip und an einem Pathos der Sorte ‹Musste halt erlebt haben, Kindchen›, dies besonders drall im Gedicht «Elvira». Wo Eigner virile Posen und versimpelt versumbrochene Nacherzählungen von Gedanken weglässt, ist es sofort da: das Gedicht, zart und tragfähig gleichermaßen.
Geliebte
Als sie von ihrer Kindheit sprach
sprach sie von Igeln und Schwänen
vom Eis auf dem See
und vom Berg
in dem ihr Vater verschwand
auch von Himmeln
Als sie von ihrer Jugend sprach
sprach sie vom Tisch
der in ihrem Zimmer stand
und schreckliche Spuren trug
von ihrer Lust
sich an dessen Kante zu reiben
Als sie ihrem ersten Mann folgte
in den afrikanischen Busch
litt sie unter der Hitze
die sie zu bekämpfen wußte
in den Armen
des Hauspersonals
Als sie dann auf mich stieß
sprach sie von Männern
die sie bediente
wenn ich nicht da war
es machte mich rasen
besonders dafür liebte sie mich
Als sie mich verließ
kratzte ich Rinde von den Bäumen
des Parks
fraß Erde
spie Galle und Blut
und verendete nicht
Das Kontrastprogramm könnte zuweilen nicht größer sein. Im Abstand von nur wenigen Seiten finden sich gleichermaßen Wortungetüme wie «Dampf- und Rauchduftverquickungshütte», die in der Lage wären, selbst stärkere Gedichte augenblicklich zur Strecke zu bringen; das Buch geizt aber auch nicht mit geglückten Findungen wie «elmsfeuersatt», «Kapselmensch», «Saaterkenntnis» und ähnlich filigranen Rätselworten, die die brillanten Seiten des Buchs füllen, fern aller funzelnden Reimvirtuositäts-Prätention und einem oft naiv wirkenden Herzeigen von vermeintlichen Trouvaillen («Die Manneskultur auf Spanisch/ Handwerk Grundton Gestalt und Geist des Genres/ jedem sein eigener Saal/ sein eigenes Schicksal»). Die Einsicht, dass alle brillanten Reime gereimt sind, dauert freilich, manchmal mehr als ein Menschenleben; eine Einsicht, die das Dreschen auf Pappkameraden wie Gottfried Benn («Gut gebrüllt Löwe/aber Hand aufs Herz/Herr Doktor/glauben Sie selbst/was Sie da sagen») und das Drechseln eines absehbar simpel bleibenden Totengesprächs verhindert hätte. «Müde» (so auch der Titel eines Listengedichts) zu werden, das droht zuweilen selbst einem sportlichen Leser.
Mit den Impressionen eines gelebten Lebens punkten zu wollen und auf die aktualitätshastigen Behelfspoetiken jüngerer Semester nicht viel zu geben, ist das beste Recht jedes Menschen mit auch nur einem Gran poetischen Eigensinns und turbulenter Biographie. Gerd-Peter Eigner hebt sich von der Schar vergleichbar talentierter Eigenbrötler aber durch eine sehr rare Eigenschaft ab: Durch das schriftsprachliche Pendant zum Augenzwinkern; Eigner weiß um dessen guten Sinn. «MAMMUT» ist kein Mammutwerk, das steht nur auf der Verpackung, kann man glauben oder es lassen. Die scheußlichen Cousinen des Augenzwinkerns heißen Agitprop, Anthologie- und Cliquenliteratur, auch das weiß Eigner, der überhaupt ein gutes Gespür für Quintessenz beweist: Fast jedes der Gedichte dieser Sammlung würde sich in einer der à jour gebenden Blütenlesen wie ein Mammut ausnehmen. In der Literatur des ‹Kapitalozäns› (etwa im Sinne von Moore) ist dieses Augenzwinkern beinah ausgestorben.
Das Mammut
Angeblich vom Erdboden verschwunden
seit es die Menschheit gibt
taucht es in Rudeln auf
um weitläufig und sehr achtsam zu grasen
Den Mangel an Sehschärfe beim Menschen
der selbstverliebt in sein Inneres blickt
(nicht jedoch beim Hasen und auch nicht beim Igel
der immer schon da ist)
Führte zum vorzeitigen Abbruch
einer Beziehung die versprochen hatte
über ganze Erdzeitalter und weit mehr zu währen
warum
Ganz einfach
die herbe Schönheit und schiere Größe des einen
überforderte auf Dauer den anderen
der bald seine Heimat bei Kleinerem fand
Jedoch wie gesagt
es ist weiter da das Tier
nur entzieht es sich aus Sanftmut und Diskretion
den schwachen menschlichen Blicken
Dem glamourseligen, leicht zu sedierenden Teil der literarischen Öffentlichkeit, die den Unterschied verkennt zwischen Freudigkeit und Freude, wird dieses Pendant des Augenzwinkerns immer entgehen. In Charles Olsons «Maximus»-Gedichten findet sich die Fügung: «polis is eyes» – Gerd-Peter Eigner hat mit seinem poetischen Erstling das Fundament zu einer Stadt aus diesem Augenzwinkern errichtet. Wir hoffen auf mehr.
Gerd-Peter Eigner: MAMMUT. Gedichte. Berlin (PalmArtPress). 2016. 368 Seiten. 25,00 Euro.