Fabian Widerna: 2 Texte
Fabian Widerna
Zwei Texte
Irr
Fragment
Stöhnte er, innerlich, Hohn troff, hinab, dass dann Pfützen seitwärts flossen hin zur Masse, die gähnte und sich dämmerndem Schauspiel ergab. Ergießt sich die Flut, dachte er, dann schwemmt es sie weg; es lässt sie dem, oder doch zumindest irgendeinem Abgrund nicht mehr entgehen. Nicht einmal panisch, würde der denken, stiert die Masse hinauf. Er blickte hinab in den Abgrund und beugte sich über kaskadierte Geländer, die abhielten, den schwankenden Mann zurück- und dem Leben erhielten, während sonst der Abgrund nicht Abgrund, nicht weit hinab dringender Einblick in Inneres, nein allein Sturz ins rückhaltlos Endliche bedeutete. Stillschweigend dem Anblick begegnend öffnete er das Auge. Lässig rauchte der Tod, der stand da, so irgendwie in der Leere, dachte er, seine Pfeife, die bläulich dampfte, während sein knochiger Mund sogar kunstvolle Ringe zum Himmel hinaufzuschicken im Stande schien - und obgleich da angebracht gewesen wäre, naheliegend zu fragen, woher das lippenlose Konstrukt aus Ober- und Unterkiefer die Kapazität genommen habe, Rauchringe zu formen, dachte er etwa überhaupt nicht daran. Der Tod, aber dachte er, ach der Tod, fluchte er hin zum Rippchenmann, welcher ausholte, das Leben vom Leib zu separieren.
Er wich zurück.
Vom Geländer stieß er sich ab, rückwärts durch die Tür, durch das Tor, streifte die Vorhangwand, die den Ausgang verdeckte. Balkon, dachte er. Fast wurde ’s schwarz. Fast gelang ihm, von der Wucht der eigenen Bewegung Bewusstsein zu verlieren, was ein Glücksall gewesen wäre, doch etwas – wusste was – hielt ihn zurück und hielt ihn fest und zwang ihn, unter allem Druck fortzuschreiten, nicht durchzugehen, weder durchzudrehen, noch Auswege zu suchen. Es gab keine, das wusste er, doch was wäre der Mensch, dachte er, wenn ’s nicht dauernd nach dem zu suchen wär, das nach Momenten, nach weiteren Jahren vielleicht, aber niemals gänzlich unmöglich scheinen kann. „Was wär’ ...“, sagte eine Stimme, wahrscheinlich seine, „...der Mensch, gäbe ’s Auswege und Ausflüchte aus Leben und Gedanklichkeit; zerschlägt man ’s doch besser gleich!“ Und wenn ’s Ausflüchte gäbe, Ausflüchte woraus?Wohin denn. Aber vor allem:Warum wolle man fliehen. Dachte er, sei an sich die Frage.
Dann.
In ein anderes Düsteres flocht etwa ein Wirbel ihn ein, wie von kalter Luft, die in den warmen Innenraum strömte, ein Wirbel, der erst klappernd, dann wie Trommelgetöse das Hören für sich allein beanspruchte; erst der folgende Schritt ließ den jungen Mann eintreten, in den massigen Saal, sodass dem Lärm letztlich nichts, nur seinerseits die Abwesenheit hinterlassen war.
Ist was Schönes.
Das Bild wurde nicht gefaltet oder verschoben oder schief an die Wand gehängt, das Glas, das es schützte, nicht zerschlagen, der Rahmen weder noch auseinandergebrochen und doch stimmte etwas an der Art nicht, etwas, das bisher nicht vorhanden gewesen war und das jetzt ins Auge sprang und nicht festmachen ließ, keinem Inhalt anhaftete, die alle nach genauerer Betrachtung waren, wie zuvor, wie immer, damals, wie heute noch; und doch stimmte etwas Fundamentales nicht mehr, etwas an der Bedeutung des Bildes, die nicht zu verorten ward, auch Farbgebung, die Komposition schien wie immer. man dürfe sich nicht auf Einzelheiten versteifen, dachte er, als er eintrat, in den Thronsaal, hinter dem Vorhang hervor, der, die Welt vor eben dem Innenraum zu schützen, aufgehängt war und der die Welt draußen hielt und allem noch mehr Spielraum im Allegorischen überließ, als der pragmatische Rest. Er wollte nicht nach draußen, nie hatte er das Bild stören wollen. Der junge Mann
Vorn auf dem Thron saß der König und schnarchte ein Lied, seine Töne dahin und her, flüchtete vor dem Traum davon, tief hinein in das zischelnde Pfeifen des Windes, entlang und durch daumenschmale Fenster, vorbei an festkrallenden Läden wieder hinaus. Der König schnarchte, ein Auge war geöffnet und schaute in dem Maße ziellos, in ganz andern Bereichen, aber aufmerksam, wie es, dachte er, einem wachen Verstand gar nicht möglich zu sein hätte. Er sah in das Auge des ruhig sitzenden alten Mannes und ehe er sich darin verlor, hatte er doch eine ganz eigene Welt, geformt aus eigenen Gefügen, Maximen und reichlich weggedrifteter Moral erkannt, die hingegen - was konnte man meinen? - von sich heraus durch ihn hindurch, gar nicht oder etwa tief in ihn hinein blicken mochte. In den Momenten schien das Auge zu verfärben. Oder, wollte er vermuten, war denn nicht die Farbe, sondern den Sinn beherrschende Stimmung mit einem Mal in Iris und Pupille sichtbares Mittel der Unterscheidung geworden? Erkannte er? Und wenn, was schließlich?
Mit der Kraft aller Arme stemmte der König sich, mächtig zuckend, aus dem Thron, einer nahezu aufrechten Höhe entgegen. Das Schauspiel ging an, sowie die Masse bereit war, sich zu erheben, wenn sie schon nicht aufzustehen bereit waren, gegen den vorherrschenden Untergang, doch sie standen auf, gegen die Irre, die in den Köpfen Gedanken, selbst im Unterbewussten der vielen Leute über Jahre hinweg mehr und mehr Einzug gefunden haben musste. Die Leute, dachte der junge Mann, müssten wieder Menschen werden, denn was mache die Masse. Müsse man denken, dachte er, dass die Menschheit bis dato noch keine intelligente Masse erlebt haben konnte. Unzufrieden, wie ’s schien, verharrte der König. Was gefiel ihm nicht. Noch stützten die Arme auf dem massiv steinernen Lehnen des Throns, fanden da, wenn man so meinen wollte, eben jenen Halt, den selbst, oder gerade die Zeit, später nicht mehr zu versprechen fähig sein sollte. Halt kommt aus Vergangenem, dachte der Junge, als er weiterhin im Auge des Königs verharrte, der auch ihn nicht fallen ließ. Kann man meinen, dachte er, während noch unklar war, wieweit er den Gedanken würde folgen können. Immer das Wollen, fühlte er und ist es das Wollen, aus dem entfernt werden muss.
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