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Aischylos: Die Schutzflehenden, 2

Gedichte > Zeitzünder


Aischylos

Die Schutzflehenden
463 v. Chr. uraufgeführt
Übersetzung: Johann Gustav Droysen (Berlin 1832)


Personen
Chor der Danaiden
Danaos
Pelasgos, König der Argeier
Ägyptischer Herold


Teil 2


CHOR
Erste Strophe


Palaichthons teurer Sohn, höre du
Mich mit geneigtem Sinn, Pelasgerkönig;
Sieh mich, die Flehende, Bangfliehnde, die Zitternde, mich
Wie ein weißglänzendes Lamm, das um des Felsenhangs
Schwindelnden Scheitel irrt; harrend auf Hilfe blökt es,

Dem Hirten sein Leid zu sagen!


PELASGOS
Mit frischgepflückten Zweigen schattig überlaubt
Seh ich der Kampfgottheiten neugeselligen Herd. –
Laßt uns gefahrlos dieser Flüchtigen Nähe sein,
Nicht unerwartet, unvorherbedacht die Stadt
In Fehde fallen, nicht verlangt darnach das Volk!

CHOR
Erste Gegenstrophe


Laß, Themis, frei von Schuld unsre Flucht,
Du fluchtschirmend Kind des Losschüttlers Zeus!
Und von den Jüngeren hör du es, erfahrner Greis:
Wenn du den Flehnden ehrst, wird es dir wohlergehn;
Opfer zu nehmen geneigt ist der Unsterblichen Gnade

Von jegliches Frommen Händen!


PELASGOS:
Doch sitzt ihr nicht am Herde meines eigenen
Palastes; trifft die Stadt gemeinsam jede Schuld,
So sorg gemeinsam auch das Volk für Sicherung;
Ich aber darf euch kein Versprechen geben, eh
Mit meinem Volk ich nicht zu Rat gegangen bin.

CHOR
Zweite Strophe


Du bist die Stadt, du das gesamte Volk,

Du unrichtbarer Herr;

Den Altar nennst du dein, des Landes Herd;
Alleinherr mit dem Auge, wenn du winkst,
Alleinherr mit dem Zepter, das du schwingst –

Dein ist alles; hüte dich vor Blutschuld! –


PELASGOS:
Mag solche Blutschuld treffen meiner Feinde Haupt!
Euch aber beistehn kann ich nicht ohn Ungemach;
Und wieder hart wär's, euch zu weigern euern Wunsch.
Ich schwanke; Furcht trübt meinen Blick; soll ich es tun?
Soll ich es nicht tun, erst des Zufalls Gunst erspähn? –

CHOR
Zweite Gegenstrophe


So scheue, Fürst, droben den Hüter mein,

Aller Bekümmerten Hort,

Die gramvoll ihren Nächsten flehend nahn,
Ihr Recht nicht, nicht des Unglücks Recht empfahn;
Doch einst straft der Zorn des Flüchtlingshortes Zeus,

Wen der Angstschrei nicht erbarmt des Armen.


PELASGOS:
Wenn Aigyptos' Söhne dein sich nun bemächtigen
Und nach der Heimat Sitten ihr Verwandtenrecht
Ansprechen, wer vermöchte wider sie zu sein?
Führ deinen Streit durch nach des Vaterlandes Brauch,
Daß keinen Rechtsgrund wider dich sie je gehabt.

CHOR:
Dritte Strophe


Nimmer dann könnten wir, nein, von der Männer Macht
Nimmer bewältigt sein; der Sternkreise Bahn
Wies mir in schneller Flucht vor liebloser Eh
Mein Heil. Treu dem Recht richte nun über mich, über den Schutz der Gottheit!


PELASGOS:
Ein schweres Richtamt! Wollet mich zum Richter nicht!
Ich sagte sonst schon, ohne meiner Bürger Rat
Tät ich es niemals, dürft ich auch; es sage nie
Mein Volk zu mir, wenn's irgend minder glücklich geht:
Fremdlingen hilfreich gabst du preis die Vaterstadt!

CHOR:
Dritte Gegenstrophe


Uns beiden verwandt, mit gleichschwebender Waage schaut
Sorgend uns beide Zeus; gerecht wirft er hier
Frommes zu Frommen, dort Schuld zu der andern Schuld,
Und du säumst, da gleichschwebend die Waage schwankt, säumst mit gerechter Tat noch? –


PELASGOS:
Wohl muß in tiefe, vielbewegte Sorge jetzt,
Gleich einem Taucher fluthinab, versenken sich
Der offenspähnde, schwindelunverwirrte Blick,
Wie dies gefahrlos alles meiner Stadt zunächst,
Sodann für euch auch froh und glücklich enden kann,
Und weder Kampf so heilges Unterpfand entziehn,
Noch wir, die, so dem Götterherde sich vertraut,
Preisgebend, selbst uns einen allvernichtenden,
Den Gott des Zorns uns wecken mögen zu Schmach und Qual,
Der selbst im Hades nimmer frei den Schatten gibt! –
Scheint tiefe Sorge so dir nicht gerecht zu sein?

Der König in tiefem Nachdenken.

CHOR:
Vierte Strophe


Sorge du! Sei du uns

Allgerecht, fromm und treu, unser Hort!

Nicht verrat mich Flüchtige,
Mich Verstoßne, die ich zu dir
Floh vor gottloser Schmach!


Vierte Gegenstrophe


Diesen Kampfgöttern nah,

Diesem Herd nah mich zu fahn, duld es nie!

Allgewaltger du im Reich,
Sieh der Männer Frevelmut,
Hüte dich vor ihrer Wut!


Fünfte Strophe


Duld es nie, mich, die um Schutz Flehende, frech,
Mich von den Bildern fort,
Mich wie ein Roß mit Schmach

Beim stirnumflochtenen,

Lockigen Schmuck, beim Kleid fort mitgeschleppt zu sehn!

Fünfte Gegenstrophe


Wiß es wohl, deinen Kindern, deinem Haus,
Was du auch wählen wirst,
Bleibet ein gleich Gericht

In gleichem Kampf verhängt!

Drum so gedenk an Gottes ewig gerechte Macht! –

PELASGOS:

Ich hab's erwogen; dahin treibt es mich; der Kampf
Mit diesen oder jenen, ein gewaltger Kampf,
Ist unvermeidlich. Mein Entschluß steht fest und stark
In meiner Brust Schiffswerften da mit Kiel und Mast;
Jetzt keine Rückkehr weiter ohne Schmach und Gram. –
Wer aus des Glückes Trümmern ärmlich Hab und Gut
Auf seines Schicksals schwankend Schiff sich trug und barg,
Dem läßt vielleicht Zeus' Gnade neu sein Heil erblühn;
Wem nicht, was nottut, seiner Lippe Pfeil erzielt,
Dem kann ein Wort des Wortes Zorn besänftigen;
Denn was den Zorn aufflammen ließ, ist bittrer Schmerz.
Daß aber Blutschuld nun und nimmer Stätte find,
Drum soll man opfern, soll den Göttern allzumal
Hekatomben weihen, alles Unheils Sühn und Wehr. –
Ja, dieser Fehde weich ich allen Ernstes aus;
Unkundig lieber denn gewitzigt will ich sein
Des Leides. Mag's denn wider Hoffnung glücklich gehn! –

CHORFÜHRERIN:
So höre meiner schamverhohlnen Worte Schluß!

PELASGOS:

Ich höre; sag mir's offen; nichts soll mir entgehn.

CHORFÜHRERIN:

Ich trage Gurt und Gürtel um mein Kleid geschnürt –

PELASGOS:
Dem Los der Mädchen ziemt und schickt sich diese Tracht.

CHORFÜHRERIN:
So beut sich, wiß es, mir ein Werkzeug gut und schön.

PELASGOS:

Sag, welch ein Werk soll offenbaren dieses Wort?

CHORFÜHRERIN:
Wenn du ein Pfand uns deiner Treue nicht gewährst –

PELASGOS:
Beut welch ein Werkzeug dir sich in deinem Gürtel, sprich?

CHORFÜHRERIN:
Den Götterbildern niegeschauten Schmuck zu weihn!

PELASGOS:
Dein Wort, es birgt ein Rätsel; sag mir, was du meinst!

CHORFÜHRERIN:

An jenen Göttern aufgeknüpft schnell tot zu sein!

PELASGOS:
Ein grauses, herzdurchbohrendes Wort, das du gesagt!

CHORFÜHRERIN:
Du hast's gehört, aufschlug den Blick mein blödes Wort.

PELASGOS:
Von allen Seiten unbezwingbar dräuende Not!
Der Leiden Unzahl schwillt, ein Strom, auf mich herein;
In Ates abgrundtiefes, unfahrbares Meer
Bin ich, zum Hafen nicht gelangt des Mißgeschicks.
Denn wenn ich euch nicht euren Wunsch gewährt', so droht
Ihr Greuel, das keines Rates höchster Pfeil erreicht;
Und zieh ich wieder gegen eure Vettern aus,
Den Streit zu enden nah der Stadt in offnem Kampf,
Wie müßte mir nicht solch ein Opfer bitter sein,
Wenn Männerblut für Weiber unsre Felder tränkt.
Und doch, ein Zwang ist's, Zeus', des Flüchtlingshortes, Zorn,
Dem aller Menschen höchste Furcht sich beugt, zu scheun! –

Du, greiser Vater dieser Jungfraun, sammle denn

In deinen Armen schleunig ihre Zweige auf;
Den Landesgöttern leg sie auf die anderen
Altäre, daß die Zeichen eurer Flucht zu uns
Fremd keinem Bürger bleiben noch kundwerden mag
Mein Wort; denn gern häuft Schuld das Volk auf seinen Herrn.
Auch möchte Mitleid bei dem Anblick eurer Not
Den Trotz verabscheun jener frechen Jünglinge,
Euch aber desto wohlgesinnter sein das Volk;
Denn jeder hegt Zuneigung für die Schwächeren.

DANAOS:
Mit höchstem Danke soll's von uns gepriesen sein,
Daß wir zum Schutzherrn fanden solchen edlen Mann.
So gib Geleit und Führer mir, die mich des Wegs
Geleiten, wie ich der stadtbeschützenden Götter Herd
Im Tempelvorhof, wie der stadtbeschirmenden
Allheilige Zellen finden, sicher durch die Stadt
Hinschreiten könne; fremd ist meine Tracht und Art;
Der Nil und Inachos nähren nicht ein gleich Geschlecht.
Du sorge, daß sich mein Vertraun nicht kehrt in Furcht;
Auch seinen Freund schlug mancher aus Unkunde tot.

PELASGOS:
So geht denn, Männer; weise sprach der edle Gast;
Zeigt ihm der Stadt Altäre, unsrer Götter Sitz,
Und haltet nicht Neugierige vieler Worte wert,
Da ihr den Schutzbefohlnen führt zum Götterherd.

Danaos nimmt einige Zweige an sich und geht mit seinen Begleitern ab.

CHORFÜHRERIN:
Dem gibst du Weisung; mög er ungefährdet ziehn!
Was soll denn ich tun? Schutz und Trost, wo find ich ihn?

PELASGOS:
Dort liegen laß die Zweige, Zeugen deiner Not!

CHORFÜHRERIN:
Ich lasse sie auf deinen Wink, auf dein Gebot.

PELASGOS:
Und komm herab jetzt auf die freie Reigenflur!

CHORFÜHRERIN:

Wie soll mich schützen dort der offne Raum der Flur?

PELASGOS:
Glaub, Kind, ich setz dich nicht den Geiern aus zum Raub!

CHORFÜHRERIN:
Doch Feinden, grausiger als der Drachen wilde Brut!

PELASGOS:
Mit heitrem Wort gebeten, sprich du heiter auch!

CHORFÜHRERIN:
Kein Wunder, wenn es in meiner Herzensangst mich bangt!

PELASGOS:
Stets schützt die Ehrfurcht vor dem Fürsten jeglichen.

CHORFÜHRERIN:
Aufheitre meines Herzens Gram mit Wort und Tat.

Die Mädchen steigen in die Orchestra hinab.

PELASGOS:
Nicht lange läßt euch euer Vater mehr allein;
Denn ich berufe meines Reiches Völker jetzt,
Die Volksversammlung euch zu stimmen treu und mild;
Auch eurem Vater sag ich, was er sprechen soll.
Darum so bleibt, und zu den Landesgöttern fleht
Demütig, euch zu geben, was ihr wünschen mögt.
Ich aber geh von hinnen, nützlich euch zu sein;
Sei Peitho mit mir und das Glück, das alles schafft!

Der König mit Gefolge ab.

CHOR:
Erste Strophe


Herr aller Herrn, Seligster du der Seligen,
Aller Gewalt Gewaltigster, Zeus in den Himmeln droben,
Hör uns, erhör uns gnädig!

Wend heilgen Zornes ihre Frechheit von uns!

Hinabstürz in die purpurne Meerflut

Dieser Verruchten Fluchschiff.


Erste Gegenstrophe


Und unserm Flehn gnädig, der Mädchen nah, erneu
Unserem altgefeierten Stamm von der teueren Ahnin
Den Ruhm der einstgen Gnade!

Ja, treugedenk sei mein, du Buhle Ios,
Von der unser Geschlecht sich entstammend

Heimisch in diesem Land nennt.


Zweite Strophe


Ich find hier alte, teure Spuren,
Finde die blumigen Aun der Mutter,
Das Wiesenbruch hier, von wannen Io,

Auf von der Bremse gescheucht,
Flüchtig in irrendem Wahn

Weit in die Lande der Menschen umher-

Schweifte, dem Schicksal gemäß

Zweimal zum jenseitigen Strand flüchtend die Fluttore der See benannte.

Zweite Gegenstrophe


Sie stürmt drauf durch die Asiswiese,
Phrygias lämmerbedecktes Feld durch,

Durcheilt der Stadt Teuthras mysisch Talland,

Über die lydischen Aun,

Durch Pamphylias Volk,

Durch die Kilikischen Alpen im Flug,

Weiter die Zwillingsströme hinab,
Weiter zum fruchtseligen Land, weiter zum kornüppigen Reich der Kypris.


Dritte Strophe

Sie fliegt, fortjagt mit wildem Stachel sie

Ihr geflügelter Treiber
Zum allnährenden Fruchtland;

Den schneegetränkten Fluren, über die herein

Vor Typhons Hauch

Die Flut des Nils, jeder Seuche rein, schwillt,

Naht sie in schmachgehäuftem Schmerz, rasend in geißelblutger Qual

Der haßtrunkenen Hera.


Dritte Gegenstrophe


Wer damals das erlebt in jenem Land,

Bleichen Grausens erfaßt ward
Sein Geist, ihre verstörte,

Grasweidende, grause Menschenmißgestalt zu schaun;

Ihr Leib, halb Kuh,

Halb Mädchen, anstaunten sie das Wunder.

Da, wer erbarmte sich der unseligen, irregetriebenen,

Wahnsinnschweifenden Io?


Vierte Strophe


Der endlos ewgen Zeiten Herrscher,
Zeus erlöste die Jungfrau;
Vor seiner schmerzlos selgen Kraft,
Seinem göttlichen Atem
Schmilzt ihr Gram, und die Träne wehmütiger Scham, sie entperlt ihr;

Ein Pfand des Gottes, das sie truglos trug im Schoß,

Zeugte den hehren Sohn sie:


Vierte Gegenstrophe


Der endlos ewgen Zeiten Heiland!
Rings drum jauchzten die Lande:
"Dies lebenspendende, selge Kind,
Wahrlich, des Gottes Sohn ist's."
Wer sonst hätte der Hera trugspinnenden Haß bewältigt?

Zeus war's! Es darf entstammt von dir, du Hauches Sohn,

Unser Geschlecht sich rühmen!


Fünfte Strophe


Drum wen mag, welches Gottes Beistand
Ich anflehn mit gerechtrer Bitte?

O teurer Sämann, treuer Gärtner, groß und mild,

Urweiser, Urgewaltiger,

Ahnherr! Du allautrer Born des Heils, Zeus!


Fünfte Gegenstrophe


Von niemand pflichtgebannt dem Niedern,
In Allmacht herrscht er alles Höchsten

Und schaut zu niemand dienend aufwärts über sich;

Da steht mit seinem Wort das Werk,

Was still im Geist kaum ihm keimt, vollbracht ist's!


Danaos kommt zurück.

DANAOS:
O Kinder, freut euch! Glücklich steht es in der Stadt;
Vom Volk genehmigt sind die Beschlüsse allzumal.

CHORFÜHRERIN:
Heil, Vater, dir, du liebster Botschaft Bote mir!
Nun aber sag uns, wie beschieden hat der Schluß,
Für den der Hände dicht Gedräng das Volk erhob.

DANAOS:
Es stimmten Argos' Bürger ungeteilten Sinns,
So daß mir jung und freudig schlug dies greise Herz,
Als alles Volkes tausendfacher Arm empor
Sich hob gen Himmel, Kraft zu geben diesem Spruch:
Wir sollen hier im Lande wohnen frank und frei,
Angriffgesichert, aller Welt in heilger Ruh;
Es soll hinweg kein Fremdling, kein Einheimischer
Uns reißen; würde je Gewalt an uns versucht,
So sollte, wer von den Bürgern nicht zu Hilfe eilt,
Ehrlos erklärt sein und verbannt durch Volksbeschluß.
Für diesen Vorschlag sprach zu unsern Gunsten drauf
Der Fürst Pelasgos; an des Schützlingshortes Zeus
Schwerdräunden Zorn gemahnt' er, den sich nie die Stadt
Erwecken möchte, warnte dann: dies Doppelgreul
Zugleich des Gastrechts und der Stadt am eignen Tor,
Es würd ein unerschöpfter Born des Jammers sein.
Nach diesen Worten, eh der Herold noch gebot,
Hob alles Volk die Hände schon: so sollt es sein! –
Wohl hörte seine Rede klug und vielgewandt
Das Volk; doch Zeus ist's, der es so zum Ziel gewandt!

Er ersteigt wieder den Hügel.

CHORFÜHRERIN:

Auf! auf! laßt froh dem argivischen Volk
Uns Segen erflehn, wie wir Segen empfahn.
Du, der Fremdlinge Hort, von der Fremdlinge Wort
Laß Ehren und Wunsch, Zeus, gnädig gedeihn

Zum erfreulichen Ziel der Vollendung!



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