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14 Pinselnotizen - 4

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14 Pinselnotizen
aus dem Yue wei caotang biji
("aus der Strohhütte der Betrachtung des Unscheinbaren”)

des Ji Yun (Ji Xiaolan, 1724-1805).
Übersetzung: Rupprecht Mayer

4)

Von dichtenden Füchsen ist in der Literatur sehr oft die Rede, kaum aber von solchen, die malen können. Li Wen aus Haiyang, mit dem Beinamen Yanting, erzählt: Zur Zeit der Perioden Shunzhi und Kangxi [zwischen 1644 und 1722] war der Privatier Zhou Ganbo in den Regionen Chu und Yu [heutiges Hubei und Henan] unterwegs. Er war für seine Kiefern-Malerei berühmt, und ein Mann von Bildung bat ihn, eine Wand seines Studierzimmers auszumalen. Eine Kiefer nahm mit ihren Wurzeln in der Ecke der westlichen Wand ihren Ausgang, verlief knorrig und vielfach gewunden über die gesamte nördliche Wand und reichte mit den Ausläufern ihrer Krone noch ein, zwei Fuß in die östliche Wand hinein. Man spürte, wie die tiefen Schatten sich festsetzten, und dass ein stetiger Wind im Herannahen war. Der Mann richtete ein Gastmahl aus, um die Malerei im Kreis seiner Freunde zu genießen. Als man gerade vor der Wand zusammenstand und bewundernd auf dieses und jenes deutete, da klatschte plötzlich einer der Freunde in die Hände und brach in schallendes Gelächter aus. Die anderen stimmten sogleich mit ein. Unter der Kiefer befand sich nämlich eine “geheime Szene”: Auf einem großen, aus einem Baumstamm gefertigten Bett, das mit einer Bambusmatte bedeckt war, lagen nackt ein Mann und eine Frau, die miteinander verkehrten und sich begehrende Blicke zuwarfen. Die Szene war höchst erotisch und lebensecht ausgeführt. Zwei Zofen, die dabeistanden, waren ebenfalls nackt. Eine verscheuchte mit einem Fächer die Fliegen, die andere hielt die Kopfstütze der Frau fest, damit diese nicht in der Hitze des Gefechts auf den Boden fiel. Es waren Miniaturen, die den Hausherrn, seine Frau und ihre Konkubinenmägde zeigten. Alle drängten mit großem Hallo hin, um sich das anzusehen. Die Gesichter besaßen eine solche Ähnlichkeit, dass selbst die Diener sie erkannten und sich die Hand vor den Mund halten mussten. Der Mann geriet in großen Zorn. Er schaute nach oben, gestikulierte und stieß Verwünschungen gegen einen dämonischen Fuchs aus. Plötzlich ertönte unterm Dach Gelächter, und eine Stimme sprach: “Was für ein Rüpel Ihr doch seid! Ich hatte immer von den Kiefern des Privatiers Zhou gehört, aber sie noch nie mit eigenen Augen gesehen. Gestern abend konnte ich sein Meisterwerk betrachten. Ich saß und lag unter seiner Kiefer und brachte es nicht über mich, zu gehen. Deshalb versäumte ich es, Euch auszuweichen, aber ich habe Euch schließlich keine Dachziegeln entgegengeschleudert. Ihr aber habt mich gleich mit bösen Schimpfworten bedacht, das empfand ich als ungerecht. So habe ich Euch einen kleinen Streich gespielt. Doch Ihr besinnt Euch immer noch nicht eines Besseren, sondern werdet schon wieder ausfällig. Ich male dieses Bild noch auf Eure Türflügel, damit die Leute auf der Straße etwas zu lachen haben. Seht Euch vor!” Es verhielt sich nämlich so: Als der Mann am Abend zuvor das Geschirr für die Gäste bereitstellte und mit einer Kerze in der Hand mit einem Diener in das Studierzimmer trat, da stürzte plötzlich ein schwarzes Wesen zur Tür. Der Mann wußte, dass es sich um einen Fuchsdämon handelte, und hatte ihn übel beschimpft. Um die Situation zu entschärfen, und um den Fuchs zu besänftigen, baten ihn die Gäste nun zu Tisch und machten oben an der Tafel einen Platz für ihn frei. Der Fuchs war nicht sichtbar, aber seine Stimme war klar und deutlich zu vernehmen. Wenn ihm Wein eingeschenkt wurde, dann leerte sich sein Glas, nur von den Speisen nahm er nichts zu sich, sondern meinte, er habe nun schon über vierhundert Jahre kein Fleisch mehr gegessen. Vor dem Auseinandergehen sagte er zu dem Mann: “Ihr seid allzu intelligent, deswegen neigt Ihr dazu, mit Eurem Temperament andere zu beleidigen. Das ist nicht der richtige Weg für Eure Charakterbildung, und auch nicht für die Erhaltung Eurer Gesundheit. Heute hattet Ihr Glück, dass Ihr es mit mir zu tun hattet. Wenn Ihr auf einen getroffen wärt, der wie Ihr Hass in sich trägt, dann hätte das alles kaum so verlaufen können. Nur Bildung kann Euer Temperament verändern, darauf solltet Ihr achten.” Nach wiederholten ernsthaften Ermahnungen verabschiedete er sich. Als man wieder nach dem sah, was er gemalt hatte, da war es wie weggewaschen. Am Tag darauf entdeckte man an der östlichen Wand des Studierzimmers farbig gemalte Kirschblütenzweige, die sich gegen Grüntöne von Moos und Gras abhoben. Die Blüten standen nicht sehr dicht, ein Teil war ganz aufgeblüht, andere nur zur Hälfte. Ein Teil war schon zu Boden gefallen, ein Teil noch nicht, andere Blüten hatten den Boden noch nicht erreicht und tanzten im Wind. Es waren derer acht oder neun. Sie drehten sich hin und her und taumelten zur Seite oder schräg nach unten, als ob sie vom Wind bewegt würden. Es erschien unmöglich, solches mit Pinsel und Tusche zustande zu bringen. Darüber fanden sich die zwei Gedichtzeilen: “Durchs duftende Gras führt kein Pfad, am verlassenen Berg fallen die Blüten.”
    Das Bild war nicht signiert, und es war klar, dass sich der Fuchs damit für die Einladung am Abend zuvor bedankt hatte. Als der Privatier Zhou dieses Bild später zu sehen bekam, da meinte er mit einem Seufzer der Bewunderung: “Hier gibt es keine Spuren mehr von Pinsel und Tusche. Meine Malerei wirkt dagegen ungelenk und gekünstelt.”
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