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Charles Bernstein: Gedichte und Übersetzen

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Jan Kuhlbrodt

Zu: Charles Bernstein. Gedichte und Übersetzen
Versatorium Bd. 1.1, erschienen bei Edition Korrespondenzen


Nur ein paar Dinge zuerst
mal sehen
ein Hund, nun für jene unter Ihnen nicht
von hier – ein ziemlich gewöhnliches Haus-
Tier, vier Beine, Schwanz.


Am Rande der Seite finden sich leicht verschlüsselt die Namen der Übersetzer/Autoren. Im oben zitierten Fall me. (Im Buch befindet sich eine Legende, der man die Namen der jeweiligen Übersetzer entnehmen kann.) Das Zitierte ist der Anfang eines Gedichtes, das den Namen Gedicht trägt. Der semantische Gehalt der zitierten Verse ist leicht zu entschlüsseln. (Vielleicht). Und das Gedicht endet mit folgenden Versen:

…- Und wenn ich
nahe dem Ende eine grüne
Chaiselongue erwähne, das ist eine Couch
auf welcher ich oft sitze.


Zitatende.
Verstehen? Entschlüsseln? „Was sagt denn eine Dichtung? Was teilt sie mit? Sehr wenig dem, der sie versteht. Ihr Wesentliches ist nicht Mitteilung, nicht Aussage.“ Das schreibt Walter Benjamin am Anfang seines Aufsatzes Die Aufgabe des Übersetzers.

Eine Begegnung mit dem Autor Charles Bernstein, eine der ersten, aber nicht die erste die ich hatte, an diese kann ich mich nicht erinnern, zumindest ist sie im Augenblick für mich nicht rekonstruierbar, war ein Aufsatz zu Pound, der im Schreibheft abgedruckt war. Ein sehr hilfreicher Aufsatz, weil er mir zeigte, wie man Pound lesen kann, mit Gewinn lesen kann, ohne dessen Antisemitismus zu verleugnen. Dieser Aufsatz legte mir eine Haltung nahe, die zur Bedingung eines Verständnisses wurde, und dieser Aufsatz Bernsteins wurde mir eine sehr große Hilfe (Stütze). Vielleicht auch um ein Verständnis auszuhalten, neben der künstlerischen – auch in moralischer Hinsicht, was meiner Meinung nach einiges bedeutet.
Die Haltung rettete mir den Pound-Text, die Cantos. Aber was heißt schon Rettung, und was hat das Recht, gerettet zu werden? Und vielleicht ist Rettung ja auch ein ganz falscher Begriff. Vielleicht geht es ja wirklich um Übersetzung, und darum, das man an einer Übersetzung notwendig scheitert, denn:


"Damit ist allerdings zugestanden, dass alle Übersetzung nur eine irgendwie vorläufige Art ist, sich mit der Fremdheit der Sprachen auseinanderzusetzen." W. Benjamin: Die Aufgabe des Übersetzers.

Um es vorwegzunehmen, das Projekt, das in diesem Buch vorgestellt wird, kann gar nicht scheitern, denn es hat keinen Abschluss. Und vielleicht sagt das Wort etwas über den Versuch, zumindest zeugt es davon, dass ein Versuch unternommen worden ist. Und vielleicht ist es auch gar kein Scheitern, wenn man etwas angeht, das von vornherein scheitern muss, und scheitert.

Damit, mit diesem Einstieg zielte ich auch nicht auf das Projekt der Gruppe Versatorium, sondern auf meinen Bericht über dieses Projekt. Was für ein Ereignis ist dieses Buch, wie die Dichtung Bernsteins vielleicht insgesamt!


Und das Ereignishafte liegt unter anderem darin, dass dieses Buch Texte wie Schollen übereinander schiebt, wie auf einem gefrorenem Meer, so dass sich die Oberfläche unter Oberfläche verbirgt, auftürmt. Wer wollte angesichts dieser Verschollung nach einem Original fragen?

Gibt es eine Übersetzung ohne Original? Eine Interpretation ohne ihr Objekt oder Subjekt? Einen Geliebten ohne Liebende? Ein Kind ohne Eltern?

Was ist Poesie?


So heißt es am Ende des Textes Den Übersetzungsvorhang niedereißen.

Jedenfalls fühlte ich mich bei der Lektüre des Buches aufgefordert, Benjamins Aufsatz von der Aufgabe des Übersetzers zu lesen, und zwar nicht, nachdem ich das Buch gelesen hatte, sondern während. Dieses Buch verlangte von mir parallele Lektüren und es verlangt sie noch immer, zumal überhaupt nicht abzusehen ist, wann die Lektüre endet. Und auch das ist vielleicht keine Besonderheit. Besonders aber ist die Art wie die Lektüre des Buches Lektüren herausfordert oder in Erinnerung bringt.

Charles Bernstein, 1950 in New York geboren, ist das wohl prominenteste Mitglied der L=A=N=G=U=A=G=E Gruppe, die Poesie und Sprache in vielerlei Hinsicht erforscht. Die Produkte sind zugleich Gedichte und Laboratorien, bilden Oberflächen, legen aber auch offen.

Vielleicht ist der durchaus beglückende Prozess, in den man sich mit diesem Buch begibt, so zu beschreiben:
Die ersten Gedichte des Bandes ließen mich zunächst ratlos zurück. Kauderwelsch gefiltert, durch Übersetzer transformiert, aber nicht ersetzt. In ein Deutsch gebracht, das ich nicht verstehe, zumindest nicht auf den ersten Blick. Das waren meine ersten Gedanken: aber ersten Gedanken ist immer zu misstrauen. Zuweilen sind sie Wegelagerer. Man muss sie vielleicht nicht gleich ignorieren, aber weiterlesen muss man, und irgendwann folgt ein Text aus dem sich das Gelesene erschließt. Das dauert im Falle des Bernsteinbandes auch gar nicht lang. Allerdings: Was heißt auch Verstehen? Ich glaube nicht, dass es unverständliche Gedichte gibt. Der Rezipient allerdings kann scheitern (wenn er es zulässt, oder ihm zum Verständnis die Zeit fehlt.)


Und seh, dass das Gedicht ein Buchstabengewirr ist, ein Buchstabe springt über zum nächsten, verirrt sich hinüber, wird variiert und wiederholt und verhohlen und verhallt. Die Grenzen zerspringen und das Lesen wird zum Irren. ... heißt es in dem Essay, der sich an die Texte anschließt.  

Und wie Vieles in diesem Buch geht der Text von einer eminent politischen Beobachtung aus, denn der Autor erkennt in einem deutschen Text das Wort Jude. Und mitten im Text sehe ich – kann das Deutsche nicht mehr verlernen – das Wort Jude.

Daraus, sozusagen retrospektiv, erschlossen sich mir auch die Eingangsgedichte des Bandes.

Herausgegeben wurde das Buch von der Wiener Gruppe Versatorium (www.versatorium.at), die sich auf den verschiedensten Ebenen mit Übersetzung beschäftigt. Entsprechend bietet es auch eine Vielzahl von Ansätzen, bis hin zu graphischen und zeichnerischen Varianten. Auf die Beschäftigung mit Bernsteins Werk ist man jetzt gerade mit dem Werk der großartigen Rosmarie Waldrop befasst.
Und auch die Entdeckung Bernsteins wird weitergehen. Mit Ungeduld erwarte ich ein Buch, das jeden Augenblick im Hause luxbooks erscheinen wird und Angriff der schwierigen Gedichte heißt. Übertragen und Herausgegeben wird dieser Band von einer Gruppe um Norbert Lange. Der Korrespondenzen-Band steigerte meine Vorfreude enorm.



Charles Bernstein. Gedichte und Übersetzen. Präsentiert von Versatorium und Peter Waterhouse. Wien (Edition Korrespondenzen) 2013. 208 S., 22,00 Euro.


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