Astrid Nischkauer: Satyr mit Thunfisch
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Timo Brandt
Aufhalten mit Bildern
„Rückzugsorte in derenwohltemperiertemDämmerlicht allesvergessen werden kannwas draußen geschiehtder blendendeSonnenschein wie dieSturmwetterwarnung […]vor demFenster verschwimmenim babylonischenStimmengewirrrund um mich wobin ich wer bin ichich wandere im Kreis […]verlierewas nicht ich bin“
Gleich zu Anfang sah ich mich bei der Lektüre von Astrid Nischkauers Gedichtband „Satyr mit Thunfisch“ mit einer schwierigen Entscheidung konfrontiert: sollte ich die unter den Gedichten angegebenen Gemälde und anderen Ausstellungsstücke im Internet suchen und anschauen? Und wenn ja: vor oder nach dem Lesen der Gedichte?
Zum besserem Verständnis zunächst: Die Gedichte in diesem Band sind ausschließlich Auseinandersetzungen mit den Welten von Museen und ihren Bewohner*innen (womit die Ausstellungsstücke samt ihrer Geschichte gemeint sind): in neun Wiener Museen sind sie entstanden und unter jedem Text ist der Entstehungsort durch ein Kürzel angegeben.
„vollSelbstvertrauen im auf sich selbstgerichteten Blick liegt der tiefe Ernstungeschönter Offenheit herausforderndder Blick der Malerin auf sich auf mich“
Ich habe mich in den meisten Fällen dagegen entschieden, mir
das im Gedicht beschriebene und umkreiste, manchmal als Ausgangspunkt für
Überlegungen genutzte, Kunstwerk vorab – und manchmal auch im Anschluss –
anzusehen; vielleicht werde ich das bei einem zweiten Durchlauf nachholen.
Aber es geht schließlich darum, das Gedicht als etwas
Eigenes zu lesen; es zu betrachten, wie es selbst das Gemälde betrachtet, sich
mit ihm konfrontiert und manchmal zu einem eigenen Bild wird, zur Fortführung
der Malerei mit anderen Mitteln. Aufs Erkanntwerden und Erkennen soll die
Begegnung hinauslaufen, nicht auf einen Vergleich, nicht auf Fragen nach der
Adäquanz der Beschreibung, Wiedergabe.
Oder doch? Nehmen wir an, ein Gedicht schaue die
Wirklichkeit und setze sie in Worte um, verdichtet, auf das Wesentliche
erleichtert oder erschwert. Findet da beim Lesen kein Vergleich statt? Blicken
die Lesenden eines Gedichtes über die Liebe nicht auf ihre Liebe und schauen
wie genau die eine Vorstellung der anderen gleicht?
„den Strommastenfehlen die Kabel undden nicht vorhandenenKabeln fehlen dieSchwalben […]beinahe unerträglich denndas einzig Lebendige darinist der Schatten der Bäume“
Vermutlich ist es einfach so, dass ein Gedicht dich
dahingehend inspirieren kann, sich ein Gemälde (genauer) anzusehen, ebenso wie
es Menschen dazu inspirieren kann, sich (mehr und andere) Fragen über ihre
Liebe, ihre Erkenntnisgewohnheiten oder die Verquickung von Teppichen und
Weltpolitik zu stellen. Nischkauers Gedichte wecken die Neugier, man fragt
sich, was sie beschreiben und wie sich das reale Gegenstück zu den
Vorstellungen ausnimmt, die sich ergeben – im Gegensatz zur Liebe ist es allerdings
möglich, das beschriebene Objekt zu googlen.
Vermisst man dasselbe, was Nischkauer bei ihren
Betrachtungen vermisst? Rücken sich die Dinge in den Fokus, die sie in den
Fokus rückt? Würden sie das auch ohne die Gewichtung ihrer Texte tun? Das
Betrachten der Bilder zerstört vielleicht den Zauber der Annäherung, die in den
Gedichten stattfindet. Das Faszinierende ist ja, dass ein Bild einem/r Lesenden
vielleicht nichts sagt, aber das Gedicht dazu sehr wohl. Manchmal sagt uns ein
Gedicht nichts, aber wenn wir einen Essay über das Gedicht lesen oder eine
begeisterte Besprechung, sagen uns diese Schriften zu und das beschriebene
Gedicht erstrahlt in einem besonderen Licht – wirft der Essay das Licht auf das
Gedicht oder hat er nur das Gedicht, aus sich heraus, zum Strahlen gebracht?
Aber dies alles könnte den Eindruck aufkommen lassen, es
handle sich bei Nischkauers Gedichten um eine Art Sekundärliteratur, die keine
eigenen Wege geht, nur entdeckt und nicht erkennt, folgert, fortschreibt. Dem
ist nicht so, zumindest nicht immer. Als Beispiel sei hier ein Gedicht genannt,
in dem sie zeigt, warum eines der spannendsten Objekte in Museen die Menschen
sind, die sie durchschreiten.
„echte Menschen werdengezeigt in allen Variantenund Größe sie haltenerstaunlich lange stillsind sie erst in eine derzahllosen Fallen getappt“
Nischkauers Verse sind Kommentare, Interpretationen,
Beschreibungen, Beobachtungen, Ausformungen, Durchdenkungen, Rückbezüge, Anreicherungen.
Sie spürt der Frage nach, wie die Welt der Ausstellungsstücke und die Welt der
Menschen sich gegenüberstehen, wo ihre Schnittstellen sind und warum das
Unbelebte eines gemalten Augenblicks, eines ausgestellten Gegenstandes, unsere
Fantasie und unser Lebensgefühl doch erreicht, obgleich es statisch ist, nicht
auf uns zukommt; wir müssen den ganzen Weg gehen, aber ist nicht gerade das das
Besondere? Das Ausstellungsstück verlangt uns viel ab, biete dafür aber einen
Raum, in den wir hineingehen können, völlig unbehelligt von Erwartungen und
Anforderungen. Wir haben im Prinzip unbegrenzt Zeit, können unsere
Aufmerksamkeit, die ansonsten oft punktuell gefordert ist, in die Länge ziehen,
ausbreiten – denn der Gegenstand verändert sich nicht.
„gelassen sind die beiden Männer dennsie wissen dass nichts aus diesem Bildentkommen kann keine Kunden kommenkönnen und sich selbst die Sonne inihrem Rücken nicht weiter bewegt“
Nischkauer gleichwohl, entreißt die Museumsstücke immer
wieder ihrer Unbewegtheit. Die Figuren auf den Bildern, ihr Moment, wird
abgetastet – hinterfragt wird die Anordnung aller Dinge. Verständlich, denn die
Betrachterin lebt in der Wirklichkeit, in der die Dinge sich weiterbewegen,
divergieren; in der der Moment selten jene Form von Aufmerksamkeit erfährt, der
in den meisten Gemälden das ganze abgebildete Dasein ausmacht. Das Museum ist
Rückzugsort, in der die Entschleunigung regiert, aber das Gedicht ist wiederum
ein Beschleuniger.
Was liest man heraus, was deutet man hinein? Mit dieser
Frage, die sich vor beinah jedem Kunstwerk stellt, kann man sich lange
beschäftigen. Und man kann sich auch, wie Nischkauers Gedichte zeigen, mit der
Beschäftigung dieser Frage beschäftigen. Einigen von ihnen haftet eine gewisse Schlichtheit
an, eine leichthändige Geste, die nicht in die Tiefe weist. Andere tragen eine
erfrischende Komik mit sich, wieder andere gerinnen zu hintergründigen
Überlegungen und manche übertrumpfen ihren Gegenstand mit gewitzter und
verspielter Gewandtheit, die etwas Unerschrockenes, manchmal auch etwas Freches
hat.
„mein Blick wandelt sich laufendim wandelnden Laufen durch dieMuseen“
Dieser Band ist vieles, es kommt immer drauf an, wie man ihn
liest: als ein Spiel der Bezüge, eine Einladung zum Schauen, eine Reise durch
Museumswelten und ihre Atmosphären, als persönliche Aufzeichnungen, als
fröhliche Philosophie des Staunens. Letzteres – als Haltung, als Handlung – ist
natürlich unabdingbar.
„werde still im Staunenein ganzes Lebenwürde nicht reichensie alle zu beschreiben“
Astrid Nischkauer: Satyr mit Thunfisch. Gedichte. Köln
(parasitenpresse) 2018. 90 Seiten. 12,00 Euro.