Geoffrey Hill: Für die Ungefallenen
Where chrystals kissed / in cabinets of amethyst and frost
Wo sich Kristalle küßten / im Kabinett aus Frost und Amethyst
Das Lyrik Kabinett stellte, nach der Lesung von Les Murray, am 07. Juli einen weiteren englischsprachigen Dichter vor, der hierzulande noch nahezu unbekannt ist.
Geoffrey Hill, 1932 geboren, der derzeit das Ehrenamt des Oxforder »Professor of Poetry« bekleidet, gilt als einer der bedeutendsten und umstrittensten Lyriker Englands.
Anlässlich der kürzlich erschienen Gedichtsammlung seiner Gedichte von 1959-2007, die von Ursula Haeusgen, Michael Krüger und Raoul Schrott herausgegeben und in der Edition Lyrik Kabinett bei Hanser unter dem Titel »Für die Ungefallenen« erschienen sind, leistete das Lyrik Kabinett mit diesem anspruchsvollen Abend Pionierarbeit in Bezug auf den Dialog mit dem deutschen Publikum. Der Sammelband bildet einen Überblick über das Werk des Dichters, der bisher schon 13 Gedichtbände publiziert hat. Benannt ist die Gedichtsammlung nach der ersten Publikation „For the Unfallen“.
Aufgrund der scheinbaren Dunkelheit der Gedichte, die eine hermeneutische Deutung erschweren und dadurch provozieren, fanden sich zwei Kenner, man möchte Exegeten sagen, zu einem Gespräch zusammen. Der Anglist und Komparatist Prof. Dr. Werner von Koppenfels, der an der LMU München lehrte, ist nicht nur Kenner Hillscher Lyrik, sondern auch sein Übersetzer.
Werner von Koppenfels
Im Gespräch mit dem Anglisten und Autor Ralph Pordzik, Dozent an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg, wurden Gedichte und Auszüge Hills auf Englisch und in deutscher Übersetzung alternierend gelesen. Anschließend wurde über die Motivik kontrovers diskutiert, wobei keineswegs eine Aufschlüsselung des Rätselcharakters der Lyrik angestrebt wurde, sondern eine behutsame Aufhellung der Dunkelheit.
Wie Holger Pils zunächst in seiner Einführung verdeutlichte, ist die Hillsche Lyrik komplex und zudem, was eine Ausnahme in England darstellt, inhaltlich mit der europäischen Geschichte und der Entwicklung des heutigen Europas verknüpft. Jedoch sind die lyrischen Erzeugnisse keineswegs einmaschig gewebt, sodass das Religiöse, ohne dabei zum Mystizismus auszuufern, mit den politischen Geschehnissen verwoben wird.
Zusammen mit dem Dichter Seamus Heaney wird Hills Lyrik als antimodern und zudem von seinen Kritikern als elitär und schwierig bezeichnet. Hill selbst, so Holger Pils, nimmt dazu in der Weise Stellung, dass er auf die wirklichen Verhältnisse verweist, indem es das Zugängliche nur im Supermarkt gäbe.
Schon sein erstes populäres Gedicht, ›Genesis‹ aus den 50er Jahren, bestimmt die grundlegende Motivik des Werkes. Das Religiöse gleitet nicht ins Mystische ab, sondern entpuppt sich in einer Metamorphose als Schrecken, die Schöpfung wird grundsätzlich zur Antischöpfung, die sich immer wieder in exzessiven Gewaltbeschreibungen kulminiert.
Genesis:
IV
The phoenix burns as cold as frost;
And, like a legendary ghost,
The phantom-bird goes wild and lost,
Upon a pointless ocean tossed.
Genesis:
IV
Der Phönix brennt so kalt wie Eis;
Und, wie ein legendärer Geist,
Wird der Trugvogel wild, und kreist
Auf kompaßloser See verwaist.
Am Ende heißt es dann bedrückend:
Though Earth has rolled beneath her weight
The bones that cannot bear the light
Ob Erde auch mit ihrer Last
Gebein wälzt, dem das Licht verhaßt.
An dieser Stelle wurde das Verb ›bear‹ mit ›verhaßt‹ übersetzt, wodurch zwar der Reim bzw. Halbreim bewahrt, die Bedeutung von ›bear‹ im Sinne von einer Unerträglichkeit, des nicht Ertragen Könnens des Lichts, verschwindet. Dass die Knochen die Schöpfung nicht tragen können, ihr nicht gerecht werden und das Licht nicht ertragen, erscheint hier als Quintessenz der Schöpfung. Die Genese scheint in ihr Gegenteil verkehrt. Von Koppenfels entschied sich für die Erhaltung der Form und der Halbreime.
Das Scheitern der menschlichen Kommunikation mit dem Göttlichen wiederholt sich im Gedicht ›Lacrimae verae‹. Diesmal neutestamentarisch wird das Unvermögen der Kommunikation mit Christus beschrieben. Im ersten Gedicht des Zyklus ›Lacrimae‹ heißt es:
Crucified Lord, you swim upon your cross
And never move.
Gekreuzigter, du schwimmst auf deinem Kreuz
Und regst dich nie.
Ein heutiges barockes Sonett sei, so Ralph Pordzik, eine bewusste Abkehr von der postmodernen Lyrik und ein Akt der Befreiung vom Diktat des Mainstreams.
Hills Affinität zur Malerei wird in seinen Gedichten zu einem bildgewaltigen Exzess der Brutalität. In der Form des Sonetts thematisiert er die Rosenkriege und beschreibt eingängig eine Kontinuität der Gewalt. Auf dem Schlachtfeld und auch in der Hierarchie der Gesellschaft erscheinen alle ersetzbar; der Zeitgeist scheint unerbittlich auf die Massen der Menschen einzuwirken und selbst der Schrecken des Krieges scheint bloßes unheimliches Ritual zu werden. So heißt es im Gedicht »Funeral Music«:
For whom do we scrape our tribute of pain –
For none but the ritual king? We meditate
A rueful mystery; we were dying
To satisfy Caritas; those
Wiped jaws of stone. […]
Für wen denn kratzen wir Leidenstribut zusammen –
Nur für den rituellen König? Wir grübeln
Über ein klägliches Mysterium nach; wir sterben,
Die fette Caritas zu mästen, die sich
Ihr Maul von Stein abwischt. […]
Die Kontinuität der Gewalt setzt sich im Schrecken des Holocaust fort, der dadurch keinen einmaligen Sonderstatus erhält, sondern als Kulmination der bestehenden Gewalt erscheint. Das Gedicht zeigt sich in diesem Zusammenhang als eine anonyme Stimme der Geschichte, die sich dem Nicht-Vergessen verschrieben hat und die sich dem Diktum Adornos, das er allerdings später selbst relativiert hat, widersetzt.
Hills Gedichte »September Song« und »Ovid in the Third Reich« erscheinen in ihrer Mehrdeutigkeit und der Ironie als heikel. Sie zeigen aber auch, dass durch die Betonung der Harmlosigkeiten die Worte an sich nicht mehr harmlos sind, liest man sie in diesem Kontext. In »September Song« heißt es zum Beispiel:
September fattens on vines. Roses
flake from the wall. The smoke
of harmless fires drifts to my eyes.
September mästet sich am Weinlaub. Rosen
Flocken von der Mauer. Der Rauch
Harmloser Feuer zieht mir in die Augen.
An dieser Stelle wird klar, dass die Flocken, Feuer und Rauch durch die Betonung des Harmlosen doppelt belastet werden.
Auf die Frage, ob ein Gedicht selbst an der Gewalt teilnimmt, indem es voyeuristisch und bildgewaltig ist, geht Hill in seinem metalyrisch zu nennenden Gedicht „History as poetry“ ein:
Poetry as solutation; taste
Of Pentecost’s ashen feast. Blue wounds.
The tongue’s atricities. Poetry
Unearths from among the speechless dead
Lazarus mystified, common man
Of death […]
Dichtung als Gruß hinüber; der Geschmack
Nach Pfingstens Aschenfest. Die blauen Wunden.
Zungen-Greuel. Dichtung
Holt aus dem Grab sprachloser Toter
Einen bestürzten Lazarus ans Licht, gemeinen Mann
Des Todes. […]
Eine besondere Verdichtung erhält das Gedicht durch die Erwähnung des Pfingstfestes, bei dem alle Missverständnisse und die Strafe von Babel aufgehoben werden und gleichzeitig wird diese Möglichkeit sofort wieder negiert und die Dichtung genau in diesen Fokus der Schuld gerückt.
Die Hoffnung liegt im Individuum, weshalb Hill, laut der Diskutanten, an jeder Stelle der Geschichte nach Märtyrern sucht, an denen sich ebendiese Hoffnung artikuliert. Hill bleibt ein religiös Suchender nach eben jenen Individuen der Geschichte. For the Unfallen ist auch in diesem Sinne ein gültiger Titel für sein Gesamtwerk.
Ohne zu sehr ins Akademische abzugleiten, bildete dieser Abend eine Balance zwischen Dichtung und Deutung, der das Publikum trotz der Fülle der Aspekte faszinierte und die Tiefe und Dunkelheit einer komplexen Sprache nicht eindeutig zu enträtseln versuchte.
Katharina Kohm
Geoffrey Hill: Für die Ungefallenen. Ausgewählte Gedichte 1959 - 2007. Übers. von Werner Koppenfels. München (Edition Lyrik Kabinett bei Hanser) 2014. 176 Seiten. 14,90 Euro.