Alexandra Bernhardt: Zoon poietikon
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Sophie Reyer
Alexandra Bernhardt: Zoon poietikon. Wien (Sisyphus Verlag) 2024. 112 Seiten. 12,00 Euro.
Von zirpenden Menschen und dichtenden Tieren
Zoon poietikon- so nennt sich der neue, eben im Sisyphus-Verlag erschienene Band der besonderen Dichterin und alljährlichen Herausgeberin des österreichischen Lyrik-Jahrbuchs Alexandra Bernhardt. Dass sie sich mit dem Altgriechischen auskennt (wie der Titel beweist), ist aber längst noch nicht alles. Auch die Sprache der Tiere scheint der in Bayern geborenen Dichterin vertraut zu sein. In ihren 50 Gedichten ihres neuen Werkes spürt Bernhardt nämlich dem nach, was in der Fauna so zirpt und tönt- und gibt diesem in einer Art symbolischem Bestiarium eine neue, kondensierte Sprachstruktur. Das klingt allerdings viel verkopfter, als es ist. Bernhardts Texte sind trotz ihres Konzepts nämlich nahe am Leben und erzählen in prägnanten Sprachbildern von der menschlichen Wirklichkeit, für die die Tiere als Metapher stehen. Das wird gleich zu Beginn des Bandes in dem titelgebenden Gedicht Zoon poietikon (s. 8) klar, in dem es heißt:
„Der Menschein Tiergemachtdem Wortgesponnenaus demWidersinngedachtder SprachemachtvollFleisch.“
Sinnlich sind diese ersten Zeilen gestaltet - und spätestens bei dem Wort
„Fleisch“ bekommt der lesende Mensch Lust auf mehr!
Zeitlose Themen
alphabetisch geordnet
Wer mit altgriechischen Begriffen und Buchtiteln um sich wirft, der
sollte etwas von der Zeit, aus der sie stammen, verstehen. Und das tut
Alexandra Bernhardt auch. So ist dem Band, der nach dem eben zitierten Epilog
startet, ein philosophisches Zitat Platons vorangestellt, in dem er den
Menschen als „zweibeiniges Tier ohne Federn“ beschreibt. (s.9). Spätestens
jetzt sind wir neugierig geworden, oder? Und wir tauchen in die Welt der Tiere
ein. Bald schon ist klar: Alexandra Bernhardts Texte sind fluide, luftig, geben dem/
der Lesenden in ihrer Knappheit Raum für eigene Bilder. Umso wichtiger ist es,
wie die Autorin weiß, ihnen eine formale Struktur zu geben, ein Gitter, das
zusammenhält, was sonst auseinander bricht – und sie wählt ganz einfach das
griechische Alphabet dafür. So beginnen wir diesen Band mit einem sprachlichen
Sinkflug auf den Spuren des Adlers (s.11), wenn es heißt:
„Der du bistzu kreisenauszubahnenzu ermessenSchluchten WasserHöhen: (...)“
Schön ist bei diesem Gedicht, dass die Syntax genauso in der Luft
hängt wie das Tier, das hier beschrieben wird – es wird mit einem Nebensatz
gestartet, was dem Text eine fliegende Energie verleiht.
Doch unser Weg führt uns bald schon hinab auf die Erde – denn nach
dem folgenden Gedicht „Amsel“ kommt auch schon der Armadillo ins Spiel! Und
weiter geht die Reise, die uns mit in unserem Sprachraum bekannten und weniger
bekannten Lebewesen konfrontiert. Da werden exotische, fremdartige Tiere wie
die Fähe oder der Pirol, der Axolotl und die Seenadel genauso zum Thema gemacht
wie in unseren Breitengraden bekannte und durchaus beliebte Kreaturen – der
Wolf beispielsweise, oder das Reh. Auch den einfachsten Wesen kann Alexandra
Bernhardt etwas abgewinnen, wie das Gedicht „Huhn“ (s. 53) beweist:
„Beseeltvon KörnernSamen Suchenspelzt du Silbenin den Sand : solebenssatt bestellstdu heiter deinRevier im Grasspäter sitzt dudann aufBäumen“
Zwar wird die Einfachheit des Hühnerlebens in diesen Zeilen klar –
aber dennoch geben Worte wie „beseelt“ oder „Revier“ dem Federvieh ein gewisses
Maß an Würde.
Klare Sprache, wechselnde Perspektiven
Die Sprache der 1974 in Bayern geborenen Dichterin, die Philosophie, Komparatistik, Gräzistik und Orientalistik in München
und Wien studierte, wo sie seit 2002 lebt und auch den Verlag „Edition Melos“
ins Leben gerufen hat, ist klar, sie scheint Wasser schneiden zu können. Da
werden Teile der Syntax weggelassen, wird jede Zeile auf das Wesentliche
reduziert. Komplex sind jedoch die Perspektiven, die das dichtende Ich in Zoon poietikon einnimmt:
So verwandeln sich – wie etwa im Gedicht „Adler“ - Tiere in gleichwertige
Partner, die das lyrische Ich mit „Du“ ansprechen, werden dann aber wieder, wie
zum Beispiel im Text „Brachkäfer“ (s.21) gleichsam „von oben“ und aus der
dritten Perspektive betrachtet:
„Fühlt hineinin den Frühlingden spät begonnenenAnfang“
heißt es in diesem Text- und sofort sehen wir dieses Insekt in einer
gewissen Distanz unter uns kriechen. Aber die Autorin geht noch einen Schritt
weiter: So wird sie bezeichnenderweise ausgerechnet in dem Gedicht
„Gottesanbeterin“, das ein Tier thematisiert, mit dem sich die meisten nicht so
gerne identifizieren, selbst zu dem alles verschlingenden Fangschrecken, wenn
es da (s.48) heißt:
„Gottesanbeterin: (…)nur Weisungich zu sein“
Andere Gedichte wiederum kommen gleichsam ohne jedes Subjekt, jedes ich,
du, er oder sie aus – wie etwa die „Lerche“ (s. 67), in dem der erste Satz,
ähnlich wie bei „Adler“, im luftleeren Raum hängen bleibt: „Hinauf in den
Himmel
der Ungestümendie unverdorbene Fruchtaller Wildnis“
Die Texte sind also in ihrer Machart facettenreich und vielschichtig. Wen
wundert es, dass Alexandra Bernhardt für ihr Werk vielfach ausgezeichnet wurde?
So erhielt sie beispielsweise im Jahre 2021 das Wiener Literatur Stipendium und
gewann 2022 den Medienpreis der RAI Südtirol beim Lyrikpreis Meran. Wir folgen
ihr gern auf ihrer Reise durch die Elemente und über die Kontinente – und wenn
uns das letzte Gedicht „Zebra“ wieder in unseren Alltag entlässt, sind wir fast
ein bisschen traurig!