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Bernd Jaeger: Hart an der Grenze

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Timo Brandt

Bernd Jaeger: Hart an der Grenze. Gedichte. Bremen (Sujet Verlag) 2020. 132 Seiten. 14,80 Euro.

Launen, Luftsprünge, Leviten, ein mannigfaltig bepflanztes Feld


„Stern
Schrecksekunde meiner Lichtempfängnis
weißes Auge
Sandstürme treiben über die Tundra
der Weg ist vorgezeichnet
das Wolfsrudel zieht weiter
Bulldozzer
schwere Erde, irdnes Kalb
reißend glaube ich ans Licht
inzwischen entsteht dort eine Stadt
Stahltürme
wir laben uns am Öl
das schwarze All
Weltkampf meiner Augen mit Deinen
Erde taut in meiner Hand
ich beiße
entschieden ist die Welt“

Obgleich eine Neuerscheinung, handelt es sich bei den Gedichten in „Hart an der Grenze“ um Texte aus den Jahren 1970-1980, genauer aus den vier Publikationen Jaegers, die in diesem Zeitraum erschienen sind.

Beinahe sofort augenfällig ist die eigenwillige Formlosigkeit vieler Gedichte, die fast immer auf einer Seite Platz haben. Wenn sie keinen Titel haben, starten sie meist mit einem kleinge-schriebenen Wort und scheinen auch, darüber hinaus, nicht selten weit davor zu beginnen, wirken mitunter wie ein Fragment oder ein Zitat aus einem längeren Gedicht.  

„wenn wir noch länger
das bild unseres
häuschens am
hals haben im
amulett
lassen wir pandora bei uns
wohnen
unterm schrägdach
zwei ententritte vom schorn
stein wir schlagen
ihr aber draußen
gleich zwei liege
stühle auf“

Mit dieser Stückhaftigkeit einher geht auch der Eindruck, dass Jaeger in seinen Versen mitunter einer ganz eigenen Mythologie frönt. Manchmal haben die Gedichte etwas Märchennahes oder Rätselhaftes, aber fast immer geben Sie sich den Anschein eines Zusammenhangs, den man als Leser*in, zumindest teilweise, zunächst im Mythologischen, im Anspielungshaften zu finden glaubt.

Das alles soll natürlich nicht so ausgelegt werden, dass Bernd Jaeger als weltfremder, munkelnder, rein spiritistischer Dichter erscheint. Vielmehr ist sein lyrisches Ich eine sehr formwandlerische Gestalt, die mal als feiner Beobachter, mal als anrufende Instanz, mal als versunkener Biograph, mal als malender Träumer, mal als rätselhafter Prophet auftritt.

„auf der Brille eines
Archivars aus dem Norden
schlagen sich ungezählte Gladiatoren
schreie nieder
während er das Colosseum in
Rom besichtigt

eine Brille beschlägt eigentlich immer
wenn sie vom Kalten ins
Warme kommt“
                 
Übergreifende Eigenschaften kann man den Gedichten ansonsten schwer andichten, ohne ihre Mannigfaltigkeit und Eigenwilligkeit dabei zu marginalisieren. Es sind Capriccios, die mal wie Eingebungen, mal wie Zuspitzungen, dann wieder wie Gelegenheitsgedichte, wie Schnappschüsse daherkommen.

Diese ganz eigene Launenhaftigkeit, die Stimmungs- und Sujetvielfalt, ist ihr Kapital: man weiß nie genau, was im nächsten Gedicht zu erwarten ist, ob sich die Bildsprache zielsicher, verstreut, offen oder hermetisch auffächern wird, ob sie mehr im Profanen, im Transzendenten oder irgendwo dazwischen beheimatet sein wird.

„Nichts als ein Frikadellengesicht auf dem
Zaun da hinten zwei verwarzte
Gurken die zum
Glasdach des
Dachgartenhauses hinschauen wo ein
Engel nicht
zurande kommen kann mit seinem eigenen
Strohhut“
            
Aufgrund dieser Leseerfahrung habe ich mich nachträglich sehr über das Cover gewundert. Ich will gewiss nicht behaupten, dass Jaeger ein unpolitischer Dichter ist, aber dennoch wirkt das Cover etwas martialisch, plakativ und passt einfach nicht zu dem, was man zu lesen bekommt.

Womit ich nicht behaupten will, dass ich alle Erfahrungen, die das Buch bereithält, gemacht habe, aber einige Erfahrungen, die ich gemacht habe, spiegeln sich in dem Cover ganz und gar nicht wider. Es lässt, zumindest in mir, den Eindruck aufkommen (zusammen mit der Wahl des Titels), es handle sich hier um brandaktuelle, im Kontext von Flucht und Gewalt zu lesende Gedichte. Und das ist, in meinen Augen, einfach nicht der Fall und wirkt leider wie eine etwas plumpe Werbemaßnahme.

Dennoch war der Band alles in allem eine Entdeckung, und es ist schön, dass sich der Sujet Verlag (der in den letzten Jahren auch andere, neuere und ältere, Gedichte von Jaeger publiziert hat) so um das Werk dieses mir bis dato unbekannten Dichters kümmert.

Fazit: vielleicht gerade weil sie so eigenwillig sind, haben die Gedichte wenig von ihrer Faszination verloren, trotz der 50 bzw. 40 Jahre seit ihrer Erstveröffentlichung. Man kann sich unbekümmert und doch gespannt in sie vertiefen.

„die alten Hände der Zeit,
sie sind nicht mehr allein,
schöpfend aus Licht
den Tag,
streichen sie aus ihrem Bart
die Stunden,
ihr Antlitz, ja, ihr Antlitz
ist der Traum vom Menschen,
einer, der wach ist.“
               

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