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Eirik Lodén: KEINER WEISS, WANN EIN BLITZ EINSCHLÄGT, DAS LICHT TRIFFT ZUERST EIN, DANN KOMMT DER LAUT

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Eirik Lodén

KEINER WEISS, WANN EIN BLITZ EINSCHLÄGT, DAS LICHT TRIFFT ZUERST EIN, DANN KOMMT DER LAUT

übersetzt von Klaus Anders


Du warst das einzige Mädchen in
              der Klasse, einsam bei sechs     Jungen, bewundert sehr
zwischen dritter und siebenter
              Klasse, es war eine Art     Ehrenbeweis, wenn von

uns sechs einer zu dir nach Haus
               eingeladen wurde,      respektvoller schauten wir,
denn es war ja ein Mädchenraum,
               Geir Atle und ich,      damals bei einem Besuch,

standen wie Faust und Mephisto in      
               Gretchens Schlafzimmer mit      Gretchen als Guide! Du warst
Leitstern für uns, wir waren doch
                aus viel gröberem Stoff,      bleiche Kometen um

brennbares Gas, zwischen den
                 Beinen der Schweif, je zwei      Hände (zusammen vier),
die in dem Mädchenzimmer ganz
                 wuschig wurden, und die      darum versuchten un-

sichtbar zu sein… Sterne machen
                 genau das Gegenteil,       halten sich sichtbar noch
lange, nachdem sie erloschen sind:
                 Und weshalb? vielleicht weil      unsere Sinne so

träg sind, oder weil alles Licht
                  Zeit braucht, um bis zu dem       Ort der Bestimmung zu
kommen: bis hernieder zu uns?
                   Daran denke ich jetzt,      während ich auf das Boot

heimwärts warte, so wie vor
                   sieben Jahren: du ein      quirliges Mädchen mit
sechzehn, warteten wir
                    auf der Klassenfahrt nach      Bournemouth, soweit ich weiß,

hattest du in der Bar einen
                    Drink erschlichen, ich saß,       die Nase wie immer tief
in einem Buch, soeben gekauft
                    in England, Shelley und Keats,       aber vielleicht las ich

eher Calvinos Roman
                    Wenn ein Reisender in      einer Winternacht? was ich
nicht mehr deutlich erinnere,      
                      doch ein Blitzlicht von dir,    so wie du derzeit warst,

du und Åste, so quirlig wie
                     Katzen in der Nacht, wie      Katzen im Sternenlicht,
wir passierten die Ölplattform
                      wie eine Konstellation        weit in der Nordsee (alt-

nordischer Name, nicht griechisch
                      oder römisch, was wenn      Sigyn stattdessen An-
dromeda hieße, Baldur wär
                      dann Osiris, und Frigg         Kassiopeia?) das

selbe Meer, das ich überquere
                       auf dem Schiff aus England      heim via Bergen, wo
du noch wohnst und studierst, und es
                       bleiben zehn Jahre bis      du sterben wirst, das weiß

jetzt zum Glück keiner von uns, ich
                        habe dich nicht gesehn,    seit wir vor sieben Jahren
aus der Schule gekommen sind,
                        und wir sollten uns nicht    wiedersehen in den

nächsten zehn Jahren, wir
                         werden es niemals gewahr,     können nur hoffen,
dass ein Tidenstrom uns über
                         das Vergessen führt und     das Schiff Platz für uns hat.

* * * *
                        
Keiner weiß, wann ein Blitz einschlägt,
                         das Licht trifft zuerst ein,      dann kommt der Laut, und ein
Zwischenraum, ein Verspätetes,
                         kann dem Verstand ähneln     (nicht der Vernunft), es ist

fast wie eine Todesbotschaft,
                         erst ein Flackern vor dem    Donner: Blitz… Licht… Laut,
unterschiedlich Geschwindigkeit:
                          Gritz, dann Grollen aus der      Nachglut von Gammablitz.

Können wir zu einem Stern den
                          Abstand messen aus der      Zeit, die es braucht, oder
der Verschiebung in Zeit und Raum
                           weniger als eine      Obstruktion verstanden

zwischen Feuer und Auge, mehr
                           als die Zeit, die es braucht,      bevor die Musik, vom
Stern gesendet, uns naht, erreicht
                           eh der Klang den Verstand      und unser Ohr berührt?

Wieder segle ich heute Nacht,
                            liegend auf einer couchette     (damals ein neues Wort
für uns, was zum Büffeln, doch
                            als wir uns dann trafen,      um zu erfragen, ob wir

schon zum Examen sollten, da
                            war uns bald klar, dass      die Lehrer Helge und
Magnhild den Brief verlegt hatten
                             in einem Schulbüro      daheim in Norwegen… ein

Dichter schreibt, zu sterben sei ein
                             wenig wie zu einem        Examen zu gehen, zu
einem mündlichen und dabei
                             stets unvorbereitet,      ich glaube, das ist wahr…)       

auf einem Liegestuhl wie im
                             Sanatorium, wo      ich alleine mit den        
Sternen bin, und das Meer zu Kiel-
                             wasser, Fruchtwasser wird,      Nabelstrang, Nornengarn,

ich erinnere Kotzgeruch,
                              Kotze in den Teppich-    boden  eingerieben,
letzter Krankensaal mit schrägem
                              Fenster, zu einem krummen      Kosmos, der seekrank sich
vorbeugt, Sterne in Trauben an
                               schwankendem Blitzbaum,      flutendes Lazarett,
und denke an den Blitz aus der
                               Heizspirale eines     Wasserkochers in dem

Bed & Breakfast in Durham
                               gestern Abend, privat     bei einer Familie,
als es plötzlich blau aufblitzt
                               in dem Heizrohr mit kalk-      weißem Belag und Grünspan.

* * * *

Als ich hörte, du seiest tot,
                              in die Erde gesenkt,      war ich noch unterwegs.
Doch du hattest (so hörte ich
                             auch) auf dem Totenbett      geheiratet (war es am

Haraldsplatz?), den Mann, den du
                             liebtest, als wäre es      dir jetzt wirklich ernst.
Obwohl ich im selben Jahr nach
                             Bergen zog, hab ich dein      Grab nicht einmal besucht.


Eirik Lodén, geb.1975 in Stavanger, Norwegen. Schriftsteller, Literaturwissenschaftler, Übersetzer, Literatur- und Musikkritiker. Er debutierte 1993 mit "Preludium. Gedichte und Nachdichtungen", Aschehoug Forlag. Publizierte Poesie, Essays und Übersetzungen.
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