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Augusta Laar: Avec Beat

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Armin Steigenberger

Augusta Laar: Avec Beat. Kurzformen, Mischungen. Loops. Scheuring (Vogel & Fitzpatrick Verlag - Black Ink Lyrik), 2020. 40 Seiten. 8,00 Euro.

liebeslichter und puppenjuwelen


Gleich beim ersten Durchblättern stechen mir faszinierende, sehr spontan wirkende Strichzeichnungen ins Auge. In schwungvoller Handschrift ‚prangt‘ Avec Beat oben mittig auf dem Einband; und auf der Rückseite, wie mit der anderen, ans Schreiben nicht gewöhnten Hand geschrieben, steht noch mehrmals Avec Beat.

Im Herbst 2020 ist der neue Gedichtband der Münchner Autorin Augusta Laar erschienen: AVEC BEAT, dessen Selbstdefinition mindestens irritierend ist – dort, wo sonst normalerweise als Genrebezeichnung „Gedichte” steht (oder irgendetwas mit Literatur), lesen wir: Kurzformen Mischungen Loops — und genau das ist außergewöhnlich. Es wirkt, wie auch schon der Titel, genresprengend und ironisch lächelnd: Um welche Kurzformen handelt es sich? Was genau wird gemischt? Was wird in Loops präsentiert? Diese drei Worte transportieren einiges, und in meinem Kopf läuft prompt ein ganzer Film ab.

Und plötzlich fühle ich mich zurückversetzt in die feuchte, in jenen früheren Tagen verrauchte Luft ‚dunkler’ Diskotheken und ihrer flackernden Lichtorgeln mitsamt dem beißenden Weiß bei Schwarzlicht, teleportiert ins zappelnde Licht der Stroboskope, denke an die „alten” Mixtapes auf Kassette, die man sich früher gegenseitig schenkte, und sehe die Scratchbewegungen einer DJ-Hand am Plattenteller, denke an die ersten Rapper, der Hiphop kam erst später, und wie Musikinteressierte in Plattenläden nach Neuerscheinungen stöberten, nach Mixes & Remixes, nach einer Maxisingle, die eine andere, oft längere und tanzbar(er)e Version eines Stückes präsentierte in anderer (Ab-)Mischung. Heute gibt es bei Lesungen Loopmaschinen („Looper”), also Loopstationen, mit denen Texte in Form von Beat Boxing, Musik und rhythmischen Klängen in Schleifen („Phrasen”, Looppatterns) angelegt und eingespeichert werden können.

Schon der Titel lässt aufhorchen: AVEC BEAT. Mit Beat (also Takt) – oder mit Beat, dem Kerl mit dem hauptsächlich im Schweizerischen gebräuchlichen Vornamen, dem männlichen Pendant zu Beate? …

Und es gibt auch ein Gedicht mit dem Titel des Bandes, das komplett französisch ist und das in sich mehrere Schleifen hat und endet mit (...) ne / sait / pas / crash / ne / sait pas. Texte werden selbst zu Loops und gespiegelt, wie z.B. das Gedicht TANZT, und arbeiten mit meditativen Wiederholungen. Das zweisprachige AVEC BEAT benennt den ‚coolen Groove’, der so eingängig ist, dass die Zehen automatisch anfangen zu wippen, der zum Tanzen reizt und sich zur Musik rhythmisch zu bewegen. Der Titel zeigt schon die Richtung: Hier geht es um die explizite Verquickung von Musik, Text und Rhythmus — und somit um Dynamik und Bewegung — präsentiert in Kurzformen. Gemischt werden auch Gedichte früherer Bände im DJ-Verfahren mit ganz neuen Präsentationen; eine ziemlich spannende Komposition also, zumal mit diesem Band eine ganz neue Lyrikreihe begründet wurde*.

Black Ink – das ist der Verlag um Nikolai Vogel und Kilian Fitzpatrick, die ebenfalls in München für so manche Kunstaktion gesorgt haben, nicht zu vergessen die Lesungen vom Boot aus auf dem Kleinhesseloher See – Black Ink ist wenigstens in München als Verlagsname ein fester Begriff und gehört zu den engagierten Kleinverlagen der Münchner Verlagsszene und punktet seit Jahrzehnten mit der unverwechselbaren minimalistischen Optik seiner Bücher. Schlank und doch gehaltvoll verlockt der minimalistisch wirkende Band mit handschriftlichen Notaten und 9 dynamischen Zeichnungen – mit ungewöhnlichen Materialien selbst gezeichneten oder gescribbelten Zeichnungen, die oft eine Beziehung zur Form des  Kreises haben – zur eingehenderen Lektüre.

AUCH WENN

und wenn und wenn
und wenn niemals und nie
und wenn niemals und nie
so ein staccato entsteht

Lautmalend werden manche Texte selbst in ihrem Silbenmix zur MU’ZI:K (wie ein Gedicht heißt) und entwickeln dabei ihren ganz eigenen Beat: Im Gedicht UND SYD VICIOUS** RUFT (…) klicken klickern klimpern timpern (…), im Gedicht SO WIE (…) so wie / nie so / wie nie / so zittern / wie nie (…)

Dem Buch sind zwei Mottos vorangestellt: Eines von Nick Cave (Augusta Laar ist Schülerin von Nick Cave) und eines von Kim Gordon. Dies allein vermittelt schon ein gewisses Underground-Lebensgefühl und weckt Erinnerungen an die ganz spezielle Atmo der 1970er und frühen 1980er Jahre. Eine souveräne Lockerheit (um nicht zu sagen, grandiose Nonchalance ...) wird zwischen den Zeilen spürbar und versetzt mich als Leser zurück in ein Erleben jenseits von verhärmter Spießigkeit und Prüderie. Laars Gedichte werfen Schlaglichter auf eine Form der Freiheitsmöglichkeit, die (vor allem während der Pandemie) heute längst vergangen zu sein scheint. Frei sein leicht sein / winter in Amerika benennt einen unbedingten Freiheitswillen und ruft die früheren USA ins Gedächtnis zurück als Sehnsuchtsort – geschrieben noch vor der Erstürmung des Kapitols Anfang Januar 2021 und alle spielen / mit ihren handys, jenseits von Algorithmen, Gesichtserkennung und Bitcoinbörsengang. Augusta Laars schnelle, euphorisch aufnotierte Verse setzen auch mit Sprachspielen unübliche Akzente, spielen mit Anklängen und Impressionen, in denen immer auch der Anspruch des Individuums auf Selbstständigkeit präsent bleibt.

Der Band umfasst „nur“ 40 Seiten, die es allerdings in sich haben. Es werden 74 Texte (mit dem rückseitigen Klappentext 75) versammelt, neben den oben erwähnten Zeichnungen. Dazu muss man wissen, dass Augusta Laar eine vielseitige Künstlerin ist, deren Aktivitäten und atmosphärische Inspirationen weit über das geschriebene Wort hinausgehen. Sie ist in verschiedenen Disziplinen aktiv und auch dabei, diese immer wieder sehr erfolgreich zu verbinden. Augusta Laar, die selbst Musik macht und Klavierunterricht gibt, ist seit Jahrzehnten interdisziplinär unterwegs. Sie ist Teil des elektro-akustik Duos Kunst oder Unfall mit Kalle Aldis Laar, macht alleine oder mit ihrem Partner Performances und Live-Sets, bei denen Musik eine wichtige Rolle spielt. Sie befasst sich mit bildender Kunst, mit Musik, mit Film und hat hierzu selbst etliche Veranstaltungen und -reihen ins Leben gerufen, wie die Postkarten-Kunstaktion Madonna sagt und viele weitere genreübergreifende Kunstaktionen und Projekte, bei denen sie selber manchmal die Rolle der DJin übernimmt.

SCHALLPLATTENAUFLEGEN
(midnight dance mix)

einer wirft die scheiben
der zweite will tanzen drei
sind am klo die halbe welt
vergisst den nachtisch die
blutsbrüder warten schon
auf den liebesdienst an der
treppe hejho die schallplatten
waren gut sie schmeckten
süß wie sahne & zimt
                      
In diesem Text verbinden sich die Ebenen, es wird synästhetisch und psychedelisch: (…) hejho die schallplatten / waren gut sie schmeckten / süß wie sahne & zimt. Musik verfließt in die Gedichte und umgekehrt, (bis die augen hören) – so endet das Gedicht MU’ZI:K. Was die Musik macht, machen auch Augusta Laars Gedichte. Sie machen die Musik hörbar. Die Texte sind ein besonderer Leckerbissen für diejenigen, die in die Welt der Musik und der Popsongs weiter eintauchen.

Etliche Titel und Untertitel sind Anspielungen an Songs und Songzeilen aus dem Popkosmos. So zum Beispiel der mulholland spin, der an den „Mulholland Drive” und somit an den Song Electrolite von R.E.M. oder an den Film von David Lynch denken lässt. Nicht zuletzt ist der „Spin” eine Anspielung auf die verschiedenen „Schleifen” des Filmes Mulholland Dr. Die Cineastik spielt im Buch auch sonst eine Rolle: Eine Steve McQueen-Frisur kommt vor, anderswo klingen die Titel von Krzysztof Kieślowski-Filmen an.

Es ist die schiere Freude an einem Aufgebot und einer Mixtur von Referenzen neben der Freude an Vielsprachigkeit: Neben Französisch- und Englischsprachigem verwendet Augusta Laar auch italienische musikalische Notationen wie staccato, a capella, :ppp: (pianopianissimo) oder den Schluss fff (fortefortissimo) in À LA CARTE. Ein Gedicht heißt ADAGIETTO (liquid sound mix).

Viele Gedichte haben Untertitel, explizit dargestellt z.B. als (Re-)Mixes. Man kann diesen Referenzen nachgehen und wird fast immer fündig. Einige dieser Referenzen sind mimetisch zu lesen, sind somit „uneigentliche” oder fiktive, immer aber gut gelaunte Anspielungen. Beispiele: (deep house mix), (holo dub mix), (studio cue-mix), (a capella rmx) u.a. Mit der Feat.-Ankündigung werden direkt Personen und/oder Bands aus der Popwelt angesprochen und aufgerufen: feat. The Thing, feat. Highly Amplified, feat. Girl Talk, feat. Der Rest Vom Licht, LUFT FEAT. LAUB usw. Auch hier wird so manches, was ‚gefeatured’ wird, verfremdet und die sonst durchgängige Kleinschreibung der Texte aufgehoben.

Gedichte tragen die Titel bekannter Rockalben wie der Text IN BLOOM, der (neben dem Protagonisten Leopold Bloom in James Joyces Roman Ulysses) das gleichnamige Album von Nirvana aufruft.

Nicht zuletzt hat Augusta Laar auch die Veranstaltungsreihe des Schamrock-Festivals der Dichterinnen (mit)begründet, die sie – zunächst als Schamrock-Salon – seit 2009 leitet und die sich der Präsentation internationaler weiblicher Dichtung widmet. Es gibt auch das Schamrock-Filmfestival female presence. Ein Gedicht trägt explizit den Namen des Festivals.

SCHAMROCK

das gezirre
zieht zieht

das geflirre
ziert ziert

das gezische
fischt fischt           

das nie na ni na ni
was die scham
rockt

Es gibt Texte, die vollständig auf Englisch und solche, die vollständig auf Französisch geschrieben sind. Das Explosive mancher Gedichte und deren expressive Sprache zeichnet scharfe Bilder wie beispielsweise in dem Text KURZE ÜBERFAHRT:

(…)
die pumpgeräusche der
reinen herzen bilder
fallen die Cola Dosen durch blonde Asche        

Neben eindeutigen und oft sehr untypischen Liebesgedichten befassen sich die Texte auch mit religiösen Themen: die hölle die / heilige fahrt / von innen / nach innen (…). Auch Fische sind ein wiederkehrender Topos. Andere sind voller Wortfeuer: allein das Wort luftgespinstig ist eine Entdeckung, oder auch Worte wie flanellgrün, haarverschneit, das uhrzeigern. Im Gedicht À LA CARTE sind es Worte wie blütig, süßig und grüsig. Die Gedichte sind eher kurz, die Zeilen schlank, oft steht nur ein Wort in einer Verszeile.

Etliche Texte handeln vom Musizieren und sind von ihrer Struktur und Erscheinung her eher lakonisch, lässig und locker – alles andere also als Kurzessays. Sie missionieren nicht, auch nicht implizit, sind allenfalls augenzwinkernd und nehmen sich zurück, was mir sehr sympathisch ist.

In Augusta Laars Gedichten geht es auch Stimulantien und Wahrnehmung, um LSD, das Verspeisen von Fliegenpilzen, und im Gedicht LEGALE HÖHEN auch um die so genannten legal highs: Ersatz-Designerdrogen, eigentlich Abfallprodukte der Pharmaforschung, in Badesalzen, Kräutermischungen und -tees enthalten (die oft nur als Trägersubstanz dienen), vermarket als angeblich völlig harmlos und ohne jegliche schädliche Wirkung. Dabei – im Zusammenhang mit Drogen – geht es in Augusta Laars Gedichten mehrfach um das Verbrennen – brenne dich ab fliege!

Zahlreiche Frauenfiguren in den Texten sind puppenhafte, aus der Kategorie (rebellische) gefallene Engel: bitte fallen Miss Galaxy – oder das funkenmariechen wird zur Puppen-Protagonistin, gehen wie stroh / kaputte puppe, sie sind eine Mischung aus fragilem Wesen und Glamourgirl, stiefeln über park / plätze in hot pants / kaputte puppen in / der ecke (…)

Der Zyklus DIE REGELN DER STRASSE sexpuppen mit / echten zigaretten ins / klo gesperrt erinnert ein weiteres Mal an die Bildwelten von David Lynch.

PLAYGIRL

samstag nacht
auf karierten böden
in schwarzer perücke
an die wand pailette
du bist mir entkommen
in goldenen stiefeln
die nebelfelder ich
sah deinen reif
am ende                    

Die Texte verstecken das Hässliche der Realität nicht. Einmal wird auch der Fallout thematisiert, ein anderes Mal das overkillen das overkillen / das überleben der menschheit. Die Gedichte leben von ihren vielfältig eingewebten Referenzen: Zitate und Anspielungen und lösen den Untertitel Kurzformen Mischungen Loops vollends ein. Dabei wird Laars Dichtung Bühne für eine sehr verdichtete Erzählung über Rausch, Drogen, Sexualität und Absturz, über Tanz, Liebe, Tod – langsamer sterben: / ein zärtlicher gruß / an die zeit.

Bisweilen wird bei Augusta Laar auch der Schreibakt selbst inszeniert (und auch die Zeichnungen entstehen auf diese Weise) – sie hat einmal erzählt, dass sie auch Gedichte im Dunklen schreibt, während eines Kinofilms oder mit geschlossenen Augen: Dadurch bekommt der Moment des Entstehens eine lebhaft inszenierte Aura von Happening.

Und durch den schmalen Zuschnitt der multilingualen Gedichte entstehen viele Zeilenbrüche, die entsprechend in Enjambements umgesetzt sind, wobei sie dabei ohne ostentative Pointen auskommen, was mir sehr sympathisch ist.

Augusta Laars Gedichtband unterläuft formal und inhaltlich so manches Schema. Einmal mehr wird dabei klar, dass das eingeführte Prinzip „Lyrikband“ auch ganz anders angegangen werden könnte, was erfreulicherweise bei Augusta Laars erfrischendem Band genau so geschieht, – dabei wird das lyrische Bewusstsein geschärft und erweitert.


* Anfang Mai 2021 erscheint dort das Debut von Pega Mund mit dem Titel reste von landschaft als zweiter Band dieser neuen Reihe.
** Interessante Zusammenziehung der beiden bereits verstorbenen Musiker Sid Vicious (Sex Pistols) und Syd Barett (frühe Pink Floyd) zu einer „Überfigur”, die beide erhebliche Drogenerfahrungen gemacht hatten.


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