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Bertram Reinecke: Vermittler und Dienstleister

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Bertram Reinecke


Vermittler und Dienstleister

Beitrag zur Debatte um Lyrikkritik




Das Uninteressanteste zuerst


Natürlich bin ich auch der Meinung, dass Lyrikkritik zu schlecht honoriert wird. (Ich würde gern öfters rezensieren, kann mir das aber nicht leisten.
¹) Aus diesem Grundproblem erwachsen viele der Probleme. Frank Milautzcki hat das Nötige gesagt: Immer wieder wurde eine neue Art von Vermittlern gefordert und eingeführt. Wir haben genug Foren, Poesie zu besprechen, in größeren Städten mangelt es nicht an solchen, sie zu präsentieren. Jeder Versuch, ein Oberforum zu schaffen, endet letztlich darin, lediglich eine weitere Stimme zu etablieren, zumal mitunter verschiedene Foren ja bereits die Tendenz zum „Leitmedium“ für Lyrik im Netz hatten. Zu verschiedenen Zeiten waren ja für verschiedene Leser mal die Lyrikzeitung, mal der Poetenladen oder Fixpoetry, selbst DSFO oder andere solche Referenzmedien zumindest des jüngeren, netzaffinen Teils der Szene. Tubuk blieb auch Versuch. Man startete seine regelmäßige Recherche und trug von dort sein Bild von der Szene zusammen. Wohl und Wehe einer solcher Referenzfunktion konnte man an der alten Internetseite „Lyrikkritik“ sehen: Der Vermehrung der Stimmen spätestens nach der Debatte um Bella Heft 19 waren „qualitätsbewusste“ Internetmedien kaum gewachsen. Maßstäbe sind ja Maßstäbe, und wenn sie handhabbar für ein Kollektiv von Redakteuren sein sollen und Orientierung für Beiträger bieten wollen, schließen sie immer etwas aus. Der Versuch Unkonventionelles zuzulassen wiederum stößt oft auf ein grundsätzliches Problem: Vertrauen. Was Tristan Marquardt als Problem des Lesers mit der Vielfalt der Stimmen beschreibt, gilt auch für Redakteure. Eine bekannte „verlässliche“ Stimme wird es bei gleicher Qualität immer leichter haben gegenüber einer unbekannten, es sei denn wir entwickeln wirklich einen sehr formalisierten Begriff von Lyrikkritik, was auf eine Beschneidung kritischer Möglichkeiten hinausläuft. Natürlich könnte so ein Leitmedium Tristan Marquardt und anderen vorübergehend den Vertrauensvorschuss als anerkannter Lyriker schaffen, der das Diskutieren weniger frustrierend macht und ihm neue Podien erschließt, schnell würde aber ein neues Misstrauen gegen die xy-Lyriker aufspringen.² Stimmen die sich alsbald wieder lautstark anderswo Gehör und Achtung verschaffen. Und was nützt das Angebot eines Gesamtüberblicks, wenn es ohnehin zu viel ist?³

Als Verleger beobachte ich auch, dass jeder Forumherausgeber so seine Ideen hat, was eine gute Kritik ausmacht. Selbst wenn man auf Herausgeber mit langjähriger Erfahrung der Offenheit trifft, kann es passieren, dass eine Kritik hier abgelehnt wird aus Gründen, die ziemlich das Gegenteil dessen sind, was zur Ablehnung in einem anderen Forum führt, während ein dritter Herausgeber sich über den Text freut. Novizen im Betrieb sehen wahrscheinlich deutlicher dieses Problem, während ein etablierter Autor davon kaum noch etwas mitbekommt.
Jeder junge Kritiker und Lyriker hatte es einfacher, wenn er anfangs bekannte Förderer hatte, die in Zeitschriften oder Foren die eigenen Beiträge empfahlen. Ich gehe hier schon mal vorsichtig in die Bütt: Man hört von diesen Fällen selten, weil eine Ablehnung immer mit Distinktionsverlust verbunden ist. Der eigene Ruf ist ein wichtiges Kapital. Als Stimme, die bereits ein gewisses Vertrauen genießt oder aus welchen Zufällen auch immer relativ schnell bekannt wurde, entwirft man sich vielleicht ein zu einfaches Bild über die Friktionen der öffentlichen Durchsetzung.

Solange es kein allseitig anerkanntes Internetmedium gibt, scheint der Kern von Marquardts Argument, funktioniert die Transmission zwischen hoher Anerkennung in den Netzmedien und Sichtbarkeit in den großen Zeitungen nicht mehr.
Dies Problem ist seit langem offensichtlich. Und es ist für jeden Kleinverlag, jeden Lyriker dem es um Verkäufe oder Stipendien geht, ein gewisses Problem, machen wir uns nichts vor. Ich glaube aber, es ist nicht sinnvoll, den Akteuren der Literaturhäuser, den Redakteuren der großen Zeitungen mit einer ordnenden Instanz entgegen zu gehen, indem man ausgerechnet nochmals die Zahl der Schleusenwärter erhöht. Eher sollte man dafür werben, sich von dem Gedanken der Übersicht, der in der Szene anerkannten Hierarchie, zu verabschieden. Und man sollte Bildungsbürger wie Programmgestalter und Redakteure hartnäckig und ständig darüber aufklären, dass die Intuition „Wenn das gut wäre, würde ich das kennen“ eine Déformation professionelle ist.

Alles was ich hier sage, ist nicht neu, wird aber notorisch vergessen.


In die Bütt


Ich bin zwar auch der Meinung, dass die Lage der Lyrikritik verbesserungsfähig ist. Ich denke aber, deren Probleme stellen sich ganz anders als Tristan Marquardt sie schildert. Er nennt zwei Beispiele von problematischen Rezensionen. Er bezichtigt Armin Steigenberger und Konstantin Ames des Nepotismus. Sein Argument ist in Bezug auf Steigenbergers Dombrowski-Kritik, die beiden seien Freunde, die Rezension könne nicht anders als positiv ausfallen. Könnte sie aber doch, wie ich am eigenen Leibe erlebt habe. Auch ich habe mit Armin schon manche Nacht durchdiskutiert. Die Steigenbergers haben mir öfters Quartier geboten in München. Dennoch ließ es sich Armin nicht nehmen, mich äußerst heftig anzugreifen. Und ich habe ihm in der Auseinandersetzung nichts geschenkt.


Zu Konstantin Ames: Seit Jahr und Tag gelten wir als dicke Freunde. Ich bin für seine entfernteren Bekannten oftmals Anlaufstelle, sich danach zu erkundigen, was er gerade so mache, oder was „er sich da wohl wieder leiste“. Weniger bekannt ist, dass wir uns nicht immer mochten. Die Zeiten, in denen zwischen uns Funkstille herrschte, lassen sich in Jahren rechnen. Und wohlgemerkt: Immer entzündeten sich die Auseinandersetzungen an unterschiedlichen Meinungen über Poesie oder deren Rezeption oder dem Umgang mit Kollegen. Dennoch hält sich in Insiderkreisen hartnäckig die Meinung, wir seien Freunde, dem ich insofern nicht widersprechen möchte, als wir mit Sicherheit Weggefährten sind. Es ist doch oft eher so: Er oder sie wird mein Freund, weil wir gut über Poesie diskutieren oder gut zusammenarbeiten können, weil er oder sie interessante Dinge macht, usw. Nicht: Ich lobe meinen Freund, sondern er wird mein Freund, weil ich seine Arbeit schätze. Wie soll denn Konstantin Ames ein Projekt wie Metonymie anders als begrüßenswert finden?

Es ist ja noch krasser sogar: Öffentlich als Freunde tauchen im Zweifelsfalle die auf, denen man auf Arbeitsebene und wegen poetologischer Konvergenzen begegnet. Manchmal trifft der Nepotismusverdacht besonders diejenigen, bei denen eigentlich die inhaltliche Begründung besonders stichhaltig ist. Während der Freund, mit dem man sich z.B. vor allem zum Zocken trifft, öffentlich gar nicht ruchbar wird und gerade seine Erwähnung den rezensierenden Lyriker besonders unabhängig dastehen lässt. Ein Verdacht wie der von Tristan Marquardt, wie plausibel er ist, ist in der Gefahr, notorisch die sachlich begründeten Zusammenhänge zu treffen und nicht diejenigen, die jemand wirklich aus privatem Eskapismus bevorzugt.

Meine Argumentation wird manchem als merkwürdig am Ziel vorbei geschossen vorkommen. Selbst, wenn sich Marquardt in diesen beiden Fällen geirrt haben mag, wird man einwenden, ist es doch klar, dass das Problem des Nepotismus existiert und gänzlich frei werden auch die beiden Kritisierten nicht davon sein. Und wenn nun doch? Wie merkte man‘s?

Selbst Tristan Marquardt geht aber davon aus, dass Konstantin Ames gar nicht anders konnte als mehrere Freunde mit zu erwähnen, wollte dieser dabei bleiben, sachlich richtig zu argumentieren. Dennoch baut seine Argumentation darauf, dass der Leser Konstantin Ames’ Rezension misstraut. Gesetzt den unwahrscheinlichen Fall, es gäbe einen menschlich kalten Rationalisten, der völlig frei von Gefühlen Lyrik schreibt und rezensiert: Auch gegen ihn ließe sich Marquardts Verdacht offenbar in Stellung bringen. Die Sünde besteht also nicht darin, dass hier einer eine tendenziöse Kritik schreibt, die Sünde ist, dass er Lyriker ist. Merkwürdiger Weise müssen sich Konstantin Ames und Armin Steigenberger fast noch bedanken für Marquardts Höflichkeit, dass Marquardt ihnen „ansonsten“ (aber was heißt das?) die Wertschätzung nicht entzieht und die Richtigkeit ihrer Argumente „ansonsten“ (aber was heißt das?) nicht anzweifelt.

Ich vermisse z.B. ein Argument dafür, dass sich das Problem, welches bei Lyrikern offenbar so drängend ist, zwischen Lyrikern und Vermittlern nicht stellt. Jeder, der es wissen möchte, weiß, dass ein angesehener Kritiker und ein sehr bedeutender Lyriker regelmäßig zusammen Tischtennis spielen. Wo wird deshalb der Untergang der unabhängigen Lyrikkritik beschworen? Und wenn Lyriker dies aus Karrierismus verschweigen: Wo erheben die Literaturkritiker dann um so lauter ihre unabhängige Stimme? Und haben Tristan und ich nicht beim Bier mit einer wichtigen Lyrikvermittlerin diskutiert? Ist es also Nepotismus, wenn sie ihn nach München lädt? Das ist doch alles Quatsch, ich traue allen genug Interesse an der Sache und etwas Anstand zu. Das Problem ist ein anderes: Nepotismus mag in der Szene ja durchaus vorkommen, wir werden das Problem nicht abschaffen. Wir können es aber mindern, indem wir mit dem Verdacht besser umgehen. Selbst im Gerichtssaal reicht es nicht, dem Anwalt der Gegenseite vorzuwerfen, er sei parteiisch, sondern man muss auch noch dafür argumentieren, was an den Ausführungen der Gegenseite falsch ist. Sollten wir nicht diese Standards, die mit gutem Grund als Mindeststandards eingeführt wurden, nicht auch Lyrikern zu Gute kommen lassen, statt sie so zu behandeln, als wäre das literarische Schreiben eine Art Ursünde, der man sich nicht entziehen kann und die kollektiv sanktioniert werden muss. „Lyriker halt die Schnauze“. Und so hätte ich mir, bevor Marquardt Konstantin Ames mit Michael Krüger vergleicht, gewünscht, dass er nachweist, warum z.B. der Anteil der engen Freunde bei Ames wirklich so hoch ist wie bei Krüger, ob die Poetik von Dagmara Kraus besonders ungeeignet ist, dessen Argumentation zu verkörpern, usw. Auch kann man sich fragen, ob es nicht etwas anderes ist, mit einer Kritik einer interessierten Öffentlichkeit Gründe vorzuschlagen, eine bestimmte Gruppe von Lyrikern zu bevorzugen, als öffentliche Gelder in vierstelliger Höhe zu verteilen und in Lebensentscheidungen und Pläne massiv einzugreifen. Namen bei Konstantin tauchen als Beispiele in einem Argument auf. Jeder kann prüfen, ob sie das Argument stimmig verkörpern. Ob aber x oder y momentan der …ste Lyriker ist, ist eine Sache, die man als Setzung verantworten muss.

Können wir bitte besser damit umgehen, was es heißt, als Kritiker Anwalt einer Sache zu sein, zumal wir es im Gerichtssaal doch völlig unproblematisch finden, dass ein Argument auch dann richtig oder falsch sein kann, wenn es notwendig aus bestimmten (oft viel drängenderen) Interessen geäußert wird? Die schnelle radikale Lösung, das interesselose Medium der Lyrikkritik, das gleichsam die richtende Stimme Gottes verkörpert und mit dem Klein-Klein der Szene Schluss macht, wird es nicht geben.

Auch wenn diese Ausführungen recht polemisch klingen, bin ich ja durchaus mit Tristan einer Meinung, dass wir über die Standards unserer kritischen Äußerungen nachdenken sollten.
Zwar kommen wir nicht darum herum, uns auf Einzelheiten einzulassen. Ich halte diese Standards aber für zum Glück vergleichsweise unproblematisch, insofern wir dazu nicht erst ein Modell guter Lyrikkritik brauchen, wie viele Kritiker Tristan Marquardts annehmen, sondern mir eine erhebliche Verbesserung der Lage bereits dadurch erreichbar scheint, dass wir uns durch den Berg eingeschliffener Vorurteile und missglückter diskursiver Bilder hindurch wieder erinnern an ganz allgemeine Standards vernünftiger Rede, die wir alle kennen. Wir brauchen dafür noch nicht mal einen verbesserten Begriff von Lyrik, wie ihn Charlotte Warsen so plausibel offen einfordert. (Der wird dann schon entstehen.) Dabei kann ein Blick über den Tellerrand durchaus helfen, ich nehme Tristans Anregung gern auf und folge den Anregungen von Charlotte Warsen.


Die Logik des Verdachts


Im geisteswissenschaftlichen Kontext ist es ebenso unvermeidlich wie im Lyrikbetrieb, dass sich die Spezialisten zu bestimmten Forschungsfragen regelmäßig begegnen. Das führt auch zu einigen kritikwürdigen Verengungen, aber es führt dort nicht zu einer Sphäre öffentlichen Generalmisstrauens. Jeder Wissenschaftler weiß, er muss dem Kollegen den Fehler erst nachweisen, bevor er mit dem Finger auf ihn zeigen kann. Ich vermute, man ist weniger misstrauisch, weil die Gegner sich durch akademische Karriere und die Würde des Amtes als respektabel erleben. Die durchschnittliche Leserschaft einer Dissertation dürfte von der eines durchschnittlichen Lyrikbandes aus kleinem Spezialverlag oft übertroffen werden.
¹⁰ Wenn Lyriker dennoch bescheidener sind und auf ihre Kleinauflagen nicht stolz sein wollen, wenn Kritiker diese Bescheidenheit der Lyrik teilen, könnten sie sich vielleicht auch einfach so in ihrer Arbeit respektieren, zumindest bis ihnen andere Gründe einfallen, warum sie deren Arbeit nicht wertvoll finden. Im Moment ist es doch fataler Weise umgekehrt. Jeder bloß mögliche Verdacht wird oft sofort eins zu eins für Wirklichkeit genommen.¹¹ Man kann noch nicht mal von einer Umkehr der Beweislast sprechen: „… bis das Gegenteil erwiesen ist“, weil das Gegenteil notorisch unbeweisbar ist.

Die Logik des Verdachts hat sich in der Lyrikszene längst verselbstständigt. Lyriker Christoph Schröder sieht durch die unbewiesenen Verdächtigungen des Lyrikers Tristan Marquardt seine Meinung über die Szene bestätigt: „von Wehleidig, nörgelnd, dezidiert elitär auf der einen Seite, permanent fehlende Aufmerksamkeit beklagend auf der anderen Seite. Und vor allem, wie die Reaktionen auf Jan Wagner gezeigt haben, erfüllt von Neid und Missgunst.“ Nun hatte schon Nora Bossong einfach diesen Verdacht eins zu eins für Wirklichkeit verkauft: Es gibt eine dreistellige Zahl von Lyrikern vom damaligen Bekanntheitsgrad Yevgeniy Breygers, der damals noch nicht mal eine Einzelpublikation vorweisen konnte.
¹² Wenn Bossong gerade einmal drei Stimmen zusammenklaubte, deren Aussage sie noch heftig verbiegen musste, um die These von der Neidoffensive zu belegen¹³, dann zeigte das doch strenggenommen vor allem eines: Es hat die Lyrikszene nicht sonderlich interessiert. Christoph Schröder betont sehr schnell, er verfolge die Sache nur am Rande, er möchte nicht zu diesen Lyrikern gerechnet werden. Man sieht, die Verdachtslogik rambuliert an der Wirklichkeit vorbei vor sich hin. Man kann auch von Ideologie sprechen, die sich bis in die öffentlichen Umgangsformen zeigt. Neid, Nepotismus, Egozentrik und Eitelkeit¹⁴ sind Dinge, die Lyrikern vorzuwerfen leicht ist, Kritiker, denen man ansatzweise gleiches vorwirft, reagieren sehr betroffen und pikiert darüber und verschonen sich gegenseitig meist mit solchen Vorwürfen, dabei haben es auch Kritiker schwer voranzukommen, schaffen sich ihre Position auch durch öffentliche Selbstsetzung usw. – alles Dinge, von denen man hört, dass sie es so problematisch machten, die vielen lyrischen Stimmen zu beachten. Man sieht schon an kleinen Umgangsformen, wer zwischen Vermittler und Lyriker die Diskursmacht hat: Zeitschriften gratulieren dem Lyriker zur Veröffentlichung seines Textes. Der Zeitschrift im Gegenzug zur Veröffentlichung des eigenen Textes zu gratulieren gilt als dreist. Warum eigentlich? Die Zeitschrift lebt doch (hoffentlich) von der Veröffentlichung guter Texte?


Über den Tellerrand: politische Debatten


Man könnte untersuchen, welche Entlastung für den Psychohaushalt des Einzelnen gerade solche Ideologie von der Erbsünde Lyrik hat.
¹⁵ Hier soll nur darauf hingewiesen werden, dass selbst die Klugheit, mit der wir über Politik reden, schon in mancherlei Hinsicht hilfreich wäre für das Gespräch über Lyrik. Wie sich mancher (zu Recht) darüber mokiert, dass Ausländern von mancher Seite gleichzeitig vorgeworfen wird, anderen die Arbeit wegzunehmen und in der sozialen Hängematte zu schmarotzen, ist es auch mit Lyrikern. Lyriker werden mitunter gleichzeitig kleingeredet, weil sie versponnene Idealisten sind, denen ihre Kunst nichts einbringt, ohne dass sie dafür wenigstens von dem Verdacht freigesprochen würden, sie seien gewinnmaximierende Superrationalisten, die Kritik nur im Gleichklang mit ihren pekuniären oder wenigstens Statusinteressen üben.

Wenn jemand mit Verweis auf „die Medien“ von der Schändlichkeit „der Ausländer“ berichtet, sehen wir, dass er tendenziös argumentiert. Wenn ein Professor der Literaturwissenschaft argumentiert, mit der Lyrik wäre es nicht weit her, und sich dazu lediglich allgemein auf mediale Berichterstattung beruft,
¹⁶ fällt es kaum auf. Dass Artikel über die Lyrik(erinnen) genauso pauschal geraten müssen, wie solche über „die Moslems“, darin stimme ich mit Tristan Marquardt überein. Warum sieht es Walter Fabian Schmid anders? Wenn ich hier gegen eine Verdachtslogik argumentiere, heißt das nicht, dass man nicht misstrauisch sein darf, sondern dass man sein Misstrauen würdiger verteilen sollte. Bei einem politischen Artikel würden wir uns nicht so rasch von gefällig wahren Allgemeinplätzen einfangen lassen, wie man es regelmäßig muss, wenn man Pauschalitäten über die Lyrikszene als Ganzes goutieren soll. Eine Replik auf solchen Einwand, wie ihn in unserer Fehde Armin Steigenberger einst brachte: „aber das meiste in dem fraglichen Artikel ist doch wahr“, wäre in der Sphäre des Politischen kaum denkbar, weil jeder weiß, dass auch der FDP der Schutz der Umwelt noch „besonders wichtig“ ist, auch die Linke selbstverständlich „den Mittelstand“ fördert usw. Wir entzünden uns an einzelnen Unwahrheiten, solchen in der Regel, die dann in Argumente einbaufähig sind, die zu politischen Konsequenzen führen, die wir als falsch verwerfen. Könnten wir uns auch in unserer Misstrauenslogik eher darauf kaprizieren, was im Einzelnen problematisch sein könnte, als darauf, was an Globalaussagen schön, richtig und treffend ist?¹⁷ Auch zu „wahr“ und „falsch“ könnten wir ein gelasseneres Verhältnis finden. Dass bei Gedichten vieles nicht so zu bewerten ist, heißt nicht, dass nicht Argumente in der Kritik gültig oder ungültig, stark oder schwach sein könnten, ganz abgesehen davon, dass Fakten oft zur bloßen Nebensache herabzusinken scheinen.¹⁸ Und vor allem: Im politischen Gespräch nehmen wir uns auch dann ernst, wenn wir wissen, dass wir alle mit der Politik nicht unsere Brötchen verdienen. Es ist völlig selbstverständlich, Experten zu widersprechen, die davon leben (Politikern, Politikwissenschaftlern). Es wird sogar als geradezu unhöflich empfunden, wenn Politiker Bürger nicht ernst nehmen, bloß weil sie ihre Kenntnisse nicht professionell ausweisen können. Warum sprechen geringe Veröffentlichungszahlen in der Lyrik immer gegen Argumente? Man muss das schon sehr so wollen. Was hat sich eingeschliffen, dass eine Vielzahl von Lyrikinteressierten, in dem Wissen, dieser Minderheit anzugehören, in vorauseilendem Gehorsam vor den Desinteressierten und Verächtern, stets sich selbst und andere klein macht? Werden nicht auch dadurch unsere Gespräche hässlich?

Weil der Verdacht vorgängig ist, erheischt offenbar jeder Aspekt, aus dem sich neues Misstrauen generieren lässt, sofort Plausibilität. Daniela Seel fragt sich am 26.3. morgens (als sich Ann Cotten, Katharina Kohm und Julietta Fix im Übrigen bereits geäußert hatten): „Warum beteiligen sich eigentlich keine Frauen an diesem Diskurs?“, und bald wird dieser „kommentierspam“ (Daniela Seel) aufgegriffen und zum Verdacht umgeschmiedet, es könne sich bei der Debatte lediglich um männliche (Selbst)befriedigung handeln.
¹⁹

Sicher ist mein Text bis hierher (wo er nicht von Neid, Eitelkeit, Unprofessionalität oder Männlichkeit diktiert wurde) zu aufgeregt, wie man so sagt.
²⁰ Ja, es regt mich auf²¹: Je globaler ein Verdacht ist, desto leichter lässt er sich in Stellung bringen, aber desto schwerer kann man sich dagegen wehren. Je fester man selbst ein Vorurteil verinnerlicht hat, desto plausibler und abgeschlossener kommt einem das eigene Weltbild vor. Diese zwei Gründe machen das Geschichtenverbreiten, das Argumentum ad hominem so attraktiv.

Ich denke: Wir sollten zumindest möglichst differenziert und begründet mit dieser Art von Vorwürfen umgehen. Eine gute Diskussion würde denjenigen, der solche Untugenden tatsächlich verkörpert, diskursiv sanktionieren. Momentan ist es eher so, dass einer sie begeht und alle anderen dafür kollektiv haftbar gemacht werden.

Weil solche Standards leicht einzusehen und leichter universalisierbar sind, wie zum Beispiel die Maßstäbe guter kritischer Technik, scheint es mir weniger utopisch, dass eine bessere Lyrikkritik sich über die Etablierung solcher Standards entwickelt, als dadurch, dass wir gemeinsam neue Rezensionsorgane erwünschen.
²² Ich glaube vor allem deshalb daran, weil die Etablierung solcher Standards ein sich selbst verstärkender Prozess ist: Je fairer wir miteinander umgehen, desto offenbarer werden unfaire Argumente und dumpfe Ressentiments. Im Kleinen (Kneipen oder Subräumen des öffentlichen Netzes) erlebe ich eine gute Diskussionskultur ja. Hätte ich das nicht, wäre ich öffentlich vielleicht nicht frustrationstolerant genug, meine Einmischungen sorgsam zu bedenken. Man wende nicht ein, Appelle an die Anständigkeit verfingen grundsätzlich nicht. Es geht hier nicht um eine Grundanständigkeit, sondern um das Verlassen einer ideologischen Logik, um einen Denkschritt, bzw. eine Änderung der Haltung. Es ist auch so, dass man solche Diskussionsräume im Netz ja entstehen und vergehen sieht. Solche Räume sind offenbar veränderbar durch wenige Akteure. Es sind ja, auch das lehrt die Erfahrung bereits, die weniger gut geführten Diskussionen, die besonders zu weiteren diskursiven Schissen in den Vorgarten einladen. Man sollte dann auch möglichst der Verführung widerstehen, Argumente ad hominem als Hilfsargumente heranzuziehen, um schneller zum Ziel zu gelangen.²³ Mit Schnell-schnell ist wenig getan. Ein Großteil der wabernden schlechten Laune scheint mir daher zu rühren, dass die Leute sich von Diskussionen immer arg schnell Ergebnisse und Auskünfte erwarten. Es dauert aber eben, man wird es aushalten müssen. Dass es schnell und kompakt ginge, reden uns die Pädagogen und Verfasser von Einführungswerken und Anthologien ein.


Medienvergleich


Es erstaunt mich, wie schnell sich das Feld der Debatte nach Medien orientiert hat. Leute, die in der Kritik ein Interesse am Richteramt haben, neigen offenbar dem Forum Fixpoetry zu, Leute hingegen, die in der Kritik den Wert einer wie immer gemeinschaftlichen Selbstverständigung suchen, stellen ihre Beiträge auf Signaturen ein. Ich wusste schon, dass Kristian Kühn ein Faible für die lange Strecke hat und sich gern in diffizile Probleme hinein gräbt, dass sich in dieser Debatte die Medien schon so ausdifferenzieren (Beatles oder Stones?), überrascht mich. Autoren, die sich dezidiert an Leser außerhalb von Szenezusammenhängen richten, neigen Fixpoetry zu, Autoren, die sich an die Blase der Szene richten, eventuell mitgedacht mag deren Vergrößerung sein, gehen eher zu Signaturen. Fixpoetry datiert den Anfang der Debatte bei Tristan Marquardt, Signaturen (wie die Lyrikzeitung) eher bei Konstantin Ames. (Allerdings beschäftigt sich die Blase allerspätestens seit der Besprechung der Babelsprech-Anthologie durch Hellmuth Opitz zielgerichteter mit diesen Fragen und so mag hier auch der Einwurf der Kulturnotizen berechtigt sein, dass es dieses Gespräch schon lange gibt.) Wo man anfängt, ist schon eine Frage der Wertung. Übersichtlich anordnen ist schon eine Frage der Wertung. Und die künstlerische Kritik kann auf das explizite Ich als Instanz, für das Matthias Friedrich wirbt, gut verzichten. Das Ich könnte auch einfach Fluchtpunkt der Aufrichtigkeit sein.

Charlotte Warsen hat recht, dass die Frage, wie man werten will, nicht unabhängig davon ist, was man als Feld des zu Bewertenden anschließend scheinbar vorfindet. Im Grunde stellt sich die Frage bei jedem einzelnen Werk, das man als erster rezensiert. Ist das neue Werk ein Gegenstand der Literatur in vollem Sinne oder ein gescheiterter Schreibversuch, der eher im Vorfeld anzusiedeln ist? Sieglinde Geisel weist auf Tell auf den Satz hin „Er hat sich als erster aufs Eis gewagt.“ Sie erklärt: „Ein leicht dahingesagter Satz aus einem Gespräch mit einer Literaturredakteurin. Es ging um einen Kritiker, der eine wichtige Neuerscheinung als erster besprochen hatte. Die Metapher ist bemerkenswert. Zum einen ist sie falsch: Nicht der Kritiker geht baden, wenn das Eis bricht, sondern das Buch. Zum anderen ist sie verräterisch: Offenbar riskieren die nachfolgenden Kritiker nichts mehr auf dem Eis – jedenfalls dann nicht, wenn sie den Spuren des Kritiker-Pioniers folgen.“

Wer sich als Dienstleister an den Leser richtet, wird ihm überdies (das ist fast banal) abgeschlossene Werke, in der Regel Bücher, empfehlen wollen.

Wer interessante Positionen markieren will, wird eher dazu neigen, Kontexte quer zu einzelnen Bänden zu erschaffen, ist noch nicht einmal auf schriftlich Fixiertes verwiesen, er wird eher ein Bild von Lyrik als unabgeschlossenen Prozess im Blick haben. Wer vermitteln will, dem kann sich die Frage nach der Verständlichkeit aufdrängen. Als Dienstleistung ist es interessanter, einen neuen Gedichtband einer bereits bekannten Stimme zu bewerten, als eine unbekannte (abseitige und fremde?) Stimme einzuführen. Dienstleister werden das Neuherausgekommene dem älteren vorziehen. Zwar schließt keine dieser Tendenzen irgendetwas vollständig aus. Dennoch wird sich ein anderes Zentrum der Betrachtung nach und nach ergeben, während anderes zum Randphänomen wird.


Vermittelnd schreiben


Ich bin parteiisch und muss mich für den Dienst am Leser unzuständig erklären. (Ich kann mich nur an einem Chor einander widersprechender Stimmen in mir abarbeiten, das muss an Vermittlung reichen. Ähnlich geht es offenbar Charlotte Warsen und Michael Gratz.) Weil einige leidenschaftliche Plädoyers für eine leserorientierte Kritik abgegeben wurden, jedenfalls verstehe ich die Beiträge von Julietta Fix, Franz Hofner, Paul-Henri Campbell
²⁴ und Kristoffer Cornils²⁵ so, sei hier auch einmal an die Limits dieser Form breiter erinnert. Ich habe den Eindruck, dass sich dieser Begriff von Kritik mit sehr verbreiteten Intuitionen über Kritik trifft, die das mögliche Spektrum schnell vergessen lassen und andere Formen der Kritik immer wieder als Sonderformen an die Wand spielen. (Auch Matthias Friedrichs eigentlich als Verteidigung der künstlerischen Kritik gedachter Essay bewegt sich fast vollständig in dem von der vermittelnden Kritik gesteckten Rahmen.) Etwa wie man unter Roman heute vielerorts sofort eine spannende Geschichte mit bewegenden (oder lustigen) Schicksalen versteht und alles andere nur als rechtfertigungsbedürftige Sonderformen ansieht.

Nur vermittelnde Kritik lässt sich zum notorischen Betrügen stilisieren, wie es Kristoffer Cornils tut. Für andere Formen der Kritik gilt: Wenn man sich nicht an den unsicheren Leser da draußen richtet, ist klar: Sobald ich einsehe, dass mich eine Kritik schlechterdings nicht neutral informieren kann, sondern dass ich hier mit Stilisierungen betrogen werden soll, ist der Betrug schwer.
²⁶ Jemand, der Bescheid weiß, wird sie womöglich als artifizielle Leistung goutieren oder sie als verübersichtlichenden Schritt einer Selbstverständigung, die nicht unbedingt auf (bzw. gegen) das Werk gerichtet ist, hinnehmen.

Mit der vermittelnden Fassbarmachung bleibt stets die Gefahr der Trivialisierung, Vereinnahmung oder mindestens Umdeutung verbunden. Um meine Argumentation nicht in Richtungskämpfen zu verschleißen, sei hier das Problem der Vermittlung an einem musikalischen Beispiel verdeutlicht.
²⁷ Generationen von Schülern in Ost wie West lernten Schönbergs Zwölftontechnik anhand seiner Komposition „Ein Überlebender in Warschau“ kennen und missverstehen. Aus didaktischer Sicht mag es sinnvoll, fast alternativlos sein, den Ernst seiner Komponierweise an einem ernsten und bewegenden Inhalt zu veranschaulichen.²⁸ Unabhängig von der Machart missverstehen die Schüler die Komponierweise so allerdings in erster Linie als ein besonderes Ausdrucksgeschehen. Die Qualität einer neuen Tonsprache, die den Anspruch hat, verschiedene Ausdrücke zu ermöglichen, in der man z.B. auch Idyllen schreiben kann, wird auf diese Weise nicht zugänglich. Selbst wenn der Musiklehrer eine oder gar mehrere Unterrichtsstunden Zeit hat, in denen er die Grundregeln der Technik vorstellen konnte.²⁹ Natürlich können auch Missverständnisse produktiv sein.³⁰ Mindestens kann es zunächst egal sein, ob man den alten Bach als komponierte Religion, Jan Wagner als Tierdichter oder Ulf Stolterfoht als Unsinnspoeten liest. Eine Auseinandersetzung mag immerhin ermöglicht sein und im besten Fall macht der Rezipient aus seinem Erlebnis selbst etwas Interessantes. Der Vermittlung gerät nur ihr eigenes Anliegen, fürchte ich, leicht aus der Hand, und Dienstleistung kann sich immer als Bärendienst erweisen. Man kann sich zwar mehr oder weniger geschickt anstellen, höhere journalistische oder sonstwie professionelle Standards werden einen aber kaum vor dieser Art Problemen bewahren.

Vermittlung konkurriert auch immer mit anderen Wegen der Kenntnisnahme und stellt keinen einzigartigen Weg dar,
³¹ während der Aspekt der Kritik als Selbstverständigung irreduzibler Teil des Literaturgeschehens sein dürfte³².


Der Leser da draußen


Eine dienstleistende Kritik kann von Fall zu Fall auch den Leser unterschätzen. Der neue Lyrikleser hat Abitur und ist meist nicht ganz unbeleckt von geisteswissenschaftlichen oder künstlerischen Fragestellungen
³³. Er ist offen und ständig auf der Suche nach Neuem. Deswegen traue ich Franz Hofners am Beispiel einer Horrorfilmkritik gegebenem Bild nicht: „ … setzt Maßstäbe wie die frühen Rodriguez, schwurbelt³⁴ Spektakuläres von den Spezialeffekten oder innovativen Raffinessen in der Dramaturgie – und die wenigen anderen Splatter-Spezialisten können mit Glück etwas mit seinen Sätzen anfangen, das breitere Publikum hat er damit bereits aus dem Blick verloren.“ Wie oft liest man selbst auf Blogs, welche von erschreckend naiven Verfassern³⁵ geführt werden, auf das Buch xy sei man aufmerksam geworden, weil es im Kontext z genannt wurde.

Muss ich jede Wendung eines Textes als Leser einschätzen und ganz verstehen können? Ich glaube, Leser da draußen sind gelassener als bestimmte Kritiker, die unruhig werden, wenn sie nicht gleich alles überblicken, und erwarten dasselbe Misstrauen dann ihrerseits von ihren Lesern. Nicht nur Lyriker finden gelegentlich Freude an einem gut eingesetzten fremden Begriff, den man in dieser Form weiterverwenden kann. Warum entstehen sonst Modewörter und die Jugendsprache droht ständig unverständlich zu werden?

Ich glaube, auch andere von Hofners Aussagen über den Leser sind nicht ganz stimmig: „das Publikum möchte aus einer Lyrik-Kritik eine halbwegs verlässliche Einschätzung gewinnen: würde es mir Spaß machen / mir etwas bringen, das Buch selbst zu lesen? Soll ich es gar kaufen?“ Niemand mit etwas Verstand traut einem Anderen so unmittelbar über den Weg. (Wer das schafft, ist ein Star der Branche oder mindestens ein Geheimtipp.) Aber das macht gar nichts. Auch hier kann man an besagten Blogs bereits ganz jenseits der Lyrik eine andere Beobachtung machen. Follower eines Youtube-Literaturkanals oder Bücherblogs möchten die Welt mit den Augen von Freunden mit gleichen Hobbys wahrnehmen. Ein Riesenheer von Lesern möchte das, und das ist der Kritik als Selbstverständigung fast näher als dem klassischen Bild einer vermittelnden Kritik. Ich ermuntere zu mehr Mut, damit man sich nicht aus Scheu vor dem seltsamen Tier „der Leser da draußen“ an ererbten Gattungsstandards festklammert, wie „bewährt“ sie auch sein mögen: Ich erlebe eher, dass sich Kaufentscheidungen lediglich nebenbei abspielen, kaum einer liest wohl gezielt Kritiken, weil er sich demnächst ein neues Buch anschaffen möchte. Meist möchte wohl auch der „Laie“ da draußen eher etwas über den Schriftsteller (und noch nicht einmal das Buch) wissen, er hat über etwas reden hören und sucht irgendetwas, von dem er selbst kaum wissen muss, was es ist, bis er findet. Oder er hat das Buch selbst gelesen und schaut nun neugierig, wie andere es empfunden haben. Es lohnt zu schauen, wie oft Leute sich Nummern eines Blogs oder Booktubekanals angesehen haben, weil es dort um dieselben Bücher geht, die man auch gelesen hat. Es werden weitreichende Welthaltungen mitveranhandelt und weniger bloße Konsumentscheidungen getroffen.


Kritik als Selbstverständigung


Wenn Kritik eine Selbstverständigung ist, wie Jan Kuhlbrodt und Alexandru Bulucz meinen, wird die Frage nach den Maßstäben der Kritik natürlich heikel und lässt sich nicht grundsätzlich beantworten. Mit Charlotte Warsen glaube ich allerdings, dass wir sie stellen sollten. Ich glaube nämlich, dass Alexandru Bulucz seiner eigenen Metapher aufsitzt, wenn er hier einen Gegensatz zwischen epigonaler bzw. dienender regelhafter Kunst bzw. Kritik und einer höheren Form aufmacht. Er versucht sein Verhältnis zur Kritik anhand von Walter Benjamins Begriff des Übersetzens zu klären. Insofern wir die Übersetzung eines Textes in eine andere Sprache in der Regel sehr leicht von einer Rezension zum selben Text unterscheiden, können wir seinen Fehler anzeigen: Wenn man dieses Bild übernimmt, aber den Regelgedanken gänzlich streicht, wäre die Kritik dem Übersetzen in eine neuerfundene Phantasiesprache analog, man könnte gar nicht mehr angeben, was Scheitern heißt. Es ist schwer vorstellbar, dass Walter Benjamin so etwas vorschwebte. Man übersetzt gemeinhin aus einer bestimmten Sprache (etwa Englisch) in eine andere (etwa Deutsch) und kann angeben inwieweit eine Übersetzung z.B. ganz grundsätzlich der Grammatik des Deutschen folgt (oder grammatikalische Absonderlichkeiten des Originals in der Zielsprache mit einem Analogon versieht, usw.) Diese nichtbeliebige Schicht, die an ganz allgemeinen Regeln hängt, müsste sich doch auch in jeder Kritik ausmachen lassen.
³⁶ Wie eine Übersetzung ins Deutsche das Paschtu, Suaheli oder Telugu überträgt, damit der Text anschließend den Operationen bereitsteht, die man gemeinhin mit dem Original auszuüben wünscht, ist auch die Kritik zwar nicht einem konventionellen Kanon und nicht einem benennbaren Resultat verpflichtet, jedoch auf die Zukunft gespannt:

Wie lässt sich das Gespräch nach der Kritik fortspinnen, welche Anschlüsse erlaubt es und welche verbietet es? Ob es hier darum geht, neue Kunstgesetze aufzufinden oder nur die Gewohnheiten seines Umgangs mit Sprache übersichtlich anzuordnen, ob ein Text erhellt werden soll, indem man ihn mit einem sprachlichen Material rekonstruiert, ob man Anschlussproben möglicher Diskurse versucht, usw. Dabei sind immer Vorschläge für Regeln des Umgangs involviert, selbst wenn wir diese nicht im Einzelnen überblicken, geschweige denn formulieren können. Zweitens werden diese Regeln auch nicht die Zukunft des Gesprächs vorhersagen.
³⁷ Wir können damit auch niemals genau wissen, ob diese vorgeschlagenen Regeln widersprüchlich sind oder werden können. Manchmal sind sie es mit überraschendem Ergebnis.³⁸ Ich bevorzuge allerdings solche Kritiken, die dies in den Signaturen des Textes möglichst kenntlich machen. Zum Beispiel aus Zwecken der Selbstkatharsis kann man sich zwar auch an anderen Texten das Hirn martern, ich betrachte dies nur deswegen nicht als ein aufzurichtendes Ziel von Kritik, weil an solcherlei Texten ohnehin kein Mangel besteht. Charlotte Warsen kritisiert “Desweiteren die schizoid freidrehende, als Kritik und manchmal auch als Poetik getarnte, Paralyrik, die den zu besprechenden Texten, unter impliziter Berufung auf die prinzipielle Unverständlichkeit des Universums, ein eigens angefertigtes Wirrwarr zur Seite stellt, anstatt an irgendeiner Stelle auch nur versuchsweise von der Seite her einzuhaken.” Mit ihr bin ich der Meinung, dass es besser ist, erst einmal in eine bestimmte Richtung konsequent zu gehen, als verharrend mit Bulucz die Tiefe und Komplexität der Kunst zu bestaunen.³⁹

Der von Bulucz aufgerufene Walter Benjamin teilt die Meinung, dass die Wertung nicht das Ziel einer nachhaltigen Literaturkritik sein kann.
Das freut mich, weil man mit dieser Sicht heute recht allein ist. Aber mein Anspruch wäre dieser: Eine Wertung geht in einer guten Kritik aus der Deskription zwingend hervor. Sie wäre damit redundant. Ist das nicht der Fall, ist sie ungerechtfertigt, der kritische Prozess damit noch nicht beendet. Das Richteramt braucht man also nicht zu feiern, Wertungen schließen einen Kritikprozess lediglich vorschnell ab, sind also bloß Ergebnis des Umstandes, dass man für eine Rezension nicht ewig Zeit hat. Auch für Jan Kuhlbrodt ist die Wertung nicht das Entscheidende, für ihn geht sie der Kritik voraus, indem man einen Gegenstand auswählt. Diese Redeweise kommt mir missverständlich vor. Wir haben uns darauf geeinigt, das kritisierte Werk als den Gegenstand der Rezension zu betrachten. Dieser muss nicht immer wertvoll sein. Man kann sich auch notgedrungen mit ihm beschäftigen. In gewissem Sinne kann der Gegenstand einer Kritik auch das Problem sein, über das man sich selbst verständigen möchte. Das Werk kann nur über diesen Aspekt in den kritischen Prozess geraten. Nicht jede Kritik, nicht jeder Verriss ist aus Achtung vor dem besprochenen Werk geboren.⁴¹

Ich glaube, Kritik als Selbstverständigung meint gerade nicht eine Übersetzung der Sprache des Kunstwerkes in eine eigene Version dieser Sprache, wie es Matthias Friedrich vorschwebt. Ich bin fast sicher, Bulucz und Warsen würden mir hier zustimmen. Bei Bulucz liegt es besonders auf der Hand. Gerade für die Machart seiner Gedichte, sie beruhen oft schon von sich aus auf Verfahren der Reduplikation, wäre dies als kritische Technik unbrauchbar.
⁴² Im Grunde ist die Parodie das Verfahren der Übersetzung der Sprache eines Kunstwerkes in eine andere Version derselben Sprache. Parodie kann Kritik sein, aber das hatten Bulucz und Warsen wohl nicht gemeint. Ja, mir kommen solche paraphrasierenden, anverwandelnden Rezensionen gerade oft besonders langweilig vor, weil ihre Vorschläge, wie denn das Gespräch fortzusetzen sei, so wenig von denen des Originalwerkes abweichen oder nicht über subjektive Setzungen (Friedrich spricht von Abbrüchen) hinaus kommen. Solche Rezensionstechniken kommen mir oft wie eine aufwändige Performance von Ehrerbietung und Kritikersensibilität vor, die das Weitersprechen zusätzlich hindern.⁴³

Matthias Friedrich kommt mir auch da schief vor, wo er das Ich in der Kritik als Selbstverständigung zwar vielleicht nicht gerade fordert, aber zumindest ostentativ erlaubt. Um Gonzo-Journalismus, wie er in den Zeitungen steht, geht es ja gar nicht. Das Wort „Ich“ kann in der Kritik als Selbstverständigung auch komplett zurücktreten, die Persönlichkeit wird sich im herangezogenen Material und seiner Anordnung ebenso aussprechen. Wo es vorkommt, wie in meinem Text aus eiliger Bequemlichkeit, ist es ein Notnagel, der gar nicht die Fülle der Subjektivität des Gonzo-Journalismus markiert, sondern vielleicht bloß eine mögliche, vielleicht die deutlichste Stimme aus dem Chor der inneren Rede vorträgt. Diese Stimmen mögen reale Stimmen der Mitmenschen sein, wie sie sich manchmal in unruhige Träume spinnen, das vernünftige Gespräch des inneren Teams, wie es Friedemann Schulz von Thun beschreibt, oder Ulf Stolterfohts „Stimmen aus dem Bücherschrank“. Ein Notbehelf ist dieser Einsatz des Wörtchens „Ich“ deshalb, weil die Begrenztheit dieses Ich im Gegensatz zum Größen-Ich gelebter Subjektivität sich nicht mit Hilfe dieses Wörtchens markieren lässt.


Konvergenzen


In meinem Studium musste ich mit den von Matthias Friedrich beschriebenen Rezensionen paraphrasierenden Typs (ich scheue mich, etwa Gadamers Celan-Deutungen Texte der Selbstverständigung zu nennen) häufiger umgehen, als mit Rezensionen didaktischen Typs. Ich kann es mir nur so erklären, dass das Lehrziel solcher Stunden, entgegen der Selbstbeschreibung der Literaturwissenschaft als Ort der Textanalyse, eher war, ein Sensorium für die Größe und Bedeutsamkeit bestimmter Dichtungen zu erwecken. Insofern die Anschließbarkeit vor allem in Affirmation oder gar stummer Ergebenheit bestand, erlebte ich diesen Kritiktyp als ungeeignetes Mittel. Während die analytische Didaxe der Grundkurse sich oft phantasielos mit Lehrbuchbeispielen behalf, an denen ich dennoch nach Kräften meinen Spaß hatte.

Es gibt also bei allen Formen der Kritik eine Lücke zwischen ihrer gedachten Gesprächssituation und ihrer tatsächlichen Verwendungsweise. Die vermittelnde Form der Kritik muss oft ihr Ziel aus der Hand geben, die Selbstverständigung kann selbstverständlich ebenso scheitern. Der Didaktiker wird in der Lehre selbst Einsichten gewinnen, wer sich selbst verständigt, tut dies nie, ohne sich anderen Sprechern mit verständlich zu machen. Der Versuch der selbstverständigenden Ich-Überschreitung lässt sich ebenso leicht fälschen, wie eine Rezension aus Scheingewissheiten etwas dekretieren kann. Beide Formen lassen sich für die jeweils andere Umgangsform zweckentfremden. Auch wenn mir jeder Versuch einer Überschreitung sympathisch ist
⁴⁴ und weniger autoritär wirkt, leistet das Einfordern der einen (oder der anderen) Form wohl nicht mehr als allerlei Verkleidung zu fördern. Jeder wird ohnehin so weiterrezensieren, wie sein Furor es ihm gebietet.


¹ Und selbst dieser Text steht auf dem Spiel, überfordert meine zeitliche Kapazität, zumal laufend neue Diskussionsbeiträge einzuarbeiten sind.
²  Die junge Lyrik, die kookbooks-Lyriker oder die Lyrikzeitungleser werden ja auch gern, trotz ihrer großen Verschiedenheit, in Diskussionen kontrafaktisch zu Gruppen mit wiedererkennbaren Merkmalen stilisiert.
³ Wer möchte, kann sich ja bei Übersichtsseiten wie https://lit21.de/ anmelden. Für denjenigen, der seinen Anspruch an Übersicht etwas zurückschraubt, leistet auch Planet Lyrik Hervorragendes.
Wenn es nicht gar Aufmerksamkeitskalkül ist, einen schwachen Text eines bekannten Autors zu veröffentlichen, weil er „umstritten“ sein wird. Ein Forum, das sich als Leitmedium durchsetzen möchte, wird hier besonders anfällig sein.
⁵  Die funktionierte aber doch schon mal noch schlechter. Heute wird in Zeitung und Rundfunk gern zumindest summarisch darauf empfehlend verwiesen, früher wurde lieber abgetan.
⁶  Was den Kuchen verkleinert. Oder hofft jemand im Ernst, es gäbe dann mehr Geld?
⁷  
Fordert Franz Hofner.
⁸  
Oder sind Armin und ich auf dem Land aufgewachsen und wir sind Ausnahmen, wie man mit Walter Fabian Schmid vermuten könnte?
Auch wenn ich mir von Frank Milautzki dann den unschönen Vorwurf der Lyrikpolizei einhandele. Man bedenke aber: Ein einzelner Polizist (um im Bild der Judikative zu bleiben) kann nur wirken, insoweit er Regeln vertritt, von denen die anderen ebenfalls ahnen, dass man sich mit gutem Grund an sie halten sollte.
¹⁰ René Hamann sagt im Zuge der Debatte: „Ein Problem für die Lyrikkritik ist auch, dass sich schon die Lyrikleser nicht sehr von den Lyrikproduzenten unterscheiden.“ Das gilt auch für die Verfasser einer wissenschaftlichen These und deren Kritiker und ist dort kein Problem.
¹¹  Oder um es mit Martina Hefter zu sagen: „oh, das klingt nicht gut. ich frag mich immer, wieso ausgerechnet in der literatur man also quasi mafiöse verhältnisse schon voraussetzt? die leute, die das zu dir sagten, müssten doch eine ausgesprochen farbige phantasie haben, eigentlich?“
¹² Man denke heute also an Leute wie Alexander Kappe.

¹³  Von einigen erfreuten Lyrikern musste sie ebenfalls absehen.

¹⁴  Wer‘s belegt haben möchte: ein Fundstück von Ostern auf Tell: unter einem Artikel, der eigentlich das Problem der Kritik vor allem von Prosa aufgreift, kommen die Kommentare schnell davon ab und schießen gegen die Dichter: „Hat mich gelesen und lobt mich, danach bemisst sich ja des Dichters Sympathie. Wer kennt sie nicht, die alte Story: Dichter trifft auf Bekannten. Dichter redet viel, immer über sich … ‘Jetzt haben wir eine halbe Stunde’, erbarmt er sich endlich, ‘über mich geredet, jetzt reden wir doch mal über Sie: Wie hat IHNEN denn mein neues Buch gefallen?’“ Dabei sind natürlich die Radfahrer an allem Schuld!
¹⁵  Soziologen, die sich mit Täter-Opfer-Umkehr beschäftigen, weisen darauf hin, dass Menschen gerne in einer gerechten Welt leben und sich die Welt eher gerecht lügen, als Spannungen und Ungleichheiten psychisch zu ertragen. Dies mache es verführerisch, Opfern die Schuld für ihre missliche Lage in die Schuhe zu schieben und sich von Opfergruppen abzugrenzen.
¹⁶  Walter Delabar auf Literaturkritik.de am 30.3.2015.
¹⁷  
Könnten wir unsere fallibilistische Intuitionen stärken?
¹⁸  
Auch wenn ich Kurzkritiken für überschätzt halte: Kommentierte Listen fehlen mir oft, um mir ein Thema effektiv erschließen zu können. Theo Breuer hat früher häufiger solche wertvollen Listen zusammengestellt.
¹⁹  Um nicht den unguten Eindruck zu erwecken, hier wolle ein Mann „wieder mal“ einen Genderaspekt einfach vom Tisch wischen: Es könnte sein, dass sich öffentlich ein eher männlich konnotierter Stil durchgesetzt hat, sodass man sich fast enttäuscht sieht, wenn nicht irgendetwas behauptet wird, an dem man sich reibt, etc. Katharina Kohms Beitrag etwa, wie richtig ich ihre Bemerkungen teils finde, wirkt auf mich etwas matt, weil ich aus ihm nicht viel Greifbares folgern kann, und Frank Milautzcki warnt in der Überschrift seines vorsichtigen (aber wie ich finde dennoch schönen) Textes bereits: „th;dr (too harmless; didn’t read)“
²⁰  Kristoffer Cornils hat ja aus ähnlichen Gründen bereits das Handtuch geworfen, Walter Fabian droht damit.
²¹ Die Öffentlichkeit repräsentiert wie so oft ja schon den verhalteneren Teil des Gesprächs. Andere möchten sich mit ihren abfälligen Mails und Privatnachrichten nicht gerne öffentlich zitiert sehen.
²² „Allerdings gibt es in der Lyrik eine Tendenz, sich in eine Art Rausch der Untätigkeit reinzumotzen.“ Charlotte Warsen
²³ Ich benutze sie sehr selten und in der Regel als Retourkutsche. Eine andere Möglichkeit ist, sie ironisch auf sich selbst zu beziehen, wie es Charlotte Warsen „nach dem Lyrikermotto ‘Maulen statt Machen’“ vormacht.
²⁴ Ihn verstehe ich so, weil er die ästhetischen Qualitäten offenbar als fraglos vorgängig gegeben ansieht, sie müssen also bloß noch irgendwohin vermittelt werden? Auch beschwört er in der Facebook-Diskussion den Dienstleistungsgedanken.
²⁵  Letztlich kommt mir auch Matthias Friedrichs Verteidigung der künstlerischen Kritik nicht sonderlich geglückt vor.
²⁶  Auch für die leserorientierte Kritik ist dieses Bild allerdings etwas schief. Zum Betrug gehört die Intention. Erst wenn ich etwas tun oder auch unterlassen kann, bin ich moralisch haftbar. Insofern ist das Bild vielleicht doch etwas verzagt?
²⁷  Auch Matthias Friedrich sucht sich den Tageskämpfen durch Wahl eines entlegenen Beispiels zu entziehen, wie stichhaltig seine Beispiele sind, kann ich nicht beurteilen. Ob er absichtlich den Anfang einer von ihm als didaktisch titulierten Kritik zitiert, der verheißungsvoll genug wäre, auch eine Kritik als Selbstverständigung daraus fortzuspinnen, weiß ich nicht.
²⁸  Dieses Missverständnis prägt die Diskussion schon seit der Uraufführung, hat aber nicht wenig zum Erfolg dieser Komposition beigetragen.
²⁹  Was für ein Luxus im Vergleich zum Raum einer Kritik! Was soll da die Kurzkritik vermitteln? Allenfalls kann sie mitteilen, dass es neben dem Herrn Karl Phillip Emanuel Bach noch die sehr hörenswerten Georg Anton Benda und Antonio Rosetti gab. (Ich musste schon ein wenig suchen, bis ich ein geeignetes Beispiel fand.)
³⁰ Sie ist es aber oft nicht. In welch merkwürdigem Missverhältnis steht die Faszination expressionistischer Gedichte zu den Anknüpfungsversuchen an deren Leistungen! Liegt es nicht zumindest auch an einer betriebenen vermittelnden Überbetonung von deren Novitäten und Ausdrucksaspekten, während die Anknüpfungen an ältere Traditionen und Vorläufer (unter Ausschlagung der damaligen Neuerwerbungen eines Max Dauthendey, Paul Ernst oder Arno Holz) kaum berücksichtigt werden?
³¹ Man lernt vielleicht schneller als durch Vermittlung Wesentliches über Schönbergs Tonsprache, wenn man Kompositionen in Zwölftontechnik als Einschlafmusik ausprobiert. (Wofür sich eher die nichtvokale Musik eignen dürfte als besagtes Werk.)
³²  
Von der sich lediglich fragen ließe, ob diese auch schriftlich zu geschehen habe.
³³  
Sei es studientechnisch oder privat. Und er muss dafür noch nicht mal einen bildungsbürgerlichen Hintergrund haben.
³⁴ Durch Schwurbeln verliert man natürlich in jedem Falle das Publikum aus den Augen, und man sollte es auch hier unterlassen.
³⁵ Solche, die z.B. zum Stil eines Buches nichts weiter zu sagen haben, als dass er „gut“ oder „angemessen“ sei (ohne zu sagen, woran denn.)
³⁶ Bulucz’ Fehlsicht erinnert mich an jene, die Goodman, Putnam oder Davidson an Tarskis berühmter Idee der Zitattilgung bemerken.
³⁷
Regeln bieten, wie wir seit Wittgenstein wissen, niemals eine vollständige Präskription der konkreten Anwendungen, die andere von ihnen machen werden.
³⁸ Übersetzungen können fremde Begriffe unübersetzt stehen lassen oder multilingual werden.
³⁹
Ich meine hier ausdrücklich seine Meinung zur Kritik, seine Texte sind ganz etwas anderes und lassen mich staunend reisen.
⁴⁰  
„Daß dem Verfahren, Bücher so zu »werten«, ein gänzlich anderes: sie erkenntnismäßig zu verwerten, entgegengestellt werden kann, bedarf keines Beweises. Da wird denn plötzlich der rein ästhetische Gesichtspunkt unzulänglich, die Information des Publikums Nebensache, das Urteil des Rezensenten belanglos. Dagegen treten eine Anzahl völlig neuer Fragen in den Vordergrund: Welchem Umstand verdankt das Werk Erfolg oder Mißerfolg? was hat das Votum der Kritik bestimmt? an welche Konventionen schließt es an? in welchen Kreisen sucht es seine Leser? Eine Bescheidung und Gesundung der Kritik, eine Sanierung, ist es, die mit solch neuem Blick sich anbahnt. Ihre Merkmale: unabhängig zu sein von der Neuerscheinung; wissenschaftliche Werke so gut zu betreffen wie belletristische; indifferent gegen die Qualität des zugrundegelegten Werkes zu bleiben. Niveau und Haltung, die sie im Journalismus verspielt hat, wird die Kritik an solchen Aufgaben am ehesten zurückgewinnen, den Anspruch auf Unfehlbarkeit von Reaktionen aber, auf den sie sich heute stützt, als widersinnig und anstößig fallen lassen. Daß die erkenntnismäßige Verwertung von Büchern mit ihrer literarischen »Wertung« identisch würde, – dieses seltene Optimum der Kritik setzt nicht nur den vollkommenen Kritiker voraus: selbst er kann nur zu diesem Ziel gelangen, wo das große Werk sein Gegenstand ist.” http://gutenberg.spiegel.de/buch/kritiken-und-rezensionen-1912-1931-2981/108 Damit beißt die Katze sich natürlich in den Schwanz: Wertung will ja ansonsten gerade herausfinden, was die großen Werke sind.
⁴¹ Wie die Techniken der Psychoanalyse (freie Assoziation, Projektion, Deutung usw.) nach einem Hinweis von Wittgenstein, wenn sie funktionieren, wie Freud sie beschreibt, ja nicht notwendig bei einem so persönlichen Gegenstand wie den eigenen Träumen beginnen müssen, sondern auch bei den zufälligen Gegenständen auf meinem Tisch anfangen könnten.
⁴²  Und würde eher einen ruhigen Dadastrom als eine Form der Kritik ergeben.
⁴³  
Der predigthafte Eindruck kommt also nicht bloß daher, dass solche Interpretationen besonders für eher hochtönende Vorlagen benutzt werden, sondern einfach auch daher, dass die Frage „Nun, und was weiter?“ keine Antwort findet.
⁴⁴  
Freuen mich rückmeldende Mails von den Autoren, die ich rezensierte, deswegen mehr als Walter Fabian Schmid?


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