(Bert Strebe:) Lyrikedition Hannover
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Marco Sagurna
Die “Lyrikedition Hannover“ des Herausgebers Bert Strebe
Hans Georg Bulla: Nach diesem langen Jahr. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2023.
48 Seiten. 10,00 Euro.
Sabine Göttel: Grillenliebchen. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2023. 48 Seiten.
10,00 Euro.
Caroline Hartge: das blaue komma. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2023. 48 Seiten.
10,00 Euro.
Tabea Farnbacher: überwintern. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2024. 48 Seiten.
10,00 Euro.
Annette Hagemann: Die fünfte Jahreszeit. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2024.
48 Seiten. 10,00 Euro.
Jan Egge Sedelies: kinetischer sand. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2024.
48 Seiten. 10,00 Euro.
Thomas Bothor: den tag aufräumen. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2025.
48 Seiten. 10,00 Euro.
Nikola Huppertz: in bester unordnung. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2025.
48 Seiten. 10,00 Euro.
Alexander Rudolfi: Werg oder Versuch, das Haus einer Kindheit zu errichten. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2025. 48 Seiten. 10,00 Euro.
Eva Taylor: Im Wundertal. Gedichte. Hannover (Wehrhahn Verlag) 2025. 48 Seiten.
10,00 Euro.
Bienen, so groß und
schillernd wie Kolibris
Mission vollendet, in der niedersächsischen Landeshauptstadt
konnte Herausgeber Bert Strebe im Herbst 2025 nun Band 7, 8, 9 und 10 seiner Lyrikedition
Hannover vorstellen. Die im Wehrhahn Verlag seit 2023 erschienen Bücher
zählen zu den editorischen Glanztaten deutschsprachiger Gedichte der
vergangenen Jahre, seit – sagen wir mal – der Gründung des Elif Verlages 2011.
Selbst profunder Poet in Wort und Bild wie virtuoser Zeitungsreporter an Mensch
und Thema, konnte Strebe für eine mutige Buchreihe Verlag, Förderungen sowie
aufgespürte und etablierte Dichterinnen und Dichter gewinnen.
Wie es die Beatles in ihrem Weißen Album einst musikalisch
vollbrachten, überrascht hier die Literatur in zehn weißen Büchern – im
Hardcover samt Lesebändchen auf griffigem Papier in schmuckloser Wertigkeit auf
jeweils knapp 50 Seiten mit vertrauten Formen der Lyrik wie in formal
vorsichtigen Neuerkundungen. Dass diese Bücher zu einem wirtschaftlich
eigentlich nicht kalkulierbaren Schnapperpreis à 10 Euro in dieser Qualität
erscheinen konnten und auf vielen Lesebühnen vor zumeist vollem Haus
vorgestellt werden, das ermöglichte gleich eine ganze Schar von Förderinnen.
Ja, die Geburtstadt von Kurt Schwitters und Karl Krolow liebt Lyrik.
Keine Vorstellbarkeiten, die es hier
nicht gibt: / Bienen, so groß und schillernd wie Kolibris: / Kolibris,
pfeilschnell wie Eisvögel: Eisvögel, / so verlockend wie Wesen, mit denen man /
gemeinsam über Witze lacht, und Witzbolde / mit den Schnäbeln von Tukanen.
Urwaldhafte, / tief bewegende Trompetentöne, die nicht / für eine Sekunde in den Ohren
schmerzen – in ihrem
Gedicht „Eben in Eden“ zeigt Annette Hagemann, wo es lang tönt und schillert.
Diese sich gerne in Flora und Fauna begebende Virtuose ist eine der Großen der
deutschen Poeterei seit langem. Und sie hat Humor. In der Lyrikedition ist sie
ebenso vertreten, wie Hans Georg Bulla, der schon in den 80er Jahren drei
Gedichtbände in Frankfurt am Main bei Suhrkamp publizierte – als dieser Verlag
noch das feinste Haus im Lande war. Und der dann weiter machte, in vielen Büchern
kleinerer feiner Verlage. Wie Wehrhahn – wo Bulla immer noch unterwegs ist,
sich Unbekanntes zu erschließen und mir hier eines der ergreifendsten Lesevergnügen
in jüngerer Zeit bescherte: Du lernst
neue Namen, / Städte, die keine Städte / mehr sind, Rauch über / den
Steinhaufen, schwarze / Zeichen in den Himmel gesetzt // Aus der Entfernung
siehst du, / wie blind du bist, / wie schwer du hörst, / wenn du horchen willst / auf die andere
Sprache, wie es heißt „In
den Nachrichten“.
Solche Vorgehensweise – für die echten, unzerbrechlichen
Lyrikerinnen ist sie Standard über alle Bücher des Lebens hinweg – beschwört
auch Caroline Hartge: komm graben wir unsere farben aus / die kreide die
kohle / den ocker den rötel die umbra / nicht zu vergessen den zinnober /
brennen mahlen mischen uns / und malen / und kleben uns häuser aus papier
/ und bauen aus klötzen
/ kathedralen / liniendampfer / und unbedingt schreiben wir naturlyrik /
besprechen wir die welt / bilden sie bebildern sie / die ernte des weisen
dauert / das ganze jahr / und wir ernten / und wäre es / eine am wegrand gepflückte
/ leere. Keine Idylle
ist sie, die Freude, die Bürde lyrischer Dichtung, darauf hin weist uns „nachts“
auch Sabine Göttel: kein laut / nirgends // keine vögel / ohne sonne // ohne haut / kein
schmerz // schlafen wäre gut / lieben wäre gut // ich liege / ich
atme // ich winkele / ein bein / in die nacht.
Ins Risiko gehen, das gehört zur Lyrik, das zeichnet sie
aus, ohne Risiko kommt sie nicht aus – auch die vielfach ausgezeichnete Kinder-
und Jugendbuchschriftstellerin Nikola Huppertz bringt sich in gute Position,
macht sich an „notwendige umbauten“ für ihren ersten Gedichtband für
Erwachsene: gestern habe ich / einen moossessel in mein / Wohnzimmer gepflanzt | hab samen /
auf den teppich gestreut / und sonne und wolken / durch das oberlicht /
hereingewinkt // es geht sich gut an // heute nehme ich mir / das arbeitszimmer
/ vor. Sich seine
Umgebung zu finden für das eigene, konturierte Poetisieren, das ist so wichtig,
wie sich auch von innen dafür zu synchronisieren.
Tabea Farnbacher stachelt an, verrät wie das funzt, „hast du“
fragt sie rhetorisch, hast du schon mal eine birne geschnitten / die
kristalle betrachtet die hälften geöffnet / warst du schon einmal
messer und frucht // hast du schon mal um ein nüsschen geweint / das ein eichhörnchen nie wieder fand / warst du schon
einmal hungrig und satt // hast du schon einmal die pfade verlassen / die man
früh schon in deine wildnis schlug / hast du schon mal vor liebe gebrüllt. Aber Obacht vor den Zeilen aus den
Dingen, Obacht vor den Dingen in den Zeilen; für die fabulierende „erinnerungsverwaltung“
mahnt Jan Egge Sedelies zur Achtsamkeit zwischen Dichtung und Wahrheit: wenn
der verwalter der erinnerungen / feierabend macht / wirkt alles so / als sei
nichts passiert / & irgendwo pfeift / vielleicht nur der wind.
Bevor eine Stimme womöglich zu große Buchstaben in zu großen
Wörtern herausbrüllt, käme sie „Leise“ vielleicht besser ans Ziel: Die Stimme klein halten. / Als wären die Stimmbänder gebunden, / als vibrierte es
nur im Innern; die
erfahrene Eva Taylor weiß das, so wie Neuentdeckung Thomas Bothor hier nah
liegende Wörter „im netz“ hat: das schunkeln der nebel / das rauschen das
blau / der eisenbahnsitze / die hand an der scheibe / und auf den geleerten
feldern / ein zartes grün.
Was steht, muss so stehen, was geschrieben ist, ist so geschrieben. Nicht als
Revolution in Wörtern. Und nach Attacke, Trash und Bambule ist auch dem
feinsinnigen Alexander Rudolfi nicht zumute; er fragt sich lediglich Wie das
Gespinst der Steinwolle / in den Kühlschrank gelangt ist. Ich / weiß nichts
davon. / Kleinlaut gute nacht sagen, auf wiedersehen, vielleicht.
Nein, nicht vielleicht. Bitte Weitermachen! Wo andere in
ihrem Gestaltungsspielraum qua Amt oder Funktion in Medien, Veranstaltungswesen
oder Verwaltung beharrlich kaum anderes machen, als in vorgetäuschter Weltläufigkeit
die üblichen Verdächtigen aus dem Feuilleton gefischten abzubilden und ihren
Status am Ort in provinziellem Gebaren eifersüchtig und eitel wie ihr ganz persönliches
Fürstentum abzusichern trachten, ist für die Lyrikedition Hannover ein Identifizierer,
Bewahrer und Schöpfer unterwegs gewesen. In Entdeckungen wie Gewachsenem stellt
er den Charakter eines kulturellen Raumes durch seine Literatur vor, stiftet an
und weckt Kräfte.
Neugierig und aufmerksam geht Bert Strebe ans Werk. Ein
Triggerer, der sich verdient macht, weil er aus seiner Stadt heraus lyrische
Identitäten einer Region von überregionaler Ausstrahlung vorstellt. So,
wie sich am selben Ort der in der Leibniz Universität angedockte Literarische
Salon Hannover verdient macht, weil seine bewährten, wie immer wieder frisch
eingewechselten Protagonisten durch die Einladungen auf ihre Bühnen um
Publiziertes und ihre Schöpfer
den Literaturbegriff hinein in die Stadt alljährlich aufs Neue erfrischend
beleben und erweitern. Und
so wie sich das vom Kulturbüro der Stadt – namentlich seiner dort so
kenntnisreich aufmerksam wie kollegial agierenden Literaturbeauftragten Annette
Hagemann – geförderte Autor:innenzentrum Hannover um das literarische Schreiben
am Ort verdient macht. Die schriftstellerischen Initiativen wie die
verwaltungsseitig und unternehmerisch unterstützte Begleitung der Schreibenden
haben Hannover zu einem Hotspot des literarischen Lebens gemacht. Die Poesie blüht
ganzjährig. Bunt. Aus weißen Büchern. Und es besteht Hoffnung, dass sich der
engagierte Matthias Wehrhahn die Lyrik nun dauerhaft mit in sein Verlagsprofil
genommen hat.
In der Lyrikedition Hannover, herausgegeben von Bert Strebe – in Kooperation mit dem Förderer-kreis deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller in Niedersachsen und Bremen e.V. – Gefördert wurde diese Buchreihe von VGH-Stiftung, HannoverStiftung, Sparklasse Hannover, Calenberg-Grubenhagensche Landschaft und Bürgerstiftung Hannover.