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Fernando Pessoa: Herden-Geist

Gedichte > Zeitzünder

Fernando Pessoa



„Ist nun die Kunst ein gesellschaftliches Phänomen, so steckt in ihrer Gesellschaftlichkeit schon das Herdenelement; zu klären bleibt, wo das trennende Element in ihr zu finden sei. Außerhalb der Kunst dürfen wir es nicht suchen, denn dann gäbe es innerhalb der Kunst ein ihr fremdes Element, und sie wäre um so viel weniger Kunst; wir müssen es innerhalb der Kunst suchen – das bedeutet: das trennende Element muss sich auch innerhalb der Kunst und als Kunst darstellen. Das heißt nun: innerhalb der Kunst, die vor allem ein gesellschaftliches Phänomen ist, müssen der Herdengeist wie der Trennungs-Geist gesellschaftliche Form annehmen. Der trennende Anti-Herden-Geist tritt, soviel ist sicher, in zwei Gestalten auf: Entfernung von den anderen und Bezwingung der anderen durch das Individuum – Isolierung und Herrschaft. Von diesen beiden ist die letztgenannte die gesellschaftliche Form, denn Sich-Isolieren heißt aufhören, gesellig zu sein. Kunst ist folglich vor allem anderen eine Bemühung, die anderen zu beherrschen. Selbstredend gibt es verschiedene Möglichkeiten, um die Mitmenschen zu beherrschen oder ihre Beherrschung zu versuchen; die Kunst ist eine von ihnen. Zum Beherrschen oder Besiegen führen zwei Verfahren – für sich gewinnen und unterwerfen. Für sich gewinnen ist die Herden-Art des Beherrschens oder Besiegens; unterwerfen ist die Anti-Herden-Art des Beherrschens oder Besiegens.“


(Fernando Pessoa: Aufzeichnungen zu einer nicht-aristotelischen Ästhetik)

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