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Catherine (Kitty) O'Meara: (And people stayed home)

Gedichte > Münchner Anthologie
Catherine (Kitty) O'Meara

And (the) people stayed home
and read books and listened
and rested and exercised
and made art and played
and learned new ways of being
and listened deeper
someone meditated
someone prayed
someone danced
someone met their shadow
and people began to think differently
and people healed
and in the absence of people who lived in ignorant ways
dangerous, meaningless and heartless,
even the earth began to heal
and when the danger ended
and people found each other
grieved for the dead people
and they made new choices
and dreamed of new visions
and created new ways of life
and healed the earth completely
just as they were healed themselves.

(März 2020)
Catherine (Kitty) O'Meara

Und die leute blieben zu hause
und sie lasen bücher und hörten zu
und sie ruhten sich aus und übten
und sie schufen kunst und spielten
und sie lernten neue formen des seins
und sie lauschten tiefer
jemand meditierte
jemand betete
jemand tanzte
jemand begegnete seinem schatten
und die menschen begannen unterschiedlich zu denken
und die menschen heilten
und in abwesenheit der menschen die unwissend lebten
gefährlich meinungslos und herzlos
begann sogar die erde zu heilen
und als die gefahr endete
und die menschen sich einander fanden
trauernd für die toten
und sie trafen neue entscheidungen
und träumten von neuen visionen
und sie schufen neue lebensweisen
und sie heilten die erde ganz
genau so wie sie selbst geheilt wurden

(März, 2020)
Aus dem Englischen von Horst Samson
Horst Samson

Ein Gedicht geht um die Welt


Es war eine Falschmeldung (Fake-News), der ich dieser Tage im Internet begegnete, als ich über ein Gedicht stolperte. Es war die rumänische Vortrags-Fassung eines angeblich englischen Gedichtes, das unter dem Titel „Heilung“ (rumänisch „Vindecare“) im Netz kursierte. Es sollte, so die moderne Sage in jenem Post, von einer Dichterin Kathleen O'Meara stammen.

Ich kannte weder diese Autorin, noch das Gedicht, war aber dessen ungeachtet dermaßen angefixt von den Versen, dass ich sofort nach der Dichterin suchte, auch nach dem Originaltext des Gedichtes. Dabei stieß ich auf Verblüffendes, denn Kathleen O’Meara ist keine Schriftstellerin der Gegenwart, sondern sie wurde 1839, in Dublin geboren und starb im Alter von 49 Jahren am 10. November 1888, in ihrem Haus, Nr. 15 in der Rue Washington, Paris, an einer … Lungenentzündung.

Kathleen O’Meara war eine irisch-französische Schriftstellerin katholischer Prägung. Sie publizierte auch unter dem Pseudonym Grace Ramsay, war unter anderem die Pariser Korrespondentin von „The Tablet“, einer führenden britisch-katholischen Zeitschrift, arbeitete auch an der Zeitschrift „London Society“ mit. Sie schrieb Romane, in denen sie zahlreiche Themen verarbeitet, vom Frauenwahlrecht bis zu osteuropäischen Revolutionen. Dieses Gedicht, das – im Unterschied zu der auf Rumänisch verbreiteten Version, keinen Titel hat, beginnt mit der evokativen Zeile „Und die menschen blieben zu hause“. Es soll, so hieß es im Internet, nicht aus einem Gedichtband stammen, sondern sei in Kathleen O’Mearas zweiten Roman „Iza's Story“ („Isas Geschichte“) eingebettet, der im Jahr 1869 erschienen ist. 1869 und solche Zeilen - damit schien mir die literarische Sensation perfekt zu sein.

Ich las das Gedicht noch einige Male und entschloss mich, es ins Deutsche zu übertragen, da im Internet lediglich von dem Übersetzerprogramm der Internetsuchmaschine Google fabrizierte, sprachlich brüchige Versionen zirkulierten.

Nachdem ich das Gedicht übersetzt hatte und zufrieden auf die Zeilen blickte, immer noch in ungebrochenem Erstaunen, erachtete ich es als notwendig, als Fußnote eine kurze Biographie der vermeintlichen Autorin Kathleen O’Meara zu schreiben. Ich begann mit den Worten: „Kathleen O'Meara dürfen wir heute, rund 132 Jahre nach ihrem Tod, mit Fug und Recht als die Dichterin der Corona-Covid-19-Pandemie bezeichnen. Wie eine Seherin hat sie im 19. Jahrhundert unsere heutige, nahezu weltweite Quarantänesituation dichterisch vorweggenommen und literarisch eindrucksvoll in einem Gedicht verarbeitet. Dieses Gedicht, das eigentlich keinen Titel hat, beginnt mit der evokatorischen Zeile „Und die menschen blieben zu hause". Es erschien innerhalb ihres zweiten Romans „Iza's Story“ („Isas Geschichte“) im Jahr 1869, schrieb ich.

Hoch zufrieden war ich mit meiner Übersetzung und geradezu euphorisiert über dieses von einer Welle des Zufalls an mein Ufer gespülte Treibgut, ein Fundstück von außer-gewöhnlicher Bedeutung. Ich hatte kurz ein Gefühl, wie vor einigen Jahren, als bei den Aushubarbeiten für ein neues Baugebiet in Neuberg-Ravolzhausen unerwartet erhaltens-werte Reste des Limes ausgegraben wurden, die von Archäologen freigelegt und heute als kleine Dorfsensation zu besichtigen sind. Noch einmal las ich die Übersetzung und mein Herz hüpfte immer noch vor Freude. Inzwischen war es Nacht geworden. Ich eilte ins Wohnzimmer, um meiner Frau diese literarische Ausgrabung zu zeigen und vorzulesen.

Genau dieser Ausbruch aus dem Echoraum meines Arbeitszimmers mit den imaginären leise und melodiös hörbaren Begeisterungsglocken aus Glas an der Decke sorgte für Ernüch-terung und plötzlich hing der Zweifel im Raum.

Gibt es das, solch eine verwirrend erstaunliche Vorwegnahme der Corona-Covid-19-Zeiten im 19. Jahrhundert? Kann das sein? Ist dieses Gedicht, das inzwischen tausendfach nicht nur im englischsprachigen Internet kursiert, wirklich echt? Meine Frau und ich zückten unsere Tablets, und es dauerte nicht lange, da lag die Sensation in Scherben uns zu Füßen. Eine Namensvetterin der Schriftstellerin Kathleen O’Meara, nämlich eine Catherine (Kitty) O'Meara, Bloggerin und Laienschreiberin, ist die Autorin des in kurzer Zeit um die Welt gegangenen Gedichtes. Sie schrieb es im März 2020 und veröffentlichte es auf ihrer Facebook-Seite. Wer aber ist diese Catherine (Kitty) O’Meara?

„Kitty O'Meara ist die Dichterin der Pandemie. Ihr Prosadicht ohne Titel, das mit der Zeile ,Und die menschen blieben zu hause‘ beginnt, wurde seit seiner ersten Veröffentlichung unzählige Male auf unzähligen Hintergründen mit unzähligen Schriftarten geteilt… bis zu Radiosendern in Australien. Das Gedicht ist während des Ausbruchs des Coronavirus zum Kürzel für eine Silberstreifenperspektive geworden - die Hoffnung, dass aus diesem kollektiven Zustand von ,zusammen, getrennt‘ etwas Gutes entstehen kann.“, schreibt die Journalistin Elena Nicolaou auf der Homepage der Zeitschrift „O The Oprah Magazine“ (OprahMag.com) und fügt hinzu: „Durch O'Mearas Linse könnte die Ära der sozialen Distanzierung durch gezielte Aktivitäten wie Meditation, Bewegung und Tanzen aufgenommen werden und zu einer Art globaler Heilung führen.“

Das laut Urheberin in einem einzigen Schreibzug verfasste Gedicht biete eine Story an, eine Geschichte darüber, „wie es sein könnte, was wir mit dieser Zeit anfangen könnten", erklärte Kitty O'Meara auf der Homepage OprahMag.com zu ihrer viralen Arbeit. Sie habe lange Zeit in der Palliativmedizin gearbeitet und die nahende Gefahr gesehen. Das Gedicht sei das “Nebenprodukt“ ihrer Angst und ihrer Sorge um die Gefährdung von Menschen durch die Corona-Pandemie, aus tiefer Beunruhigung wegen Freunden von ihr, die immer noch im Gesundheitswesen arbeiteten und an vorderster Front im Kampf gegen das Virus stünden.

„Ich wurde auf eine Art traurig. Ich konnte nichts tun, konnte meinen Freunden nicht helfen. Ich war sehr besorgt um sie. Mein Mann sagte: 'Schreibe. Schreibe wieder!“, erinnert sich Kitty O'Meara. Also tat sie es. „Ich habe mich einfach hingesetzt und es geschrieben“. Danach habe sie es auf Facebook gestellt. „Ich poste die ganze Zeit solche Sachen. Normalerweise bekomme ich nicht viele Rückmeldungen“, sagt sie und fügt hinzu: „Aber diese Zeilen haben ihre Nische gefunden.“
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