Direkt zum Seiteninhalt

Cyrus Console: Brief Under Water

Rezensionen/Lesetipp > Rezensionen, Besprechungen


Jan Kuhlbrodt


Zu Cyrus Console: Brief under Water



In der Herbstkolonne des letzten Jahres ist im Verlag BRUETERICH PRESS unter anderem Cyrus Consoles Brief under Water erschienen. Darin lese ich, seit er auf meinem Schreibtisch landete. Zuweilen in den deutschen Texten, zuweilen, wie es mein Vermögen erlaubt, in den Originalen. Und ich muss sagen, es macht Spass, auch wenn die Texte von vielen Arten des Verlusts künden, immer wieder durchbrochen von einem fast hilflos wirkendem Humor.

Lieber lieber, schrieb ich, lieber Papa, die große Fernsehantenne schwankte im Wind.

Aus dem Amerikanischen übersetzt wurden die Texte des Bandes von einer Gruppe Studierender des Deutschen Literaturinstitutes Leipzig. Der Titel aber wurde nicht übertragen, wohl weil er auf eine klangliche Anmutung zurückzuführen ist, er verweist auf Kafkas Brief an den Vater, der Geldnot mit innersprachlichem Missverständnis kurzschließt. Knapp unter Wasser aber könnte man Kafkas Situation metaphorisch beschreiben, in der er seinen Text verfasst hat. Es scheint eine Weisheit in der Sprache zu liegen, jenseits ihrer unmittelbaren Sachlichkeit. Eine Weisheit des ähnlichen Klangs.
Die Seitenangaben des Buches sind im dualen Zahlensystem gefasst, was mich zunächst einmal auf einen Holzweg führte, weil ich derzeit auch viel mit Leibniz zu tun habe, der als Erfinder des Zahlensystems gilt.


Das heißt, wir begegnen Zahlenkolonnen aus Nullen und Einsen, die die Position der Texte eindeutig festlegen, aber diese Kolonnen haben keinen Namen jenseits ihrer Konkretion, keine Übersetzung, 10000 ist 10000 und nicht Zehntausend. Eine Übersetzung in das uns geläufige Dezimalsystem ist so einfach nicht möglich, die Zahl also heißt Eins Null Null Null Null. Der Text an dieser Stelle hebt folgendermaßen an:

I was sad for the birds. The gym was no kind of the sky. …


Oder in der deutschen Variante, der die gleiche Zahl vorangestellt ist:

Es tat mir leid um die Vögel. Die Turnhalle hatte nichts von einem Himmel. …


Aber was heißt schon Holzweg. Gerne lasse ich mich bei der Lektüre auf abwegige Pfade leiten, die doch immer wieder auch einen Sinn ergeben. Und letztlich sind es Sprachwege, denen wir unter anderem den Titel des Bandes zu verdanken haben. Vielleicht ist es ein Nachhall der sprachlichen Einheit vor Babel, unabhängig davon, ob es den Zustand der einen, der Ursprache je gab.
Aber zurück zu Console. In einer nicht näher zu bezeichnenden Anzahl von Prosagedichten, der Band endet mit der Seitenzahl 110110, werden verschiedenste Situationen aufgerufen, surreal zuweilen, zuweilen realistisch, denen eine melancholische Grundstimmung unterliegt, die sich in manchen Texten zu einer Aggressivität steigert, als wollten sie durch Zerstörung einen Zustand kindlicher Naivität wieder herstellen. Es ist wie ein Rütteln an der unerbittlichen Zeitachse.

Die Moderne, weißt du, hat alles erhöht. Die Moderne ist mit der Kälte weitgehend fertig geworden. Und doch blieb ihm eine blendende hymenale Weite, eine Kindheit idyllischer Schneetage, die jeder Beschreibung spotten.


heißt es auf Seite 1100, ein Text, der für mich eine Art Schlüsseltext der Lektüre darstellt.

But you where rarly home; instead a succession of dogs educated him in loss.



Cyrus Console: Brief Under Water. Engl./Dt. Berlin (BRUETERICH PRESS) 2016. Ca. 120 Seiten. 20,00 Euro.

Zurück zum Seiteninhalt