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14 Pinselnotizen - 2

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14 Pinselnotizen
aus dem Yue wei caotang biji
("aus der Strohhütte der Betrachtung des Unscheinbaren”)

des Ji Yun (Ji Xiaolan, 1724-1805).
Übersetzung: Rupprecht Mayer

2)

Die Bauern von Urumqi haben ihre Felder in der Nähe der Flüsse, um sie zu bewässern, und ihre Gehöfte bauen sie in der Nähe der Felder. Sie können also nicht in Ortschaften siedeln. Sie errichten in der Regel ein paar Gebäude, und ringsum haben sie keine Nachbarn. Das sind die „Ein-Familien-Weiler“, von denen bei Du Fu die Rede ist. Ausserdem leisten sie keinen Fron- oder Miltärdienst, und ihr Grundbesitz wird nicht vermessen. Sie entrichten nur Steuern für dreissig mu Land und können trotzdem in Ruhe Felder von ein paar Hundert mu bestellen. Gerade in den tiefen, zerklüfteten Tälern gibt es viele solcher Höfe.
    Als Soldaten aus Jimusa in den Bergen auf die Jagd gingen, kamen sie zu einem Gehöft, dessen Tor fest verschlossen war, in dessen Hof jedoch gut ein Dutzend gesattelte und gezäumte Pferde zu stehen schienen. Sie vermuteten, dass Mahaqins den Hof überfallen hatten, und umringten ihn mit viel Getöse. Die Mahaqins glaubten es mit einer grossen Überzahl zu tun zu haben, ließen alles stehen und liegen und brachen durch die Umzingelung. Die Soldaten ihrerseits hatten Angst, dass die Mahaqin erbittert um ihr Leben kämpfen würden, und ließen sie ziehen. Als sie eintraten, fanden sie Menschenknochen in wüstem Durcheinander, aber keine lebende Seele. Nur ein leises Wimmern war zu hören. Sie entdeckten einen Knaben von dreizehn oder vierzehn Jahren, der nackt an einem Fenstergitter hing. Sie banden ihn los und befragten ihn. „Die Mahaqin sind vor vier Tagen gekommen,“ erzählte er, „mein Vater und meine Brüder kämpften mit ihnen, doch sie unterlagen, und alle wurden gefesselt. Jeden Tag führten sie zwei von uns zum Bergbach, wuschen sie und schleppten sie zurück. Dann schnitten sie ihnen das Fleisch heraus, rösteten und aßen es. So endeten alle acht Männer und Frauen. Heute wollten sie aufbrechen. Sie hatten mich schon gewaschen und wollten mich aufessen, da gebot einer von ihnen mit einem Wink Einhalt. Ich verstehe zwar kein Eleutisch, aber nach ihrem Gestikulieren wollten sie mich wohl in einzelne Stücke zerteilen und diese auf ihrem Ritt als Proviant mitnehmen. Zum Glück seid dann ihr Soldaten gekommen, und sie haben davon abgelassen. So habe ich heute das Leben wiedererlangt.“ Dabei weinte er in einem fort. Man hatte Mitleid mit dem verwaisten, unglücklichen Knaben und nahm ihn mit ins Lager, wo er fürs erste mit Handlangerdiensten beschäftigt wurde.
    Später erzählte er, dass auf dem Hof noch Dinge in einer unterirdischen Höhlung vergraben seien. Unteroffiziere aus dem Lager ließen sich von ihm den Ort zeigen, und man grub die Sachen aus. Es waren Silbergeld und Gewänder in großer Menge. Als man den Knaben genauer befragte, stellte sich heraus, dass sein Vater und die Brüder allesamt Räuber gewesen waren. Sie verübten ihre Überfälle nur da, wo die Relaisstrasse in der Nähe von Bergen verlief. Wenn sie einen oder zwei einzelne Fuhrwerke sahen, und 10 li vor und hinter ihnen niemand zu sehen war, der ihnen hätte zu Hilfe kommen können, dann tauchten sie plötzlich auf, brachten die Leute um, luden ihre Leichen auf den Wagen und lenkten diesen tief in die Berge. Wenn die Wagen steckenblieben, dann zerlegten sie sie mit grossen Äxten und stürzten sie zusammen mit den Leichen, Planen und Decken in eine Schlucht. Nur die Beute transportierten sie auf dem Rücken der Pferde weiter. Wenn auch die Pferde nicht mehr weiterkamen, dann warfen sie das Pferdegeschirr in die Schlucht, ließen die Pferde laufen und trugen die Beute selbst auf Bergpfaden zu ihrem Gehöft, mehrere hundert li vom Ort des Überfalls entfernt. Dann versteckten sie die Beute ein oder zwei Jahre in dem unterirdischen Verlies, um dann jemanden als Händler getarnt auf Umwegen auf weit entfernte Märkte wie den in Pizhan zu schicken, um die Sachen dort zu verkaufen. So hatte über viele Jahre niemand etwas gemerkt. Doch sie hatten nicht damit gerechnet, dass ihre ganze Sippe den Mahaqin zum Opfer fallen würde. Der Knabe wurde wegen seiner Jugend nicht belangt, er stürzte später beim Pferdehüten in einen Abgrund, so dass die Familie keine Nachkommen hatte.
    Mit diesem Fall war ich in der Militärverwaltung selbst befasst. Da die Räuber tot waren, liess man den Fall auf sich beruhen. Wenn man es heute recht überlegt, dann sind diese Räuber mit größter Verschlagenheit und Geheimhaltung vorgegangen. Es wäre schwierig gewesen, sie zu fassen. Doch dann kamen die Mahaqin, und ihre grausamen Morde fanden Vergeltung. Die Mahaqin sind unersättliche Menschenfresser, und doch ließen sie einen Knaben übrig, damit offenbar werde, womit die Sippe das Unheil auf sich gezogen hatte. Hier scheint höhere Logik vorzuliegen und kein Zufall. Die Namen der Räuber habe ich vergessen, doch nachdem der Knabe vom Berg gestürzt war, wurde im Bericht der Behörde sein Name mit „Qiu’er“ (Herbstkind) angegeben.
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