Direkt zum Seiteninhalt

Felix Philipp Ingold: Wiesengrund - The Mad Scene

Theater / Kunst > Kunst
Felix Philipp Ingold
Wiesengrund - The Mad Scene

Die hüfthohe Wiese mit Gräsern, Kräutern und Blumen aller Art bietet sich dar als ein buntes, duftendes, summendes, kaum merklich wehendes Gefilde, das nach allen Seiten unmittelbar an den Himmel grenzt, in ihn überzugehen scheint. Scheint! Alles hier in der Runde scheint tatsächlich, scheint irgendwie transparent zu sein, vom nachmittäglichen Licht durchwirkt und zugleich getragen von ihm … Und dann führt mich … dann führt mir der schmale, mit knirschenden Holzspänen bestreute Pfad unversehens etwas vor Augen, dem ich nicht mehr ganz trauen kann, das vielleicht eine hitzebedingte Halluzination ist, ein Truggebilde, in dem nicht nur die engere Umgebung sich widerspiegelt, die von der Brise nun etwas stärker aufgewühlte Magerwiese und ein paar halbwüchsige Zypressen, sondern auch ich selbst, wie ich auf dem leicht ansteigenden Weg gleichsam auf mich zugehe … auf mich zukomme, während aus nächster Ferne Musik einsetzt, ganz leise zuerst, bald lauter dann, schliesslich weithin schallend. Nun erkenne ich die Stimme, die Musik, es ist die Klagearie der Lucia, the mad scene, amaro pianto, aufsteigend aus einer grossen rundum verspiegelten Box,
zwei, drei Meter hoch, die Wände locker aneinandergelehnt wie bei einem Kartenhaus, ein ungewöhnliches, wenn nicht einzigartiges Bauwerk, ungewöhnlich allein deshalb schon, weil es seiner Grösse zum Trotz so gut wie unsichtbar ist … unsichtbar zu sein scheint oder eben durchsichtig – die Spiegelung zeigt 1 : 1 einen Weltausschnitt und zugleich verdeckt sie ein genau so grosses Stück Welt, das dahinter liegt, eins ist vom andern kaum zu unterscheiden, Wirklichkeit und Abbild gehn scheinbar fugenlos ineinander über, nur bei genauerem Hinsehn kann man die Kanten des Spiegelhauses und damit die Bruchstellen zwischen Bild und Welt erkennen. Staunend stehe ich davor, bin überwältigt von dieser herkunftslosen Stimme, Jubel und Klage zugleich, wie sie sich in weiten Schleifen hochschraubt aus dem schlichten Gehäuse, höher und noch höher steigt, den Vogelsang, das Zikadengeschrei, das fernere Meeresrauschen und auch … auch meinen Atem in sich aufnimmt, sich selbst dabei fremd wird, sich auflöst und …
… aber stetig wieder aufkommt, und all dies in endloser Wiederholung, bis plötzlich – !?                                                                                                                                                              Signatur
Zurück zum Seiteninhalt