Cristian Forte: Zwei Gedichte
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Foto: Miguel Mitlag
Cristian Forte
Zwei Gedichte
Aus dem
argentinischen Spanisch von Mário Gomes
Neukölln 36
cuando pongo la oreja
en el desagote de la bañadera
puedo escuchar las conversaciones
que el vecino de abajo
tiene en la cocina
el sonido de los platos de loza
mezclado con sus quejidos
rebotan en el esqueleto
del edificio como un
tren descarrilando
al principio pensé que era
el de arriba
pero solo él, habla como si
todo el tiempo alguien
lo estuviera estrangulando
fuma como un descocido
es feo
y tiene un perro
yo a su lado
soy “punk de dios”
gano 568 euros por mes
trabajo 30 horas a la semana
y a mi edad
todavía me sigo preguntando
si le parezco
interesante a la gente
a veces
hago plata
extra cantando
un 18 de enero
se volvió loco
lloró
lloró mucho
lo único
que pude imaginar aquel día
fue la mirada de su perro
la extrañeza
con la que los perros se quedan
cuando ven que los humanos sufren
ahora mi intimidad
es un tapón negro de goma
paseo por el Tempelhof
salgo y camino
camino especialmente
cada vez recibo menos visitas
cada vez intento gastar menos
las escaleras del edificio
están todas graffiteadas
quemaron un carrito de bebé
en la planta baja
y ya avisaron
que para el año próximo
nos suben el alquiler
30 euros
Neukölln 36
wenn ich das
Ohr
an den
Abfluss der Badewanne halte
kann ich die
Gespräche hören
die der
Nachbar unten
in der Küche
führt
das Klirren
des Keramikgeschirrs
vermischt
mit seinen Seufzern
hallt im
Gebäude-
gerüst wider
wie ein entgleisender
Zug
– anfangs
dachte ich, es sei
der von oben
doch nur er
spricht so
als würde
ihn ständig
jemand
erdrosseln
er raucht
wie ein Irrer
er ist
hässlich
und hat
einen Hund
verglichen
mit ihm
bin ich ein
„Punk Gottes“
ich verdiene
568 Euro im Monat
arbeite 30
Stunden die Woche
und frage
mich
in meinem
Alter immer noch
ob ich
anziehend
auf andere wirke
manchmal
verdiene ich
mir mit Singen
ein bisschen
was dazu
an einem 18.
Januar
drehte er
durch
er weinte
er weinte
viel
das einzige
was ich mir an dem Tag
vorstellen
konnte
war der
Blick seines Hundes
die
Fremdartigkeit
in die Hunde
verfallen
wenn sie
sehen dass Menschen leiden
jetzt ist
meine Intimität
ein
schwarzer Gummistöpsel
ich spaziere
übers Tempelhofer Feld
gehe raus
und laufe
und laufe besonders
ich bekomme
immer weniger Besuch
ich versuche
immer weniger auszugeben
das
Treppenhaus
ist mit
Graffiti vollgesprüht
im
Erdgeschoss haben sie
einen
Kinderwagen in Brand gesteckt
und sie
haben uns bereits mitgeteilt
dass im
nächsten Jahr
die Miete
erhöht wird
um 30 Euro
In Cristian Forte: Regla de oro / Goldene Regel. Argentinisches Spanisch / Deutsch. Übersetzt von Christiane Quandt, Mário Gomes und Etienne Röder. hochroth Berlin 2017. 40 Seiten, 8,00 Euro.
/ Tarjeta Postal
an
allen
ecken
der welt
die ganze welt
no de gusto
que no gusto
su nombre
empieza con V
y termina con A
no gusto que cuando
me falta la vida venga
esa cosa que me respira
en la ciudad
que todo
lo eleva
menos
a su
gente
que los recortes dudosos de los que hablan
puedan determinar un recorridocruzar las fronteras de ese cartónplastificado y variopinto quepasará de mano en manoy que seguramente termine en una vitrina polvorienta
expuesta entre las copas para los días festivosno sin antes haber quedado impregnadade una mancha
aunque es por demás sabido que el mayor logroserá quedar adherida junto a imanes de otras ciudadesfrutas plásticas o marcas importantes
en la puerta del refri
/ Postkarte
an
allen
ecken
der welt
die ganze welt
nicht zufällig
gefällt's mir nich
sein name
beginnt mit einem L
und hat am ende ein N
es gefällt mir nicht dass
wenn mir das leben ausgeht
dieses ding kommt mich zu atmen
in der stadt
die allesemporhebt
außerihrenleuten
es fällt mir schwer mir vorzustellen
dass die fraglichen ausschnitte derjenigen die sprechen
eine route festlegen könnendie grenzen dieser mit glanzpapier überzogenenbunten pappe zu überquerendie von hand zu hand gereicht werden wirdum mit sicherheit in einer verstaubten Vitrine zu enden
ausgestellt zwischen den festtagsgläsernnicht jedoch ohne vorher noch einen fleckabzubekommen
auch wenn allseits bekannt ist dass der größte erfolg darin bestehen wird zwischen magneten hängen zu bleiben
von anderen städten plastikobst oder bekannten marke
an der kühlitür
Cristian Forte (*1977 in Buenos Aires) ist
Dichter und visueller Künstler. Seit 2009 lebt er in Berlin. 1999 bis 2007 war
er Mitglied der politischen Kunstgruppe Etcétera, eines interdisziplinären, vom
Surrealismus inspirierten Kollektivs in Buenos Aires. Mit Katja von Helldorff
formierte er 2009 die Band Leiseylento. 2010 gründete er den Nicht-Verlag
Milena Berlin. Neben zahlreichen Publikationen in europäischen und
lateinamerikanischen Zeitschriften, Anthologien und Blogs veröffentlichte er
die Gedichtbände „Abr.“ (Copyroboter, Berlin 2010) und „Alfabeto Dactilar“
(L.U.P.I. Verlag, Bilbao 2014). 2017 erschien in Übersetzung ins Deutsche sein
Gedichtband „Regla del oro / Goldene Regel“: http://www.hochroth.de/4622/cristian-forte-regla-de-oro-goldene-regel/.
Cristian
Forte unterrichtet kreatives und unkreatives Schreiben an der Freien
Universität Berlin.
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