Franz Blei: Das große Bestiarium der modernen Literatur, Teil 4
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Franz Blei:
Das große Bestiarium der modernen Literatur
(1922)
Teil 4
Kleine Grammatik für Anfänger
1.
Eine
grammatische Regel ist die Sanktion eines schönen Brauches, nichts mehr und
nichts weniger. Wer mit dem Brauche bricht, muß sehr erwogene Gründe sowohl als
auch Anstand besitzen.
2.
Hat auch der
Instinkt mehr Rechte über die Sprache als die Intelligenz, so ist es in
zweifelhaften Fällen doch besser, ein Wörterbuch und eine Grammatik um Rat zu
fragen, als das eigene Gefühl.
3.
Dies gilt
ganz besonders für jene jungen Leute, welche ihre Sprache nicht in einem
Dialekte, sondern in dem Argot einer Großstadt kennen gelernt haben. Oder
welche aus einer Branche des werktätigen Lebens – Handel und Industrie – in die
Literatur treten.
4.
Aber auch
für jene, welche die Sprache in philosophischen Seminarien gelernt haben. Diese
mögen sich erinnern, daß erwägen wägen heißt und daß alle abstrakten Worte
Figurationen eines materiellen Aktes sind.
5.
Über die
ausschlagende Bedeutung des Wortes und der Rede wird die Formel noch gegeben
werden. Vorläufig sei bemerkt, daß ratio = oratio, wie λογος Wort und Vernunft,
ἀλογος unredend und undenkend bedeutet.
6.
Und
erinnert, daß der Mensch, sich der Sprache bedienend, ihr Gefangener wurde auf
immer.
7.
Das Wort
folgte einer Bewegung, erfolgte aus ihr: gute Augen sehen noch die mimische
Bewegung. Man spricht, man denkt nach vorwärts.
8.
Nur ein
geringster Teil der Worte einer Sprache, der deutschen z. B., ist in der
Schrift fixiert. Die Schrift ist hinter dem gesprochenen Wort zurück, wie das
Wort immer etwas hinter dem Gedanken zurück ist.
9.
Da der
Mensch das Ganze nicht zu umfassen vermag, trennt er es in Teile. Er trennt, um
zu herrschen. Dies ist die erste Tätigkeit der Intelligenz. Analysieren, das
ist entbinden.
10.
Nicht zu
vergessen, daß wir mehr als vier Jahrtausende Schrift hinter uns haben. Das
kindliche Wunder der Metapher packt uns nicht mehr wie zu Zeiten Homers. Die
Freude an einem Bilde wissen wir kindlich. Aber wir wissen auch, daß unsere
Intelligenz keine andern Interpreten und Dolmetsche hat als die Bilder, die mit
einer Geste den »Sinn« unseres Gedankens anzeigen.
11.
Es kommen
deshalb die einsilbigen Sprachen, wie das Chinesische, zur Abstraktion nur
durch die Metapher, denn sie haben keine Organe entwickelt, die geeignet wären,
die verschiedenen Stufen der Analyse zu notieren. In den zarten Fingern des
Symbols behaupten sie, die flüchtige Essenz festzuhalten.
12.
Die Sprache
transponiert dank dem Gehör, von dem sie direkt abhängig scheint, in die Dauer
die Notierungen des Gesichtes, welche dem Räume zugehören. Man kann von einer
augenblicklichen Transmutation der Werte eines Sinnes in die Werte des andern
Sinnes sprechen. Aber während uns die beiden Ohren einen
identischen Eindruck geben, vermitteln uns unsere Augen von dem gleichen
Gegenstand zwei etwas verschiedene Bilder. Die Ohren messen die
aufeinander-folgenden Momente, kennen nur die Zeit. Das gehörte Gedicht läuft ab
und wir sind währenddem in dem Zustand einer gewissen Unsicherheit. Gegenstände
des Raumes kommunizieren uns die Augen sofort.
13.
Man kann nur
in Worten, das heißt in Bildern, denken. Darum führen die Worte die Welt, und
die Ideen gehören, in ihrer unmittelbaren Aktion, den Worten.
14.
Im Anfange
genügte es, Worte zu schaffen, um göttliche Figuren zu schaffen. Gewisse
Gottheiten des Rig-Veda sind nur verschiedene Bezeichnungen zum Beispiel der
Sonne, ihr gegeben entweder nach ihren Aspekten oder von verschiedenen Stämmen
des Volkes oder zu verschiedenen Zeiten. Im Verlaufe sterben dann die Götter
ins Abstrakte. Man kann von einer Eucharistie der Worte sprechen, durch die wir
mit dem Universum kommunizieren.
15.
Die Gottheit
als letzte Ursache und als zentrales Prinzip ist uns nur durch ihr proteiformes
Attribut faßbar. Das Wort ist das Attribut der Idee. Es bleiben uns zum spielen
nur die Reflexe. Uns unbewußt und auch, wüßten wir es, es nicht ändern könnend,
endet der Bezeichner damit, das Bezeichnete in sich aufzunehmen, und das
präponderierende Zeichen, ausgestoßen kraft der virtuellen Wahrheit der Dinge
wegen seines reinen Ausdruckes, wird Werkzeug des Irrtums.
16.
Der
Schriftsteller hat das feinste Ohr dafür, zu hören, wann in einem Wortleibe das
Herz zu schlagen aufgehört hat. Denn dieser herzlose Leib lebt noch lange
weiter und verlangt Achtung für das, was er einmal war. Und ist doch schon längst in die leere Abstraktion gestorben, in ein
Klischee. Nur ins Lächerliche ließe sich eine so abstrakt gewordene Konzeption
wie »Freiheit« anthropomorphisieren.
17.
Die Worte
sind Daguerreotypbilder: sie entfärben sich. Aber die Aspekte der Welt sind
unzählbar und wechselnd: ein Aspekt ist vorstellbar nur in Proportion zu allen
andern und in instinktiver Vergleichung. Daher wird immer geordnet, und diese
Klassifikation hob an mit der ersten wörtlichen Qualifizierung. Es herrscht
eine Hierarchie.
18.
Die
Reihenfolge im Traktement unserer Grammatiken beruht auf einem Brauche; sie
korrespondiert weder mit der Geschichte der Sprache, noch folgt sie einer
psychologischen Methode. Sprachgeschichtlich im Anfange steht das Pronomen und
das Verbum, und auch die Pronomina sind aus indikativen Partikeln konstituiert
worden, bezeichnend das Nähere und das Fernere. Sie schmolzen mit dem zusammen,
was später Adverb und Proposition werden sollte. Die aufzeigende Bewegung, die
Geste, welche der Wortbildung vorausging und sie begleitete, um zu
verschwinden, nachdem das Wort hinreichend fixiert war, wird in der Sprache
immer deutlich bleiben. Theoretisch reduziert sich alle Grammatik darauf, die
Termini einer variablen Beziehung zwischen Objekt und Subjekt mit allen
Resultanten und Umständen zu fixieren.
19.
Im
primordialen ›sein‹ sind Subjekt und Objekt ineinander geschmolzen. Ihm folgen
alsbald die Attribute des ›sein‹ und all das, was dem Subjekt zugehört, es
begleitet, qualifiziert. Durch die Besitzergreifung wird das Subjekt Herr des
Objekts, aber das Subjekt selber kann nur erwachen aus dem vielfachen Anstoß
des Objektes, vielfach wie die Gegenstände und Umstände des Lebens. Den
Expressionisten sei Hegel zitiert: Jede Wirkung ist die Ursache ihrer Ursache
und jede Ursache ist die Wirkung ihrer Wirkung.
20.
Alle
primitiven Verba sind qualitativ, drücken Variationen von ›sein‹ aus. Sie sind
den Pronomen analog, insofern sie eine innere Handlung, welche direkt das
Subjekt angeht, übersetzen. Das ausschließlich ein Tun ausdrückende Verbum ist
Frucht einer ersten Differentiation von Subjekt und Objekt. Psychologisch sind
alle grammatischen Kategorien das Resultat progressiver Differentiationen,
Knospenbildung am Stamme – am unendlichen?
21.
Du sollst
den Namen Gottes nicht eitel nennen. Das ist ein magisches Verbot, bei den
Primitiven sprachlich noch ganz lebendig, denn für sie ist der Gegenstand und
das ihn bezeichnende Wort noch ganz eng verbunden. Es gibt Stämme, deren
Glieder dem Fremden weder ihren eigenen noch den Namen ihres Dorfes sagen aus
Furcht, er könne bösen Gebrauch davon machen. Alles Heilige und daher alles
Gefürchtete darf nicht bei seinem Namen genannt werden. Genau so verfährt der
Argot: die sprachlichen Deformationen, zu denen Gruppen von Individuen gebracht
werden, fürchten sich, die magische Konzeption als Basis, aus Gründen einer
andern Ordnung, aber immer Personen und Dinge bei ihren wirklichen Namen zu
nennen und geben ihnen Namen aus Übereinkunft. Der Argot ist in einem gewissen
Sinn der Sprache gegenläufig, indem diese mitteilen, der Argot aber intentional
heimlich bleiben will: er dient der Verteidigung einer Gruppe. Der Argot bildet
sich in jeder Gruppe aus: im Liebespaar, in Handwerksgemeinschaften, in
politischen Bünden usw. usw.
22.
In dem
magischen Verbot, den Namen nicht eitel zu nennen, drückt sich vielleicht die
Tendenz aus, die Bezeichnung statisch zu erhalten und diese Statik vor
Erschütterungen möglichst zu schützen.
23.
Im tiefsten
Sinne des Wortes sind die Sprachen gegeneinander verschlossen. In jeder
Übersetzung geht etwas verloren und dieses Etwas ist das
flüchtige Wertvollste. Die Übersetzung zeigt die Unterseite einer Stickerei.
Sie gibt das Metall einer Münze, aber ohne dessen Prägung. Ich sage Stickerei
und Prägung: die Unübersetzbarkeit einer Sprache in eine andere gilt also nur
eingeschränkt. Man sagt, unübersetzbar seien Gedichte, weil deren
Eigentümliches bestimmt sei von einer Abfolge unnachahmbarer Klänge. Diese
Meinung sieht das Wesentliche nicht. Ich versuche, es in eine brauchbare
allgemeine Formel zu bringen.
24.
Die Physiker
unterscheiden eine kinetische und eine potentielle Energie, bezeichnen mit dem
ersten eine aktualiter ausgeübte Kraft, mit dem zweiten eine Kraft, die ein
Körper auszuüben in der Lage ist. Diese Terminologie, auf die Sprache
angewendet, stellt sich das literarische Mittel dar als eine gradierte Mischung
von kinetischem und potentiellem Sprechen. Kinetisch ist und nichts als das die
Wortfolge: der Zug geht um 8 Uhr 20. Eine rein kinetische Sprache gibt es als
literarisches Mittel nicht, auch nicht in der absurdesten Romanprosa. Nichts
als potentielle Sprache gibt es literarisch nicht, denn man kann aus Worten
keine Musik machen, oder Worte eines Gedichtes werden, mir vorgelesen, bloße
Klanggebilde dann, wenn ich die Sprache des Gedichtes nicht kenne. Jede
literarische Sprache jeder Zeit und jedes Volkes ist Mischung aus kinetischer
und potentieller Sprache: Grad und Energie dieser Mischung sind variabel im
Werke sowohl wie in den Literaturen der Zeiten und der Völker.
25.
Dem Liede
oder der Ballade, deren Sprache sich dem Kinetischen sehr annähert, ist das
Potentielle durch die in Rhythmus und Reim mitschwingende Musik gegeben. Ohne
diese Musik, etwa in Prosasätze aufgelöst, wäre die grobe Kynesis von »Über
allen Wipfeln« eine Banalität, als welche das Lied oft jenen erscheint, die es
nicht zu hören vermeinen. Auf die durch Rhythmus und Reim beigebrachte potentielle Qualität verläßt sich auch immer der Dilettant in
der Herstellung seiner Gedicht-Erzeugnisse. Das anzudeutende Extrem ist die
Primadonna, welche mit höchster Wirkung das Alphabet singt.
26.
Zur
Vermeidung des Mißverständnisses unserer Terminologie, daß damit als
literarisches Sprachmittel jenes bezeichnet sei, das eine doppelte Meinung
habe, also allegorisch sei, hat Robert Musil für potentiell das Wort irisierend
vorgeschlagen. Ich zitiere es, um damit das Gemeinte deutlicher zu machen. Es
hat die Formel nichts mit der Allegorie zu tun, auch nicht mit dem bewußten
Symbolismus. Sie betrifft nicht die Dinge, sondern die Worte selber, in deren
Wahl, Ordnung und Melos man die Verbindung kinetischer und potentieller Sprache
zu erkennen hat. Dies wird deutlich im Falle der Übersetzung aus einer Sprache
in eine andere. Ohne jeden Verlust ist rein kinetisches aus jeder Sprache in
jede Sprache übertragbar. Aber potentielle Sprache wäre es nicht, sondern wäre
kinetisch, wenn sie sich anders ausdrücken ließe als durch sich selber. Die
Übersetzung eines Gedichtes gibt nur dessen kinetischen Gehalt, den »Sinn«,
wieder, und der ist das wenigst wertvolle des Gedichtes. Die bedeutendste
Leistung deutscher übersetzter Kunst, Borchardts Dante und Swinburne sind
Gedichte Borchardts – Dantes und Swinburnes nur in der philologischen
Bedingtheit, nicht in der ästhetischen.
27.
Je näher ein
Gedicht dem kinetischen Sprechen kommt, um so größer ist seine Popularität und
umgekehrt: je stärker die potentielle Sprache eines Gedichtes ist, um so
»unverständlicher« wird es für die Menge, welche sich nur des kinetischen
Sprechens bedient in der Vorbringung von Fakten, Situationen, Geschichten. Da
die Prosa in der Regel einen größeren Teil kinetischen Sprechens enthält als
potentiellen, ist die Prosa mehr gelesen als das Gedicht. Im Zeitlichen: was
ehmals potentiell war, verliert dies: das ganze 18. Jahrhundert beurteilte das elisabethanische Drama kinetisch: dieses hatte
in diesem Zeitalter seinen potentiellen Charakter verloren, um ihn erst durch
die kritische Restauration Lambs wieder zu gewinnen. Die außerordentliche
Popularität des Verses im 18. Jahrhundert verdankt er seinem starken
kinetischen Charakter, der das Potentielle fast gänzlich verdrängte. Das Extrem
des Gedichtes im 18. Jahrhundert ist schlechte Prosa. Das Extrem des
symbolistischen Gedichtes – nommer un objet, c'est supprimer les trois quarts
de la jouissance du poème, qui est faite du bonheur de deviner peu à peu, le
suggérer, voilà le rêve (Mallarmé) – ist völlige Entsinnung zugunsten einer
suggestiven Musik.
28.
Voltaire
würde das fast rein kinetische seiner Gedichte als das gute Gedicht bezeichnet
haben, wie es Mallarmé mit seinem fast rein potentiellen Gedichte tat. Dieser
hat jenes schlecht, jener hätte dieses schlecht genannt. «Wer die Formel von
kinetischem und potentiellem Sprechen gebraucht, vergesse nicht, daß es sich
immer um eine Relevanz handelt.
29.
In einem
frühern Paragraph dieser kleinen Grammatik ist gesagt, daß der Gedanke immer um
ein kleines dem Worte vorhergeht, dem bestimmten Worte, das ihn dann ausdrückt.
Das wird ketzerisch jenen vorkommen, die aus den Worten denken, besser noch:
welche die Worte denken lassen, durch eine Wortwüste schwimmen, von einer
Wortoase zur andern, d. h. sich von stark mit Assoziationen geladenen Worten
diktieren lassen, was sie zu denken haben. Dies ist nur eine zeitgemäße
Notierung. Denn in früheren Zeiten wäre kein Anlaß gewesen, so
Selbstverständliches auszusprechen. Was auch von den folgenden Paragraphen zum
Kapitel Stil gilt.
30.
Der Stil ist
des Menschen, sagte Buffon. Er meint, er sei das Zeichen einer menschlichen
Intelligenz und Sensibilität, also der Person zugehörig und
änderbar nur mit dieser. Die Physiologie bestimmt ihn gewiß stärker als Lernen
und Belehrtwerden. Die Zahl des Gegenständlichen in der Kunst – »Motiv«,
»Sujet«, »Problem«, »Inhalt« – ist sehr beschränkt, aber unbeschränkt ist die
Zahl der Personen, welche diese Gegenstände denkend variieren. Daß die
nachgoetheschen Faustdichtungen nichts taugen, liegt nicht an der banal
gewordenen Fabel, sondern an der gewollten stilistischen Imitation der
Epigonen.
31.
Es gibt
keine Überlegungen des Stiles. Er kommt dadurch nicht zustande, daß man seiner
bedacht ist. Man sieht, empfindet, denkt und – riskiert die Mitteilung, das ist
alles. »Der große Schriftsteller,« sagt Ernest Hello, »gibt seinen Stil, das
heißt sein Wort.« Aber immer ist auch an des Naturforschers Wort »le style est
l'homme même« zu denken, der die Artikulation des Wortes in Abhängigkeit bringt
von besonderer Art des Schnabels, Befestigung der Zunge, Diameter der Kehle,
Kapazität der Lunge.
32.
Man spricht
von einem visuellen und einem emotiven Gedächtnis. Welche bloß das erste
besitzen, werden von einer Landschaft die Erinnerung eines mehr oder weniger
deutlichen Bilds bewahren. Der Emotive wird sich bloß der Empfindungen
erinnern, welche der Anblick der Landschaft in ihm auslöste. In glücklichen
Fällen gibt es eine sich das Gleichgewicht haltende Mischung beider
Gedächtnisse. Wo das Visuelle dominiert, dort wird man einen stärkeren Stilwillen
merken können, und dort, wo das Emotive stärker ist, wird, was man Stil nennt,
auf den zweiten Platz rücken, wohin es gehört. Es ist außer Zweifel, daß die
Visuellen, arbeitend wie Maler in Kombinationen von Farben und Worten,
intellektuell jenen unterlegen sind, welche für die Dinge die Zeichen
substituieren und sie ohne Intervention von Sensibilitäten mitteilen: denn
dieses ist die höchstmögliche Leistung dann, wenn, der sie übt, diesen Zeichen seine eigene Sensibilität zu geben vermag, kraft derer sie
allein den Sinn bekommen. Die Worte und Sätze werden lebendig nur von dem Leben
dessen, der sie braucht, nicht aber sind sie es schon durch die in ihnen
angehäufte Sentimentalität, was sie zu Klischees macht. Rilke ist der
umfangreichste Dichter dieser Klischees.
33.
Der Anfänger
achte darauf, daß die Worte nicht nur eine plastische und eine emotionale
Eigenschaft haben, daß sie nicht nur klingen und mehr oder minder selten sind,
sondern daß sie ihre Rasse haben; und daß viel auf die Reinheit ihrer Rasse
ankommt, denn in ihr liegt der Eigenwert des Wortes.
34.
Den Stil
bestimmt die Struktur des Denkens: das Material der Fakten erhält das Denken
von dem, mit dem es in Beziehung steht. Dieser Gedanke Taines ist der
fruchtbarste zu der ganzen Angelegenheit.
35.
Der
Vergleich, heute von denen meist unglücklich geübt, welche, man weiß nicht
warum, Kampf der Metapher ankündigen, ist die Elementarform der visuellen
Phantasie. Er ist, Vorläufer der Metapher, eine Metapher, in der beide
Vergleichspunkte genannt sind. In der Metapher ist nur ein Vergleichspunkt
genannt. Homer hat keine Metaphern. So wenig wie die älteren Veden, die ganz
symbolischer Ausdruck sind, wie alles Sakrale. Die Metapher ist durchaus
modern. Erst die modernen Dichter, ganz entsprungen dem Gefängnis des Wortes
und doch dessen Mal wie ein Sklavenzeichen tragend, können lügen. Flaubert kann
lügen, Homer nicht. Der Moderne opfert die visuelle Logik der imaginativen
Logik. Der Moderne vermag das doppelte, dreifache gleichzeitig auftauchende
Bild bei der Idee eines Faktums nicht zu dissoziieren. Der Antike sieht, die
Märtyrerin mit der Taube vergleichend, die Seele der
Jungfrau als Taube zum Himmel fliegen. Die Kinder werden mit Engeln verglichen,
also werden sie Engel im Himmel, wenn sie sterben. Die ersten schüchternen
Metaphern schufen, falsch verstanden, sekundäre Mythologien. Jedes Klischee war
einmal eine neue Metapher. Diejenigen, die heute gegen die Metapher sind,
gebrauchen sie trotzdem und unfähig, neue zu bilden: Klischees.
36.
Das Klischee
auszuschließen, ein solches Verlangen würde, erfüllt, jeden Satz rätselhaft
machen, so sinnlos wie die Forderung nichts als potentieller Rede im Gedichte.
Man muß nur die Scheiben der alten Laterne putzen und sie richtig halten, dann
kann sie besser leuchten als ein neuerfundenes Patentstreichholz. Man soll nur
Worte gebrauchen, deren Sinn man gut kennt, das heißt den symbolischen Konnex
mit der Realität. Die naive Dummheit ist weit wertvoller als die falsche
Gescheutheit. Jeder Stil ist nur so viel wert wie der Gedanke, den er mitteilt.
Alle gut gedachten Werke sind auch gut geschriebene. Aber der Satz gilt nicht
in seiner Umkehrung. Man darf sich nicht schreiben hören (wie die deutschen
Wildes).
37.
Jemand
schreibt »einen klassischen Stil«. Das wird gewöhnlich über Leute
schulmeisterlicher Art ausgesagt, die gar keinen Stil haben, also überhaupt
nichts zu schreiben haben. Diese Leute haben schreibend immer ihre
Sonntagskleider an und fordern die Aufmerksamkeit dafür vom Leser. Da ist keine
Zeile, die den Eindruck macht, als ob sie sich selber geschrieben hätte.
Solches Schreiben ist der bis ins Greisenalter perpetuierte Schulaufsatz, den
abzuschaffen höchste Zeit ist, wenn die Kunst des Schreibens gerettet werden
soll.
38.
Die Prosa
ist ihrem Wesen nach und aus ihren großen Künstlern dahin definierbar, daß der
Prosaist zwei Funktionen erfüllt: er integriert in die
geschriebene Sprache alles das aus der gesprochenen Sprache seiner Zeit, das
ihm erhalten zu bleiben wertvoll dünkt. Dies ist die eine Funktion. Die andere
ist: er formt Grammatik und Syntax über die subtilsten und lebendigsten
Bewegungen seines Denk-Fühlens, seines und dessen seiner Zeit. Er wählt und
verwirft nach einem unbekannten, aber ihm geläufigen Gesetze.
Quellenschriften des Bestiarium
Es erübrigt sich, den interessierten
Leser auf seine Lieblingsbücher zu verweisen, als da sind des Herrn E. Engel
»Historia Naturalis der teutschen literarischen Fauna im 19. Jahrhundert, aus
dem Genius der teutschen Sprache, wie ich sie rede, erfaßt«. Oder des Herrn
Bartels Werk »Die Deutschen Literatiere nach ihren Nasen betrachtet«. Oder des
Herrn Richard M. Meyer »Einer- und anderseitige Literatur des 19. Jahrhunderts
dem deutschen Gemüte nach«. Oder der ähnlichen Bücher von Kluge, Koch usw. Es
werden im folgenden Quellennachweis vielmehr nur Schriften aufgeführt, die sich
spezialisiert mit dem Gegenstande befassen. Und auch hier war Auswahl geboten.
Denn Tag um Tag kommt hier Neues an den Tag, den es heute nicht zu scheuen
braucht. Zahllos sind die staatlichen Institute oder Seminarien, in denen sonst
beschäftigungslose junge Leute aller Geschlechter von den dazu Berufenen in der
Erforschung unserer Tiere durch Wort, Zuruf, Schrift und ermunterndes Beispiel
angelernt werden. Man arrangiert Ausflüge zu den kürzlichen Geburtsstädten
moderner Dichter, deren glückliche Mütter sich oft nicht scheuen, das
Wochenbett zu verlassen, in dem sie noch von dem Dichter liegen, um die
wissensdurstige Schar zu empfangen. Man veranstaltet Bierabende und
Kegelschieben, um die noch Säumigen auf diesem Umwege zur Kenntnis der modernen
Literatur zu bringen. Aber nicht nur die offizielle Wissenschaft ist fieberhaft
tätig. Jeden Tag bringen auch die Gazetten neue Details. Vorträge überstürzen sich.
Preisaufgaben stoßen sich im Raume – kurz, es ist überwältigend zu sehen, mit
welchem Eifer sich eine Nation mit ihren Tieren beschäftigt. Hier also nur aus
erdrückender Fülle eine kleine Auswahl der wichtigsten Ergebnisse solchen
Eifers.
Sainte-Beuve, Causeries du Lundi. Tome 47. SS. 125 bis 210. Artikel
La Weigand.
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Αουχιανου
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nominum. Lipsiae s. d.
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in Germania provenientium. Lipsiae s. d.
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Patté, Verzeichnis von 2768
Grammophonplatten. Arien des Werfeis.
Schleich, Strindberg der Entdecker des
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Schering, Strindbergs benutztes
Toilettenpapier, gesammelt, übersetzt und herausgegeben. Zehn Bände. 1917-1921.
Biographische Belustigungen
Die beim deutschen Volke
beliebtesten Literaturgeschichten stellen den Inhaltsangaben der respektiven
Werke immer eine Erzählung des Lebens ihrer Verfasser voraus, kürzer oder
länger, je nach der Beliebtheit. Manche gehen weiter und verflechten Werk und
Leben des Belletristen oder Dichters in ein Ganzes, wobei das private Leben
immer dort den Faden aufnimmt, wo dem Historiker der ästhetische Faden ausgeht
oder umgekehrt. Der Erfolg des großen Bestiarium sollte nicht unter dem Mangel
solcher biographischer Belustigungen leiden. Wir haben sie vom kritischen Teile
sauber abgetrennt und geben sie in der essentiellen Form der Anekdote. Zu einer
umfangreicheren Konzession konnten wir uns nicht entschließen. Einerseits sind
wir, wie man sieht, theoretisch anders verpflichtet, andrerseits fürchteten
wir, bei näherer Kenntnisnahme des Lebens unserer Verfasser das geringe
Interesse, das sie uns einflößen, ganz zu verlieren. Mit den Anekdoten taten
wir unser Möglichstes. Ultra posse, nicht wahr?
*
Ein junger
revolutionärer Literat rief: »Ich brauche zehntausend Bourgeoisköpfe!« – »Ich
würde mich mit dem Ihren begnügen«, sagte Rudolf Kassner.
*
Jemand
fragte Arthur Schnitzler, der aus einer Gesellschaft kam, wie er sich
unterhalten habe. »Ohne mich,« sagte der Plauderer, »hätte ich mich sehr
gelangweilt.«
*
In Wien
wurde einmal der Nachlaß einer wegen ihrer Liebschaften mehr als wegen ihrer Kunst
berühmten Schauspielerin öffentlich versteigert. Einige bejahrte Damen fanden entrüstet, daß die Preise zu hoch gingen. »Diese Damen,« sagte
Franz Blei, »hätten die Sachen am liebsten zum Selbstkostenpreis. «
*
Bei der
Aufführung eines Stückes von Georg Kaiser sagte jemand: »Das Stück ist sehr
schmeichelhaft für Carl Sternheim.«
*
Es war
Schickele, der einmal die Annette Kolb le plus honnête homme du monde nannte.
Die selbige Annette nannte jemand in Bern, als sie große Sympathien für den
Kommunismus zeigte, die Précieuse radicale.
*
Auf den
ehrgeizigen Carl Sternheim hat man folgendes Epitaph verfaßt: »Hier ruht Carl
Sternheim. Es ist der einzige Platz, nach dem er nicht gestrebt hat.«
*
In Berlin
trat ein sehr mageres Tanzpaar auf. Wedekind sagte: »Es ist, als ob zwei Hunde
um einen Knochen rauften.«
*
Oscar Wilde
wollte einen Roman über die Blutschande schreiben und ihn Jean Lorrain widmen
als »Dem Einzigen, der mich verstehen kann«. »Aber,« sagt etwas konsterniert
Lorrain, »ich habe gar keine Schwester.« – »Mein Lieber, haben Sie nicht Ihre
alte Mutter?«
*
Jemand traf
Carl Sternheim allein in den Isarauen spazieren. »Was machen Sie da, Herr
Sternheim?« – »Ich unterhalte mich mit mir selbst.« – »Dann seien Sie auf der
Hut, Herr Sternheim, Sie unterhalten sich mit einem großen Schmeichler.«
*
K. Edschmid
las an einem Morgen seines achttägigen Pariser Aufenthaltes im Petit Journal,
daß nachts vorher in der Rue Frochot eine Rauferei gewesen und dabei ein
persischer Untertan verhaftet worden sei. Edschmid war es so, als hätte er vor
zwei Tagen eine Gasse passiert, die er Rue Frochot las. Er
pflegt seitdem gern zum Beweise seiner Lebenserfahrung seine Rede mit den
Worten einzuleiten: »Ich, der ich mich in Paris mit Persern stach...«
*
Wedekind
betrat ein Speiselokal, dessen alle Tische besetzt waren, bis auf einen, an dem
nur Halbe saß, mit dem er gerade »bös« war. Er ging trotzdem auf den Tisch zu,
fragte, ob hier Platz sei. »Ich pflege allein zu essen«, sagte Max knurrend.
Wedekind wies auf den Kalbskopf, den der berühmte Dramatiker verspeiste und
sagte: »Aber, Sie sind doch bereits zwei, Herr Doktor Halbe.«
*
Es war der
neue Roman »Das Herz in der Faust« von Ganghofer erschienen, und der Dichter
wurde von seinem kaiserlichen Herrn im Hauptquartier empfangen mit den Worten:
»Das war wieder mal ein Schuß ins Schwarze, mein lieber Ganghofer.« – »Wir tun
alle nur unsere gutdeutsche Pflicht«, sagte schlicht der Verfasser. Die gerade
anwesende Kaiserin zerdrückte gerührt eine Träne.
*
Franz Werfel
wurde im Kriegspressequartier damit beauftragt, Worte und Aussprüche zu
erfinden, die Kaiser Karl bei öffentlichen Anlässen von sich geben könne.
Werfel erfand mit vieler Freunde Hilfe eine Menge. Das beste Wort aber machte
der viel mehr als witzige Anton Kuh: »In meinem Reiche geht die Sonne nie auf.«
*
Altenberg
trifft auf der Straße einen seiner vielen ihm unbekannten Bekannten und wird
zum zweiten Frühstück eingeladen. Herr Buda macht auf Altenberg einen nervösen
Eindruck und erklärt das damit, daß er zehntausend Kronen in der Tasche habe.
Er wolle sie nachher auf die Bank tragen. Peter A.: »Auf die Bank? Um von einem
schmierigen Kommis darüber eine schmutzige Quittung zu erhalten? Für
zehntausend Kronen bekommen Sie das schönste Mädchen von Wien, das Ihnen und
Ihnen allein ihr Lächeln schenkt, ihre Seele, ihren süßen
Leib. Und die Bank? Kauft Papiere dafür, die Sie schlaflose Nächte kosten, die
Sie, auch schlaflos, aber wie anders, in den Armen...« Altenberg redet sich in
Ekstase, Herr Buda springt auf, er werde in zehn Minuten wieder zurück sein.
Herr Buda kommt zurück. »Meine Nervosität war zu groß. Ich habe mein Geld auf
die Bank getragen. Ich hab nur zwanzig Kronen zurück behalten.« – »Zwanzig
Kronen? Dafür können Sie das schönste Mädchen von Wien haben.« – »Was für ein
Mädchen?« – »Von dem ich Ihnen vorhin erzählt hab, das schönste Mädchen von
Wien, nur viel jünger.«
*
Jemand, der
viel von Altenbergs Witz gehört hatte, setzte sich an seinen Tisch. Peter
schwieg eine geschlagene Stunde lang. Der Herr äußerte sein Erstaunen. Darauf
Altenberg: »Ich glaube, Sie verwechseln mich mit dem Doktor Friedell.«
*
Flake sagt,
daß ihm ein Manuskript gestohlen worden sei. Schickele bemerkt: »Der Dieb kann
nur einer sein, der nie was von dir gelesen hat.«
*
Wilhelm II.
hatte nach Sanssouci seine Tafelrunde geladen: Lauff, Ganghofer, Herzog, den
Dichter von Charleys Tante und Leoncavallo. Clewing hatte seine Gitarre
mitgebracht, daher bliesen Majestät nicht die Flöte. Sonst aber war alles
fridericianisch.
*
Wedekind war
in Komplimenten nicht glücklich. Einer Schauspielerin, welche in der Rolle der
Kleopatra aufgetreten war und meinte, für die Rolle müsse man schön und jung
sein, sagte Frank: »Nun, meine Gnädige, Sie beweisen das Gegenteil.«
*
Schüchtern
wie Wedekind war, fiel er immer mit der Tür ins Haus und manchmal auch gleich
durch das ganze Haus durch. Manche seiner Tischdamen werden
sich seiner stereotypen Frage nach der ersten halben Stunde Schweigens
erinnern: »Mein Fräulein, sind Sie noch Jungfrau?« Von einer Siebzehnjährigen
bekam er einmal die Antwort: »In Ihrer Gesellschaft bliebe ich es bestimmt bis
an mein Lebensende.«
*
Dem höchst
fruchtbaren und redseligen C. Hauptmann entschlüpfte in einer Gesellschaft ein
Geräusch. Jemand sagte: »Dieser Ton von ihm ist mir lieber als wenn er redet.«
*
Wedekind lag
an einem gebrochenen Bein zu Bett und Halbe besuchte ihn, trotzdem man »bös«
war. Man versöhnte sich. Als Wedekind wieder ausging, begegnete ihm der
berühmte Verfasser schöner Stücke, der ihn grüßte. Wedekind sah in die Luft.
»Aber Frank, wir haben uns doch versöhnt!« – »Das war nur für den Sterbefall,
Herr Doktor Halbe«, sagte Frank und ging weiter.
*
Schnitzler
sagte: »Als Redakteur der Schönen blauen Donau hat mich Rudolf Lothar in die
Literatur gebracht, jetzt hätte er mich allerdings lieber wieder draußen.«
*
Hermann Bahr
wollte vor Jahren eine Reise nach Rußland machen, hatte aber nicht genug Geld.
»Ich schreib halt erst die russische Reise und fahr für das Honorar hin,
nachschaun, ob's stimmt.« Damit ist H. Bahr auch, wie alles sonstigen Modernen,
der Stammvater des Expressionismus geworden.
*
Vom
Nebenzimmer aus vernahm man Geräusch eines lebhaft geführten Gespräches, das
Carl Sternheim und ein sächsischer Diplomat miteinander führten. Und zwar über
Marx. Erst nach eineinhalb Stunden kamen die beiden Herren darauf, daß
Sternheim den Marx, Herr von N. den Max von Baden gemeint hatte.
*
Max Halbe wurden in einem Berliner Hotel die Stiefel
gestohlen. Er depeschiert seiner Frau: »Stiefel gestohlen, kann nicht reisen.«
Antwort von Frau Halbe: »Unbegreiflich. Nimm sofort besten Anwalt.«
*
Friedell stand
vor einer gerahmten Sache, auf der mit blauer und roter Ölfarbe Kreise und
Elipsen gemalt waren. Der Maler erklärte, das sei Ragusa. »Da sehen Sie«, sagte
Friedell, »wie ich von Kunst gar nichts verstehe. Ich hätte das für Spalato
gehalten.«
*
An dem Tage,
da der achtzehnjährige Lyriker T. Kriegsminister wurde und zum ersten Male mit
einem Portefeuille –. Wie? Aber die Anekdote ist ja schon zu Ende, meine
Herren.
*
Franz Hessel
hat lang in Paris gelebt und Heimweh danach. Ich treffe ihn in München, es scheint
die Sonne. Aber er hat den Regenschirm aufgespannt, die Hose aufgekrempelt.
»Warum denn, Herr H.?« – »Es regnet in Paris,« sagt er.
*
November 19
sagte Sternheim: »Man kann schon wieder mit Paris verkehren.« Meine Bemerkung,
es dürfte noch Peinlichkeiten haben, überhörend, fährt er fort: »Ich habe
gestern zwei Hypotheken nach Frankreich vergeben.«
*
Als
d'Annunzio, il Imaginifico, in seiner Villa in Capponcina wohnte, kam er jeden
Sonntag mittag in schneeweißem Anzug auf alabasterweißem Schimmel auf den
Marktplatz geritten und hörte da, unbeweglich er und das Pferd, der Musik der
Dorfkapelle zu. »Signore Gabriele probiert sein Monument,« sagten die Bauern.
*
Als Wilde im
Sterben lag, sagte ein Bekannter zu ihm: »Wenn Sie droben im Himmel meine Frau
sehen, sagen Sie ihr –« Wilde unterbrach: »Ach besorgen Sie
doch Ihre Angelegenheiten selber.«
*
Einige
Wochen nach einer Börsenhausse erzählt Sternheim bei dem Dichter E. A.
Rheinhart: »Ich hab da ein paar Literaten Tipps gegeben, und sie haben ganz
nett verdient. Mein Gott, keine großen Summen, aber für einen Literaten ganz
nett.«
Verabschiedung des Lesers
Auch das
Beste muß einmal zum Schluß kommen. Zumal Dickleibigkeit dem Bestiarium im
guten Fortkommen nicht hinderlich sein soll. Aber es wird demnächst der Vorhang
aufs neue in die Höhe gehen und agiert soll werden: Neue Gespräche Goethes mit
Eckermann. Mit allerlei Scherz- und Zwischenspielen. Man sei aber immer an das
gute Wort von Chesterton erinnert, das lautet: It is better to speak wisdom
foolishly, like the Saints, rather then to speak folly wisely, like the Dons.
Unzufriedene werden sagen, daß sie hier die Weisheit vergeblich suchten. Denen
aber sage ich mit dem Apostel: »Nicht daß ich es schon ergriffen hätte oder
schon vollkommen sei, ich jage ihm aber nach, ob ich es auch ergreifen möchte.«
Wobei mir einfällt, daß ich diese Verabschiedung des Lesers recht eigentlich
mit Zitaten füllen könnte, da Zitieren einen kenntnisreichen und gebildeten
Eindruck macht und der Leser, zumal der deutsche, solchen Eindruck liebt. Nahe
liegt da Jean Paul mit dem Satze: »Ideen sind unser Schwert, die Literatur
unser Schlachtfeld.« Etwas weiter hergeholt, aber passend ein Satz aus dem
Novum Organon des Bacon: »Intellectui non plumae, sed plumbum addenda«, was ich
übersetze: »Dem Geiste tut nicht Federn (Karl), sondern Blei (Franz) not.«
Das
Bestiarium ist, ich weiß es, der Gefahr ausgesetzt, von den Witzbolden
mißverstanden zu werden, zumal bei uns, wo mangels esprit der Witzbold so
heimisch ist wie der Trauerbold, jener von diesem durch einen untiefen Abgrund
getrennt, über den das fragliche Gebilde des deutschen Humores
die Brücke zu schlagen versucht. Ich weiß mich jedes Humores gänzlich
unschuldig. Ich bin mehr für die fröhliche Weisheit des Lächelns, jene
gentilezza des Lächelns, welche den Lächelnden in das Belächelte einschließt.
Dazu gehören als Voraussetzung Freiheit und Froheit des Geistes, Gefühl guten
Blutes, nachbarlicher Anstand, liebwerte Sitten, – lauter Tugenden, die, wie
man weiß, die heutigen Deutschen in so hohem Maße besitzen.
Nun sage ich
Adieu. Der Mannigfaltigkeit dieses Inhaltes wenigstens eine äußere Einheit zu
geben, folgt hierauf ein von Katja Schatzberger genau angefertigtes Register
der Personennamen, Edschmid neben Homer, Bonsels neben Goethe und Karl Kraus
neben
Ihrem Diener
Fr. Blei.
Register der Eigennamen
Abraham a St. Clara
Alexander d. Gr.
Altenberg
Anakreon
Andrian
d'Annunzio
Archilochos
Archimedes
Auernheimer, R.
Aurelius Ambrosius
Avenarius, Richard
Baco von Verulam
Bahr, H.
Beer-Hoffmann
Barrès, M.
Bartels, A.
Bauch, Prof.
Baudelaire
Baudisch, O.
Baumgarten, F. F.
Becher, J. R.
Beethoven
Bekker, P.
Benedikt, M.
Benn, G.
Bergson
Bie, O.
Bierbaum, O. J.
Bizet
Björnson
Blei, F.
Bleibtreu, K.
Bloch, E.
Bloehm, W.
Boecklin, A.
Boelsche, W.
Bonsels, W.
Bourget, P.
Borchardt, R.
Borchert, Prof.
Borgia, Cesare
Brod, M.
Brombacher, H.
Brezina, F.
Bronnen
Browning, R.
Buber, M.
Buddho
Buffon
Burte
Busse, C.
Byron
Cabell
Caesar, Jul.
Cassirer, P.
Cézanne
Chamberlain
Chesterton
Claudel, P.
Clewing
Coleridge
Conrad, M. G.
Conrad v. Hötzendorf
Courts-Mahler
Croce, B.
Dalago, K.
Dante
Darwin
Däubler, Th.
Dauthendey, M.
Dehmel, R.
Descartes
Dilthey, W.
Döblin, A.
Dostojewski
Dröhm
Dumas fils
Dyck, van
Eckermann
Edschmid, K.
Ehrenstein, A.
Einstein, K.
Eloesser, Dr.
Emerson, R. W.
Engel, Prof.
Ernst, P.
Essig, H.
Eulenberg, H.
Eucken, Prof.
Euripides
Ewers, H. H.
Federn, K.
Feistauer
Fischer, J.
Fischer, S.
Flaischlen, C.
Flake, O.
Flaubert
Fontana, M.
Förster, F. W.
France, A.
Frank, L.
Freiligrath
Freksa, F.
Frenssen
Freud, S.
Frey
Friedenthal, J.
Friedell, Dr.
Fulda, L.
Fuchs, B. A.
Funk, Ph.
Ganghofer, L.
Gauguin
George, St.
Gerardy
Gide, A.
Ginzkey
Giotto
Godwin, K.
Goethe
Gogh, van
Goltz, J. v. d.
Gorki, M.
Gourmont, R. de
Greco, Il
Grillparzer
Groos, K.
Gulbransson, O.
Gundelfinger
Gundolf
Guenther, Chr.
Gütersloh, P.
Haeckel, E.
Haendl
Halbe, M.
Hamsun, K.
Handl-Mazetti, E.
Hardekopf, F.
Harden, M.
Hardt, E.
Hasenclever, W.
Hatvany, L.
Hauptmann, Carl
Hauptmann, Gerhard
Hausenstein, W.
Hauser, K.
Hecker, Th.
Heer, J. C.
Heim, Dr.
Heimann, M.
Hello, E.
Hennings, E.
Heraklitos
Herrick, R.
Herzl, Th.
Hesse, H.
Hessel, F.
Herzog, L.
Heymel, A. W.
Hille, P.
Hiller, K.
Hindenburg
Hölderlin
Hofer, K.
Hofmannsthal
Holz, A.
Homer
Huch, R.
Hugo, V.
Humboldt, W. v.
Huysmans, J. R.
Ibsen
Ingres
Jacobsohn, S.
Jammes, F.
Jean Paul
Jensen, J. V.
Johst, H.
Kafka, F.
Kaiser, G.
Kant, J.
Karlchen
Kassner, R.
Keats
Keller, G.
Kellermann, B.
Kerr, A.
Keyserling, Graf
Kiepenheuer
Kierkegaard, S.
Kipling, R.
Kippenberg, A.
Klabund
Kleist
Kluge, Prof.
Kokoschka
Kolb, A.
Kolbenheyer
Kornfeld
Korolenko, W.
Kranewitter
Kraus, K.
Kutscher, A. Prof.
Lasker-Schüler
Lauer, K.
Lauff, K.
Lautensack, H.
Leibnitz, W.
Lenau, N.
Lenz, M. R.
Leoncavallo
Lessing
Liegler, K.
Lienhardt, F.
Liliencron, D. v.
Lissauer
Loerke, O.
Lothar, R.
Lowell, W. D.
Lukianos
Luther, M.
Maeterlinck
Maistre, J. de
Marées, H. von
Marinetti
Mallarmé, St.
Mann, H.
Mann, Th.
Marc, F. Marie Madelaine
Marlitt
Martens, K.
Martersteig
Maupassant
Max von Baden
Melas, M.
Mell, M.
Mencken, L. B.
Meredith, G.
Meyer C. F.
Meyer, R. M.
Meyrink, E.
Michelangelo
Mimnermos
Molière
Molo, W. von
Mombert
Mörike
Morgenstern, Chr.
Müller, G.
Müller, H.
Müller, R.
Muncker, F. Prof.
Münchhausen, von
Musil, R.
Nadler, J.
Negelinus, Dr.
Nerval, G. de
Nietzsche
Nithart
Noske, Gen.
Oehlke, Prof.
Ompteda, von
Pascoli, G.
Pannwitz
Paulus
Peladan, S.
Perikles
Petronius
Peyronnet, A.
Pfemfert, F.
Phidias
Philippe, Charles Louis
Pindaros
Platon
Plutarchos
Polgar, A.
Prévost, M.
Presber
Propertius
Pulver, M.
Rabindranath Tagore
Racine
Raffael
Rathenau, W.
Reiser
Reiß, E.
Rembrandt
Renan, E.
Rilke, R. M.
Rimbaud, A.
Ringelnatz, J.
Rosegger
Rossetti, D. G.
Rostand, E.
Rowohlt, E.
Ruskin
Salus, H.
Salten, F.
Salz, Prof. A.
Sand, G.
Sardou
Sainté-Beuve
Shakespeare
Shaw, B.
Schaeffer, A.
Schaukal, R.
Scheidemann, Gen.
Scheler, M.
Schering
Schiebelhuth, H.
Schickele, R.
Schiller
Schlaf, J.
Schleich, Prof.
Schlenther, P.
Schmidtbonn
Schmitz, O. A. H.
Schnack, F.
Schnitzler, A.
Schönherr
Scholtz, W. von
Schröder, R. A.
Schwabach, E. E.
Simon, H.
Sokrates
Sombart, W.
Sorge, J.
Spengler, O.
Spielhagen
Spitteler
Staackmann
Starke, O.
Steffen, A.
Stehr, H.
Stein, Frhr. v.
Steiner, R.
Stendhal
Sternheim, C.
Storm
Stößl
Stratz
Strauß, E.
Strauß, R.
Stresemann, Dr.
Strindberg
Stucken
Suarès, A.
Sully Prudhomme
Swinburne
Taine, H.
Tennyson
Thoma, L.
Tönnies, Prof.
Tolstoi
Torquemada
Tovote, H.
Trebitsch, S.
Treitschke, H.
Tröltzsch, Prof.
Tyrtaios
Ullmann, R.
Unruh, F. von
Vaihinger, Prof.
Vergil
Verhaeren, E.
Vischer, F. T.
Villon, F.
Vollmöller, K.
Voltaire
Wagner, R.
Walser, R.
Wassermann, J.
Weber, M. von
Wedekind, F.
Weigand, W.
Weininger
Weiß, Konr.
Werfel, F.
Whitman, W.
Wieland
Wilamowitz, Prof.
Wilde, O.
Wildgans
Wilhelm II.
Wille,
Wolff, K.
Wolfenstein,
Wolfskehl, K.
Wolters, Fr.
Zahn, E.
Zech, P.
Zobeltitz
Zola, E.
Zuckerkandel, B.
Zweig, A.
Zweig, St.