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David Krause: Bosonen

Werkstatt/Reihen > Reihen > Eine andere Brechung des Lichts
David Krause

Bosonen

Am Todestag von Higgs
erinnerte ich mich beim Anblick der Sterne
an eine Bibliothek für Blinde.
Für sie war es zwischen den Büchern
dunkel und still. Sie waren Götter
in einem geordneten All. Die Finger
eines Mannes wanderten über die Schrift
eines Buches über die Zeit.
Dann ging er hinaus und tippte  
mit dem Stock über den Backstein.
Die Uhr tickte an der Wand.
In einer Doku über CERN
legte eine Frau die Hand zärtlich  
an den Schalter für den Teilchenbeschleuniger
und ich fiel in den Schlaf: Dein vergangenes Haus,
  verlandete Teiche, verholzte Pflanzen, von uns verkörperte
    Tagebuchfiguren, Hecken, Schnitte, Korrekturen,
  Spinnengespinste, Wolkenblüten, Blütenwolken,
Bluten, Welken, Weh, das Wehen
des Windes an jenem Abend, Bilder,
die nicht altern, zu leicht, zu schnell.
Im PC-Raum meiner Fakultät
spielte der Administrator Tetris.
Die Klötze schossen zusammen,
schlossen sich, lösten sich auf.
Als alles gelöscht war,
dunkelte er den Raum ab
und ich spiegelte mich im Fenster.    
Ich berührte die Scheibe,
hinter der die Sterne lagen
auf meiner Fahrt durch die Nacht.
Vermutlich strecktest du Stunden zuvor
deine Kamera gen Himmel, checktest
die Belichtungszeit. Ist sie zu kurz,
wird das Bild schwarz, ist sie zu lang,
macht die Erdrotation aus den Sternen   
einen Strudel und wir taumeln.

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