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William Shakespeare: Sonett 127 - 133

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XIX. 127-133: MY MISTRESSE EYES are Rauen blacke


Schwarz ist das Stichwort für einen abrupten Wechsel der Gestimmtheit des Dichters. Es ist mehr als ein Wechsel des Schönheitsideals (wie ihn auch Sidney in Astropil & Stella vollzogen hatte). Praise & Complaint –– das ist so gut wie vorbei. Das Personel You aus Fair Youth kehrt nicht wieder. Die zweite Subsequenz beginnt: Dark Mistress. Der Dichter beginnt verhalten, erhebt aber bald heftige Vorwürfe, nicht nur gegen die Dame. Und im Hintergrund ist der Freund mit von der Partie. Es ist das Schwarz ihrer Augen, das ihn umtreibt (127). Wofür steht es? Fairing the foule with Arts faulse borrow’d face? Ist es Ideal oder Bastard der Schönheit? Ist blacke beauties successiue heire oder ist Beautie slanderd with a Bastard shame? Trauern ihre Augen? Trösten sie ihn hinweg über die Verfälschung des Schönen durch falschen Schein?

130, der Schwerlinie dieses Septetts, befindet: My Mistres eyes are nothing like the Sunne. Ihre Schönheit läßt allerdings zu wünschen übrig. Eine lange Reihe vorwurfsvoller Apostrophen beginnt und beklagt die Tyrannei ihres Herzens und die Tortur, der es das seine unterzieht.
Aber schön (und schändlich) oder nicht, 131 resumiert: thou art the fairest and most precious Iewell, denn: Thy black is fairest in my iudgements place. Mit 133 zerrinnt diese Illusion: er ist forsaken, verwünscht thy cruell eye, quält es doch nicht ihn allein, sondern nun auch sein zweites Selbst, seinen Freund, was ihn doppelt und dreifach trifft. Beide sind eingesperrt in ihr Gefängnis: and thou wilt … vse rigor in my Iaile. Dieses wilt wird im nächsten Septett eine wichtige Rolle spielen.


127.

IN the ould age blacke was not counted faire,
Or if it weare it bore not beauties name:
But now is blacke beauties successiue heire,
And Beautie slanderd with a bastard shame,
For since each hand hath put on Natures power,
Fairing the foule with Arts faulse borrow’d face,
Sweet beauty hath no name no holy boure,
But is prophan’d, if not liues in disgrace.
Therefore my Mistresse eyes are Rauen blacke,
Her eyes so suted, and they mourners seeme,
At such who not borne faire no beauty lack,
Slandring Creation with a false esteeme,

Yet so they mourne becomming of their woe,
That euery toung saies beauty should looke so.

In alter Zeit hat Schwarz nicht mitgezählt
–– wars schön, den Namen Schönheit trug es nicht;
doch nun ist Schwarz zum Erben auserwählt,
und Schönheit trägt ein ehrloses Gesicht:
denn seit man der Natur ins Handwerk pfuscht,
seit Kunst verfälscht, das Schändliche verschönt,
ist süße Schönheit namenlos, verhuscht,
und lebt entweiht, gewöhnlich, ja, verpönt.
Daher sind meiner Herrin Augen Raben;
die Augen scheinen Trauernde zu sein,
weil die, die Schönheit nie besessen haben,
die Schöpfung niederziehn mit falschem Schein.

Sie trauern –– solche Trauer steht den Frauen,
und jeder sagt, so sollte Schönheit schauen.


128.

HOw oft when thou my musike musike playst,
Vpon that blessed wood whose motion sounds
With thy sweet fingers when thou gently swayst,
The wiry concord that mine eare confounds,
Do I enuie those Iackes that nimble leape,
To kisse the tender inward of thy hand,
Whilst my poore lips which should that haruest reape,
At the woods bouldnes by thee blushing stand.
To be so tikled they would change their state,
And situation with those dancing chips,
Ore whome their fingers walke with gentle gate,
Making dead wood more blest then liuing lips,

Since sausie Iackes so happy are in this,
Giue them their fingers, me thy lips to kisse.

Wie oft, wenn du, Musik, Musik mir spielst
mit deinen süßen Fingern, und es schwirrt
das Holz vor Glück, es schwingt, wie du es fühlst,
der Saiten Einklang, der mein Ohr verwirrt,
beneide ich die Tasten: wie sie springen,
das zarte Innen deiner Hand zu küssen,
wie kühn sie sind, die Ernte einzubringen,
daß meine Lippen schamrot stehen müssen!
Sie tauschten, was sie sind und wo sie stehn,
um diesen Tanz so gern mit diesen Tasten,
auf denen deine Finger sich ergehn ––
das tote Holz erblüht, die Lippen fasten.

Sind freche Tasten froh in diesem Wippen,
gib ihnen deine Finger, mir die Lippen!


129.

TH’expence of Spirit in a waste of shame
Is lust in action, and till action, lust
Is periurd, murdrous, blouddy full of blame,
Sauage, extreame, rude, cruell, not to trust,
Inioyd no sooner but dispised straight,
Past reason hunted, and no sooner had
Past reason hated as a swollowed bayt,
On purpose layd to make the taker mad.
Made In pursut and in possession so,
Had, hauing, and in quest, to haue extreame,
A blisse in proofe and proud and very wo,
Before a ioy proposd behind a dreame,

All this the world well knowes yet none knowes well,
To shun the heauen that leads men to this hell.

Versprühtes Feuer, Geist, verspritzt in Scham,
ist Lust im Tun, und bis zum Tun ist Lust
verlogen, blutig, mörderisch, infam,
barbarisch, roh, extrem, grob, schuldbewußt;
genossen kaum und schon verschmäht –– direkt,
maßlos gejagt, gehetzt und, kaum gehabt,
maßlos gehaßt –– Verlockung, ausgeheckt,
den toll zu machen, der sich dran gelabt;
toll in der Sucht und im Besitzen eh,
gehabt und habend –– Habgier im Extremen,
im Kosten Wonne und gekostet Weh,
davor: verheißnes Glück, danach: ein Schemen.

All das weiß jeder; keiner weiß: wie meidet
man diesen Himmel, der zur Hölle leitet?


130.

MY Mistres eyes are nothing like the Sunne,
Currall is farre more red, then her lips red,
If snow be white, why then her brests are dun:
If haires be wiers, black wiers grow on her head:
I haue seene Roses damaskt, red and white,
But no such Roses see I in her cheekes,
And in some perfumes is there more delight,
Then in the breath that from my Mistres reekes.
I loue to heare her speake, yet well I know,
That Musicke hath a farre more pleasing sound:
I graunt I neuer saw a goddesse goe,
My Mistres when shee walkes treads on the ground.

And yet by heauen I thinke my loue as rare,
As any she beli'd with false compare.

Der Sonne gleich strahlt meine Herrin nicht.
Ihr Mund ist rot, weit röter sind Korallen.
Nicht weiß wie Schnee, braun sind die Brüste schlicht.
Nicht goldne Strähnen, schwarze seh ich fallen.
Ich hab Damaskus–Rosen, rot und weiß,
gesehen, aber nicht auf ihren Wangen.
Sie riecht auch nicht nach Rosen, atmet heiß,
und manch Parfüm erweckte mehr Verlangen.
Ich hör ihr gerne zu, doch muß gestehn,
daß einem Lied ich lieber lauschen werde.
Ich sah bestimmt nie eine Göttin gehn,
geht meine Herrin, tritt sie diese Erde.

Und doch –– mir ist sie einzig, daß ihrs wißt,
wie je nur eine, die erdichtet ist.


131.

THou art as tiranous, so as thou art,
As those whose beauties proudly make them cruell;
For well thou know’st to my deare doting hart
Thou art the fairest and most precious Iewell.
Yet in good faith some say that thee behold,
Thy face hath not the power to make loue grone;
To say they erre, I dare not be so bold,
Although I sweare it to my selfe alone.
And to be sure that is not false I sweare
A thousand grones but thinking on thy face,
One on anothers necke do witnesse beare
Thy blacke is fairest in my iudgements place.

In nothing art thou blacke saue in thy deeds,
And thence this slaunder as I thinke proceeds.

Du bist, so wie du bist, so herrisch–hart
wie die, die ihre Schönheit grausam macht;
für mich –– du weißt, so ist mein Herz vernarrt ––
bist du der hellste Edelstein der Nacht.
Und doch behaupten manche: dein Gesicht
hat nicht die Kraft und reißt zu Seufzern hin;
zu sagen, daß sie irren, wag ich nicht,
doch schwör ich mirs, wenn ich alleine bin.
Und tausend Seufzer attestieren mir:
das, was ich schwöre, kann so falsch nicht sein,
denk ich an dein Gesicht, dann ist es schier
dein Schwarz: das leuchtet mir am tiefsten ein.

Schwarz bist du nirgends als in deinem Tun,
und darauf, denk ich, wird dein Ruf beruhn.


132.

THine eies I loue, and they as pittying me,
Knowing thy heart torment me with disdaine,
Haue put on black, and louing mourners bee,
Looking with pretty ruth vpon my paine.
And truly not the morning Sun of Heauen
Better becomes the gray cheeks of th’East,
Nor that full Starre that vshers in the Eauen
Doth halfe that glory to the sober West
As those two morning eyes become thy face:
O let it then as well beseeme thy heart
To mourne for me since mourning doth thee grace,
And sute thy pitty like in euery part.

Then will I sweare beauty her selfe is blacke,
And all they foule that thy complexion lacke.

Ich liebe deine Augen, die mir sagen,
sie wüßten, wie gering dein Herz mich schätzt,
zwei Liebende in Schwarz, die Trauer tragen,
so hübsch besorgt, weil mich dein Herz verletzt.
Und wahr ist, daß das erste Morgenrot
dem Morgengrauen auch nicht besser steht,
und daß vom Abendstern, so hell er loht,
zur Hälfte nur das stille Licht ausgeht,
das deine Augen deinem Antlitz geben
–– zwei Trauernde. O trügest du um mich
im Herzen Trauer! Trauer stünde eben
auch deinem Mitleid gut und kleidet dich.

Dann wollte ich, daß Schönheit schwarz ist, schwören
und schmähen die, die dieses Teints entbehren.


133.

BEshrew that heart that makes my heart to groane
For that deepe wound it giues my friend and me;
I’st not ynough to torture me alone,
But slaue to slauery my sweet’st friend must be.
Me from my selfe thy cruell eye hath taken,
And my next selfe thou harder hast ingrossed,
Of him, my selfe, and thee I am forsaken,
A torment thrice three-fold thus to be crossed:
Prison my heart in thy steele bosomes warde,
But then my friends heart let my poore heart bale,
Who ere keepes me, let my heart be his garde,
Thou canst not then vse rigor in my Iaile.

And yet thou wilt, for I being pent in thee,
Perforce am thine and all that is in me.

Verflucht das Herz, das macht, daß sich das meine
nach jener Wunde sehnt, die es mir gibt
und meinem Freund! Quälst mich nicht nur alleine,
nein, auch den Freund zu knechten dir beliebt ?
Mich hast du meinem Selbst schon weggenommen,
nun nimmst mein zweites Selbst du völlig ein.
Um ihn, um mich, um dich bin ich gekommen
–– dreimal dreifaches Kreuz: verlassen sein.
Mein armes Herz magst du in Eisen legen
in deinem Busen, doch den Freund laß los!
Im Kerker laß mein Herz das seine hegen,
da kannst du ihn nicht raffen –– rigoros.

Du kannst, du willst; denn eingesperrt in dich
gehöre dir mit dem, was mein ist, ich.



Aus KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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