(Heidede Becker:) Aubergine mit Scheibenwischer – die Zeichnungen von Oskar Pastior
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Michael Braun
Wo der Kreis das Viereck fand
„Aubergine mit Scheibenwischer“ – Oskar Pastior als Zeichner
Wer als Künstler in zwei Sphären des Schöpferischen
unterwegs ist, in der Bildenden Kunst wie in der Poesie, der kann mitunter in eine
prekäre Asymmetrie geraten. Nicht immer koexistieren nämlich die Gattungen in
einer ästhetischen Gleichberechtigung nebeneinander wie etwa bei Christoph Meckel,
dem Meister des sprachmagischen Gedichts und auch der surrealen Zeichnung. Bei
Peter Weiss vollzog sich einst ein radikaler Wechsel: „Peter Weiss war lange
ein Künstler, der auch schrieb“, so sagte es Christoph Meckel einmal in einer
Laudatio auf seinen Freund, „er war danach ein Schriftsteller, der kein Bild
mehr machte.“ Im Falle des siebenbürgischen Sprachzauberers Oskar Pastior
(1927-2006), der mit seiner selbstvergessenen Wortbesessenheit eine ganze
Generation von experimentellen Poeten geprägt und animiert hat, ist das
Verhältnis zwischen dichterischem und zeichnerischem Werk noch komplizierter.
Pastior hat sich selbst stets als „Autor von Sprach- und Zeichengebilden“
verstanden, der mit seinen „Wechselbälgern“, „Sonetburgern“, „Vokalisen“, „Gimpelstiften“
und „kleinen Kunstmaschinen“ die Möglichkeiten der Sprache und ihrer
Kombinatorik nach allen phonetischen und semantischen Richtungen hin auslotet.
Dass er von früher Jugend an auch ein passionierter Zeichner gewesen ist, haben
die Pastior-Exegeten bislang kaum beachtet – der Dichter selbst hat seine
Zeichnungen nur sehr sparsam der Öffentlichkeit preisgegeben.
Erst dank einer akribischen Erkundung von Pastiors zeichnerischem Werk durch die Stadthistorikerin und Autorin Heidede Becker liegt nun eine profunde Analyse seiner bildkünstlerischen Leistungen vor. Heidede Becker hatte den damals noch unbekannten Poeten nach seiner Übersiedlung nach Berlin 1973 kennengelernt und mit ihm bis 1985 in einer Wohngemeinschaft in Berlin-Charlottenburg zusammengelebt.
Der Sohn eines Zeichenlehrers aus Hermannstadt erfand bereits als Student in Bukarest eine Verbindung zwischen vokabulären und bildkünstlerischen Impulsen. Im Herbst 1956 entwarf er etwa eine Folge von fünf „gezeichneten Gedichten“, in denen ein Dialog zwischen Text und Bild, Poesie und Zeichnung erprobt wird.
Erst fast vierzig Jahre später erschienen vier dieser „gezeichneten Gedichte“ anlässlich seines 70. Geburtstags in einem Heft der Literaturzeitschrift „Akzente“. Eins dieser „gezeichneten Gedichte“, das Poem „Sterne“, erschien dann auch auf dem Cover des Bands 1 der Pastior-Werkausgabe. Durch eine Diagonale sind hier die sprachlichen und
zeichnerischen Elemente im Bild voneinander getrennt. Das handgeschriebene
Gedicht erscheint dabei wie ein poetisch verrätselter Kommentar zur Zeichnung. „Die
gelben Sterne sind vor meinen Schritt gefallen“, hebt das Gedicht an, um am Ende
in eine apokalyptische Szene zu münden: „Ich kann nicht auf die gezackten
Leichen treten. / Ich bin angebrochen wie die Kante Schnee zum Wasser.“
Tatsächlich sieht man auf der Zeichnung auf dem Boden liegende Figuren, ein
Panzer schickt sich an, sie zu überrollen. Ernest Wichner hat in der
Werkausgabe auf den historischen Hintergrund dieses Gedichts hingewiesen: Es
ist die schockhafte Erfahrung der Niederschlagung des Ungarn-Aufstands durch
sowjetische Panzer.
Pastior hatte bis zu diesem Zeitpunkt im poststalinistischen
Rumänien der 1950er Jahre nach einem riskanten Weg zwischen Anpassung und
Autonomieverlangen gesucht. Neben grandiosen Exempeln seines ingeniösen
Sprachgeistes findet man in den frühen Gedichten auch einige peinliche
Dokumente opportunistischen Kleinmuts.
Durch ihre peniblen Nachforschungen im Literaturarchiv Marbach, in
dem rund 650 Zeichnungen Pastiors aufbewahrt sind, hat Heidede Becker das
eminente bildkünstlerische Werk des Sprachartisten erst ans Tageslicht
gebracht. Wir sehen uns immer wieder geschwungenen Linien von gestischer Kraft
gegenüber, die sich zu eigentümlichen Figurationen und Traumgeschöpfen
verbinden. Sämtliche Zeichnungen sind nun in dem großformatigen Band,
der im Verlag Das Wunderhorn erschienen ist, in einem gesonderten
Werkverzeichnis abgebildet. Er sei – so Pastior
einmal – als „Augenmensch auf Sichtbares aus (erpicht), als Sprache Atmender
auf Alles-was-Flügel-hat fixiert“. Zu den schönsten Funden in „Aubergine mit
Scheibenwischer“ zählen neben den kryptisch anmutenden Hieroglyphen-Tafeln zum
Band „Vokalisen & Gimpelstifte“ (Carl Hanser, 1992) und den
„Monadengraphiken“ zum Sestinen-Projekt „Eine kleine Kunstmaschine“ (Carl
Hanser, 1994) auch die künstlerischen Kollaborationen Pastiors mit seiner ersten
Ehefrau Roswith Capesius. In den frühen 1960er Jahren arbeiteten beide an
Kinderbüchern, etwa an dem „Kleinen Reim- und Bilderbuch vor dem Asienbesuch“,
das nie gedruckt wurde und im vorliegenden Band erstmals der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht wird. Zu elementaren
Formen wie Kreis und Quadrat und minimalistischen Skizzen von Bäumen und
sakralen Gebäuden (z.B. einer Moschee) erfand Pastior hier wunderbar leichte
Zweizeiler. Einer dieser Zweizeiler erinnert an seinen Elementarvers „Jalusien
aufgemacht, Jalusien zugemacht“, der gleichsam als Pastiorsche Weltformel zu
lesen ist. Im Kinderbuch findet sich nun ein minimalistisches Sprachkunstwerk,
mit dem die Alphabetisierung der Welt beginnen könnte: „Wo der Kreis das
Viereck fand, / da entstand einst Samarkand.“
(Heidede Becker:) Aubergine mit Scheibenwischer – die
Zeichnungen von Oskar Pastior. Heidelberg (Verlag Das Wunderhorn) 2018. 230
Seiten. 29,80 Euro.
Die Ausstellung „Aubergine mit Scheibenwischer“ wird
im Rahmen des Berliner Poesiefestivals am 8. Juni 2019 eröffnet.