Direkt zum Seiteninhalt

Almeida Faria: Das Raunen der Welt (Auszug)

Montags=Text
Foto: Joana Matos Frias
Almeida Faria
Das Raunen der Welt
übersetzt von Maralde Meyer-Minnemann


Aufbruch (Auszug)

Da ich nicht schlafen konnte, las ich etwas über die Stadt, in der wir demnächst landen sollten. Einer eingängigen, allerdings falschen Deutung der Herkunft des Namens Bombay zufolge, käme er vom portugiesischen Ausdruck „Boa Baía“, schöne Bucht, den die Engländer in Bombay änderten, weil sie glaubten, es handelte sich um eine Bucht (bay). Tatsächlich aber war Bombay keine Bucht, sondern eine Reihe von jetzt zusammenhängenden sieben sumpfigen Inseln und Inselchen. Im Jahr einhundertfünfzig unserer Zeitrechnung nannte Ptolemäus es wegen der sieben Inseln Heptanesia, wwohingegen die Hindus es als Mumbai bezeichneten, weil sie möglicherweise die Göttin Mumba angerufen hatten, damit sie ihnen die Sicherheit festen Bodens gewährte. Jedenfalls halfen sie der Göttin nach, indem sie Land aufschütteten, Ufermauern, Kanäle und Deiche bauten, die dennoch in der Regenzeit das Wasser nicht daran hindern, anzusteigen und die Häuser, die Straßen und Stadtviertel zu überschwemmen. Bereits im siebzehnten Jahrhundert hat António Bocarro, der Nachfolger Diogo do Couto als Chronist und oberster Hüter des Archivs der portugiesischen Krone in Goa, die Bezeichnung „Mombaim“ festgehalten.

Dieser Ort Mombaim ist klein und weitläufig. Es gibt elf verheiratete Portugiesen, was mit den schwarzen Eingeborenen siebzig Gewehrschützen ausmacht.

Das in Mumbai umbenannte Bombay, ist heute mit mehr Einwohnern als Portugal gigantisch und Hauptstadt des Staates Maharashtra. Der internationale Flughafen roch trotz der Klimaanlage muffig. Dieser stickige Geruch brachte mir, mit anderen Bildern von Flughäfen in andern Tropen die Erinnerung an Rio de Janeiro, Salvador, Aracaju, Recife, Bissau Dakar, São Tomé, Luanda nach Weihnachten zurück, als ich an die Flugzeugtür trat und mir die feucht-schwüle Luft den Atem nahm. Doch diese nunmehr fernen Landungen in tropischen Orten, gaben ein idyllisches Bild ab verglichen mit der um zwei Uhr morgens in Mumbai das Gepäckband umringenden schlaftrunkenen Menge, in der wir uns eine Stunde später an Zollbeamten in schlechtsitzenden Uniformen vorbeischlichen, die uns anstarrten als wären wir Paradiesvögel.

Draußen, in der kompakten Hitze, starke Gerüche nach Abgasen, Schmutz und Schweiß. Und Jungen, noch Kinder, die bettelten. Man hatte mir geraten, nie Almosen zu geben, die Bettler würden uns hinterher nicht mehr loslassen. Ihr wehrloser Blick, ihre Beharrlichkeit und ihr Alter, weckten die Qualen des Mitleids in mir, das dunkle Gefühl, zur Schuld berufen zu sein, und ich verteilte aufs Geratewohl die eben eingetauschten Rupien.
    Die Jungen rannten wild durcheinander davon, und erst da nahm ich die an unseren Koffern nicht interessierten Träger wahr, die saßen oder an voluminösen, altmodischen Karren lehnten, die hier noch in Gebrauch waren, um Koffer zu transportieren. Auf dem riesigen Parkplatz vor uns wirkten hunderte Taxis so, als stünden sie dort schon seit Ewigkeiten. Wenn ich hunderte Taxis sage, mag das nach Aufschneiderei in der Art des Mendes Pinto klingen. Aber ich versichere, ich spiele nicht den Mendes Pinto. In den verstopften Straßen von Mumbai sind fünfzigtausend unterschiedliche Taxis unterwegs, einige mit grauem, gelben oder cremefarbenem Dach und blauen oder schwarzen Türen, andere mit auf die Scheiben geklebten dekorativen Bordüren, viele als dreirädrige Motorrikschas ohne Türen, so dass der Luftzug bisweilen wie eine Klimaanlage wirkt. Standen die Taxifahrer am Flughafen aufgereiht, um die ersten Passagiere des nächsten Tages aufzunehmen? Schliefen sie dort? In diesem Land und zu dieser Jahreszeit schläft, wer kein Dach über dem Kopf hat, dort, wo es sich gerade ergibt. Später, in Goa, beim Fest des Heiligen Francisco Xavier, stellte ich fest, dass es ganz normal war, im Freien auf einem Tuch, einem Bettuch, einer Matte zu schlafen. Und ich begann das für bare Münze zu nehmen, was ich zuvor gelesen hatte: dass hier die Realität umso wahrscheinlicher ist je unwahrscheinlicher sie ist. Ich wollte gerade unseren Busfahrer fragen, warum dort so viele Taxis stünden, als die Kinderhände wieder erschienen, jetzt zuhauf, und money, chocolate bettelten. Der Fahrer rief uns zu: please close the windows. Dem nicht genug, kletterten die Hände bereits an den Rädern, an den Einstiegsstufen empor, schlugen an die Scheiben, drückten bleiche, übermüdete Gesichter die Nase an ihnen platt. Wie konnten sie, meilenweit vom Stadtzentrum entfernt, so schnell aus der tiefen Dunkelheit der Nacht auftauchen? Und ebenso schnell wieder verschwinden, noch bevor wir abgefahren waren? Waren sie ein Spuk? Auf dem Weg zum Hotel in der Nehru Road in der Nähe des Flughafens sahen wir nur Vorstädte, heruntergekommene Gebäude, Imbissbuden, mehr oder weniger verlorene Nachtschwärmer, Hunde und Müll. Das Ecotel- The Hallmark of Environmentally Sensitive Hotels – war allerdings genau das Gegenteil. In den Broschüren auf den Tischen in der Eingangshalle wies das gewiefte Management darauf hin, dass vom Briefpapier bis zum mit grauem Packpapier umwickelten Kuli und den Zimmerpantoffeln alles recyclebar sei.

Zurück zum Seiteninhalt