Fragen an Dinçer Güçyeter , ELIF Verlag
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DAS DIGITALISIEREN DES
POETISCHEN KÖRPERS
Fragen an Dinçer Güçyeter , ELIF Verlag
Lieber Dinçer,
Gibt es, deiner Meinung nach,
eine Tendenz zur Zensur? Ist die öffentliche Hand mit ihrer Gießkanne irgendwie
verleitet durch Hörensagen zu fördern, durch Einflüsterungen, und entsteht
dadurch sogar eine gewisse Zensur, willentlich oder nicht willentlich?
Mir darf man eigentlich
diese Frage nicht stellen. Als Sohn einer Gastarbeiterfamilie bin ich, was die
Zensur angeht, ein gebranntes Kind. Es war für viele nicht verständlich, wie
ein Hauptschüler einen Lyrikverlag gründen kann, auch der Kulturbetrieb will
Diplome, Status sehen. Diese kleinkarierte Wichtigtuerei hat dem Zusammenleben
der Kulturen genauso geschadet wie
die mit Regeln überladene Bürokratie. Neben der Zensur gibt es die große Angst. Ohne mich auf Mitleidstour zu begeben:
Als ich in den Anfängen einem Rezensenten
einen Gedichtband mitgeben wollte, sagte er erschreckt, dass er keine
türkischen Bücher rezensiere. Der
Band war von Anke Glasmacher, Brot&Spiele, der Verlagsname ELIF in kleinster Schriftgröße
auf dem Cover hatte ihn in Verlegenheit gebracht. Was wir hier machen, nennen
wir Lyrik, ein Kosmos ohne Grenzen. Und doch gibt es immer noch Ängste vor dem
Unbekannten, oder die Bequemlichkeit, ich
weiß es nicht! Es kommt aber eine laute Generation, die alle Regeln,
Schablonen, Fossilien umhauen wird.
Fühlst du dich und mit
deinen Bemühungen um die Literatur – auch ohne Verlagspreis die letzten beiden
Jahre – ausreichend anerkannt, um weiterzumachen?
Schwierig zu beantworten! Vor neun Jahren haben wir aus Lust
und Laune mit diesem Abenteuer angefangen. Ohne Konzept, ohne Finanzierungsplan etc. Bevor mir die KNV damals die Vertriebsvereinbarung schickte, sagte mir die zuständige Dame, Herr Gücyeter, überlegen Sie sich das nochmal, sie werden die Hölle
betreten. Großkotzig hab ich
geantwortet, dass ich aus der Hölle komme. Mittlerweile sind es um die 50
Veröffentlichungen geworden.
Wenn ich mir heute all die Rezensionen ansehe, die ganzen Veranstaltungen, den
ganzen Austausch mit Dichter*innen:
Ich bereue es auf gar keinen Fall. Auch was den
Buchverkauf angeht, hat ELIF ein Level erreicht, das vor 4-5 Jahren
unvorstellbar war. Der Deutsche Verlagspreis
ist ein Thema für sich, über das ich
(noch) nicht reden möchte. Ja, es war schwer! Ja, es gab sehr viele Nächte, die
ich schlaflos verbracht habe. Die andere Seite der Medaille: Keiner hat mich dazu gezwungen, dieser Weg war
meine Entscheidung und ich werde den
Weg weitergehen, so lange meine Kräfte es
mir ermöglichen. Von einer Bestätigung wie
einem Verlagspreis abhängig zu sein,
ist Gift!
Kannst du deine geplanten
Projekte weiterverfolgen? Oder musst du schieben und größere Projekte erstmal
als zu riskant fallenlassen?
Nur zwei Gedichtbände
haben wir jetzt auf Frühling 2021 verschoben, alles andere bleibt wie geplant.
Falls die Förderpolitik
auch auf Länderebene durch Geldmangel, verursacht von der Corona-Krise,
eingeschränkt werden sollte oder die Unterstützungs-möglichkeiten unklar
bleiben, was ändert sich da mental bei dir?
Nichts! Wenn wir keine
Bücher drucken können, dann komme ich mit meinen Dichter*innen trotzdem
zusammen, wir werden weiter über
Gedichte sprechen, zusammen Pommes
essen, davon träumen, wie geil das eine oder das andere Buch ausgesehen hätte.
Ich kann mich an keine Zeit erinnern, wo das Thema Geldmangel nicht im
Mittelpunkt stand, und doch waren wir alle begabt genug, trotz
dieses Mangels etwas Schönes,
Handfestes zu produzieren. Wenn Leser*innen uns im Stich lassen oder keine Freude
mehr an unseren Büchern haben sollten, erst
dann sollte alles wieder überdacht werden. Als ich diesen Weg eingeschlagen habe, glaubte ich nur an
mich. Ümit, unser Grafiker, hat sich auf meine Seite gestellt, dann kamen Wolfgang und all die Dichter*innen des
Verlags; sie alle, wirklich alle,
haben einen Teil der Fracht auf eigene Schultern genommen. Auch wenn ich nicht
auf meine Rechte verzichten möchte,
auch wenn es weh tut, dass manches in der Branche nicht gerecht gehandelt wird,
gehe ich mit den genannten Köpfen den Weg weiter.
Jetzt keine Messen, keine
Lesungen, wo ist noch Präsenz für dein Verlagsprogramms möglich?
Als Kind verbrachte ich
meine Sommerferien mit meinen Eltern in einem kleinen Dorf Anatoliens. Wie aus
der Erde geschossen, standen
plötzlich Roma/Sintis vor der Haustür, die Gardinen, Stoffe, Töpfe anboten.
Viele im Dorf verriegelten sofort
ihre Türen, es gaben auch Menschen, wie meine Mutter, die gerne bei diesen
Händlern kauften. Genauso wie diese Händler packe ich in meine Tasche
Programmhefte, verteile diese, spreche die Buchhändler*innen, Rezensent*innen,
Redaktionen an, bombardiere sie
mit Mails, sie können es ja höchstens ablehnen, was soll´s. Was mich überrascht: Ich war mal ein sehr schüchterner Mensch und wenn
ich sehe, was der Buchmarkt aus mir gemacht hat, heavy! Über soziale Medien,
deren Einfluss/Reichweite man nicht
mehr leugnen kann, versuche ich, die Bücher zu verbreiten. Bisher hat es geklappt, und es gibt mittlerweile eine
Kernkundschaft, die fast alles bestellt und liest.
Die Einnahmen bei
Lesungen sind zurzeit in weiter Ferne. Wie lässt sich das kompensieren?
Leider müssen viele
Autor*innen zurzeit mit diesem
Handicap leben. Für viele aber ist diese Einnahmequelle unverzichtbar. In den
letzten Wochen höre ich öfter, dass viele den Antrag auf Hartz IV beim Jobcenter gestellt haben, das
bricht mir das Herz. Ich finde die Lage der Autor*innen in diesem Punkt viel schwieriger als die der Verlage. Büchertische haben bei uns etwa
10% ausgemacht, was den Buchverkauf angeht.
Lesungen als
Streaming-Veranstaltungen? Vom Zuhause der Autor*innen aus? Aus dem Verlag, mit
quasi einer Verlags-CI?
Kurz nach Corona haben viele Kolleg*innen mit Streamen angefangen, besonders im April gab es manchmal mehr als 2-3 Lesungen an jedem Abend.
Als Dichter habe ich Anfragen dazu abgelehnt.
Ich schätze diese ganze Mühe sehr, doch wenn ich ehrlich sein darf, die
Aufnahmen/Tonqualität, die ich gesehen/gehört habe, haben mich zu dieser
Entscheidung gebracht. Als Verleger habe ich mich nicht für Livesendungen, sondern für Poetry-Clips
entschieden. Die Dichter*innen haben mir ihre aufgenommenen Texte
als reine Tonaufnahmen zugeschickt,
und ich habe diese mit ein wenig Bildmaterial untermalt. Auf dem Fahrrad mit einer Kamera durch die Gegend zu
fahren und Bildmaterial zu sammeln,
war eine schöne Erfahrung. Wollte, glaube
ich, meine Dichter*innen auch ein
wenig in Schutz nehmen, keiner von denen muss sein Arbeitszimmer, Wohnzimmer in die Öffentlichkeit stellen. So mit
den Poetry Clips war es ganz einfach, wenn die Leute die Clips nicht gut fanden, dann war ich es schuld und
nicht die Dichter*innen. Diese Verantwortung übernehme ich gerne!
Das Kultische von Lesungen ist durch die
plötzlich erzwungene, doch insgesamt stetig vorangetriebene Digitalisierung in
etwas Unkörperliches verlagert, weg von Übertragungs-möglichkeiten direkter
Präsenz, hin zu einer Distanz, weil letztlich nurmehr noch „Übertragung“ im
Sinne von Infizierung als Gefahr und Verantwortungslosigkeit des Individuums
gegenüber einer Gesellschaft verstanden wird. Das ist neu, und die Frage
bleibt, inwieweit diese neue Angst gegenüber realer Gegenwart auch nach Corona
bleiben wird und einen Schatten auf Theater, Fußball, Konzerte und Lesungen
werfen wird.
Meine Meinung: Auf
Dauer sind diese Übertragungen unerträglich. Die ganze Essenz geht verloren. 3
Sat sendet ja schon seit Jahren Theaterstücke. Bei aller Liebe zum guten
Willen, mir bleibt das Ganze ohne Fleisch und Blut, die Essenz geht dabei
flöten. Was aber stimmt: Die Regierungen sind geil auf diese Schiene,
Menschen müssen noch mehr vereinsamen, damit sie besser unter Kontrolle
gehalten werden können. Was wir aber nicht vergessen dürfen, oft
hat der Schweißgeruch der Schauspieler*innen, ein Versprecher der Autor*innen auf der Bühne viel mehr Erotik als das
Gezeigte auf dem Bildschirm.
Empfindest du eine digitalisierte
Anwesenheit als Surrogat? Als ein Image, das Dabeisein nur vortäuscht, ja
letztlich vielleicht sogar eine institutionelle Kontrolle bewirkt, und je mehr
es ein Bild prägt, desto mehr verliert der Text an Bedeutung, tritt zurück? Es
sei denn er ist ein Narrativ, ein Stück, eine Rede, eine Predigt, ein Manifest,
eine Unterhaltung (s. Talkshows)?
Ich weiß gerade nicht, für welche Richtung sich die
Nachwuchskünstler*innen entscheiden werden. Ich selber hätte an eine nur digitalisierte Anwesenheit kein
Interesse. Alles, was ich bisher gemacht habe, passierte vor Menschen. Egal ob
gut oder peinlich, durch diesen Austausch habe ich alle meine Erfahrungen
gesammelt, die mich geformt haben.
Der Körper fehlt, die
Übertragung im rituellen Sinne ist obsolet – der Abstand zu groß, es kann
nichts überspringen wie bei einem Vortrag, einer Darbietung, einem gemeinsamen
Erlebnis und somit auch keine Solidarität erzeugen?
Nein, geht nicht, aber der Mensch ist manchmal komisch, gewöhnt
sich schnell an das bequeme und günstige Angebot. Dadurch verliert alles, was du in all
den Jahren sorgsam wie mit Pinzette
aufgebaut hast, seinen Wert. Die Fernbedienung oder die Tastatur ist
ungeduldig, in einer Sekunde bist du aus der Bildfläche und der nächste ist
dran. Nichts für mich!
Dennoch bleibt das Buch
eine letzte physische Instanz, haptisch – und wird als letzte Bastion gegen die
Digitalisierung des poetischen Körpers zu verteidigen sein – oder wirst du auf
eBooks umschalten? Und es gibt ja auch Hinweise darauf, dass dadurch, dass die
Menschen an zuhause gebunden werden und es weniger Veranstaltungen gibt, der
Verkauf von Büchern eher anwachsend ist: Mehr Bücher gelesen werden? Oder
weniger?
Das Buch wird bleiben,
Theater ebenso. Ob diese große Auswahl
noch ein Schaufenster bekommt, das ist fraglich. Buchverkauf: Ich sehe es an mir, alle Bücher, Manuskripte, die
ich in den Anfängen der Corona-Zeit gelesen habe, sind nicht gespeichert. Das
Gehirn war auch beim Lesen immer mit anderen Dingen beschäftigt, die Schule der
Kinder, ihre Hausaufgaben, was wird noch abgesagt usw. Anfang Mai habe ich mir
dann gesagt, vergiss es, mach in Ruhe deine Arbeit, oft kann man die Situation
sowieso nicht ändern. Es hat mir
auch, ehrlich gesagt, gut getan, nach der ganzen Rennerei in den letzten Jahren
zu wagen, einiges aufs Eis zu legen. Hier möchte ich mich besonders bei
Buchhändler*innen und Leser*innen bedanken, die immer wieder nach der Situation
des Verlages gefragt, Bücher bestellt haben. Der Buchverkauf ist im
Gegensatz zum Vorjahr aber um 20% gesunken. Noch ist es zu verkraften. Ich hoffe für uns alle, dass spätestens im Herbst
die Quote wieder zunimmt. Wir alle haben ja noch
einiges vor :)
Vielen Dank, Dinçer
Gern geschehen.