William Butler Yeats: William Blake und seine Illustrationen zur Göttlichen Komödie
William Butler Yeats
William Blake und seine Illustrationen
zur Göttlichen Komödie
(1897)
I
William Blake ist der erste moderne Schriftsteller gewesen, der die unauflöslich-eheliche Verbindung aller großen Kunst mit dem Symbol gepredigt hat. Es hat genug Allegoriker gegeben und solche, die die Allegorie gelehrt haben, aber eine symbolhafte Phantasie oder, wie Blake lieber sagte, die »Vision«, ist nicht Allegorie, weil sie »eine Darstellung von dem ist, was tatsächlich und unwandelbar existiert.«
In der Tat ist das Symbol der einzig mögliche Ausdruck einer unsichtbaren Wesenheit, eine transparente Lampe mit einer geistigen Flamme darin, während hingegen die Allegorie eine der vielen möglichen Darstellungen eines körperlichen Gegenstandes oder eines landläufigen Prinzips ist, wie sie der Willkür entspringt und nicht der Einbildungskraft: diese ist eine Offenbarung, jene ein Zeitvertreib. Glücklicherweise gehört es nicht zu meinen Obliegenheiten, die Beziehungen im einzelnen darzulegen, die nach Blakes Ansicht zwischen dem Symbol und dem menschlichen Geiste bestehen, denn wollte ich dies tun, so stieße ich auf eine nicht geringe Anzahl von Lehren, die, wenn auch vielen einfachen Leuten wie etwa in Tierfelle gehüllten Büßern, Frauen, die alles gewöhnliche Wissen von sich getan, oder bei ihren Schafherden auf den Bergen in Träumen dahinlebenden Hirten keineswegs schwer verständlich vorkommen, den Menschen der modernen Kultur dennoch voller Dunkelheit zu sein scheinen; es ist jedoch notwendig, diese Beziehungen zu streifen, denn in ihnen war die Quelle von vielem, was die Praxis und Theorie von Blakes künstlerischem Leben ausgemacht hat. »Sollte ein Mensch«, so schreibt er, »in den Regenbogen Noahs eingehen und sich mit einer der Wundergestalten befreunden, die sich dort aufhalten, ihn unaufhörlich beschwörend, er möge »die sterblichen Dinge verlassen«, »dann erhöbe er sich aus dem Grabe, um dem Herrn in den Lüften zu begegnen.« Mit diesem Regenbogen, jenem Zeichen eines Bündnisses, das Dem gewährt worden, der mit Sem und Japhet gewesen, – durch »Malerei, Dichtkunst und Musik«, jene drei Mächte im Menschen, mit deren Hilfe er mit dem Paradies in Verkehr treten kann und die keine Sündflut von Zeit und Raum hinwegzuschwemmen vermocht, – hat Blake jene Gestaltungen der Schönheit gemeint, wie sie die Augenblicke unserer Inspiration bevölkern, Formen, von den meisten für die hinfälligsten der Eintagswesen gehalten, die er dagegen für ein Volk, älter als die Welt, ansah, für Bürger der Ewigkeit, die im Geist der Künstler und Dichter auftauchen und wiederkehren und alles hervorbringen, was wir greifen und sehen, indem sie verzerrte Bilder von sich auf den »vegetabilischen Spiegel der Natur« werfen, und weil sie Wesen sind, und nichtsdestoweniger Symbole, Blüten gleichsam, hervorgewachsen aus unsichtbaren, unsterblichen Wurzeln, Wegweiser sozusagen, die nach einem göttlichen Labyrinth hinleiten. Wenn, wie sich aus jener Lehre ergab, die »Welt der Phantasie« die »Welt der Ewigkeit« ist, dann ist es von geringerer Bedeutung, Menschen und Natur zu erkennen, als vielmehr die Wesenheiten und Substanzen der Phantasie von jenen einer vergänglicheren Art zu unterscheiden, wie sie die Willkür in nicht inspirierten Augenblicken aus der Erinnerung und aus Grillen hervorbringt. Dies könnte am besten geschehen, indem man seinen Geist gleichsam mit einer Flamme reinigt und die Werke der großen Meister studiert, die groß waren, weil ihnen durch die göttliche Gnade eine Vision von der Welt vor dem Sündenfall gewährt worden, von der die anderen ferngehalten sind mit dem Flammenschwert, das jeden zur Umkehr zwingt; und es könnte dadurch geschehen, daß man vor den Malern die Flucht ergreift, die den »vegetabilischen Spiegel« um seiner selbst willen studieren und nicht, um dort die Schatten der unvergänglichen Wesenheiten und Substanzen zu entdecken; vor ihnen, die sich auf ihren eigenen Geist zurückgezogen, nicht um die Welt vor dem Fall zum Prüfstein zu machen für alles, was sie mit ihren Sinnen gesehen und gehört, sondern um den entblößten Geist mit den »elenden Fetzen« der Erinnerung an ältere Empfindungen zu bedecken. Der Kampf in der ersten Hälfte von Blakes Leben hat sich darum gedreht, sich für eine von diesen beiden Schulen zu entscheiden: daß er stets der florentinischen anzuhangen und der Faszination jener zu entgehen hatte, die ihm den Eindruck machten, als wollten sie einem von den Mühen der Inspiration erschöpften Geiste den Schlaf der Natur anbieten; aber nicht vor seiner Rückkehr aus Felpham nach London im Jahre 1804 war es, daß er endgültig den »Versuchungen und Störungen« entging, die »der Kraft der Phantasie« von »Venezianischen und vlämischen Dämonen« drohten. »Der Geist Tizians« – man muß sich stets vor Augen halten, daß er bloß schlechte Stiche und, wie sein Schüler Palmer sich ausdrückte, »Kunsthändler-Tizians« gesehen hatte – war insbesondere durch die Zweifel wirksam, die er in Blake erregte, ob es möglich sei, ohne Modell zu arbeiten, und dadurch, daß es ihm, als er diesen Zweifel erst einmal erweckt hatte, ein leichtes war, die Visionen immer wieder zu verscheuchen, so daß Blakes Phantasie schwächer wurde und »verdunkelt«, bis schließlich eine Erinnerung von der Natur und den Gemälden verschiedener Schulen von seinem Geiste Besitz ergriffen hatte, an Stelle einer Art der Ausführung, wie sie von der Vision selber hergekommen wäre.
Aber nun schrieb er: »O Glanz und Wonne! Ich habe jenen gespenstischen Feind gänzlich in seine Schranken gewiesen,« – er hatte den bloß vernünftelnden und sinnlichen Anteil seines Geistes überwunden – »dessen Quälerei der Ruin meiner Arbeiten während meiner letzten zwanzig Lebensjahre gewesen ist. Ich spreche mit völligem Vertrauen und völliger Sicherheit von dem Erlebnis, das mir widerfahren ist. Über dem Nebukadnezar sind ›sieben Zeiten um gewesen‹, über mir waren es zwanzig, Gott sei Dank! ich bin nicht ganz so vertiert gewesen wie er ... Plötzlich, an dem Tage, wo ich die Truchseßgalerie besucht hatte,« – es war dies eine Sammlung mit Bildern von Albrecht Dürer und den großen Florentinern – »wurde ich wiederum erleuchtet mit einem Licht, das ich in meiner Jugend genossen und das mir während genau zwanzig Jahren wie durch Türen und Fensterläden verschlossen geblieben war ... Entschuldige meinen Enthusiasmus oder vielmehr meine Tollheit, aber ich bin wirklich trunken von geistigen Gesichten, sooft ich einen Bleistift oder einen Grabstichel zur Hand nehme, so wie es in meiner Jugendzeit der Fall war.«
Dieser Brief mag der Ausdruck einer momentanen Begeisterung gewesen sein, wahrscheinlich aber hatte er in einer von jenen Intuitionen der erwachenden technischen Überlegenheit seinen Ursprung, wie sie jeder schöpferische Geist verspürt und der er zu vertrauen lernt; denn nach dieser Zeit sind alle die größten Werke Blakes vollbracht und die Prinzipien seiner Kunst geformt worden. Abgesehen von einem Wort hier und dort, hatten seine Schriften sich bis dahin nicht mit den Grundsätzen der Kunst beschäftigt, außer in ganz entfernten Beziehungen oder in stillschweigenden Folgerungen; jetzt aber schrieb er viel darüber, nicht in dunklen und symbolischen Versen, sondern in einer emphatischen Prosa oder in immerhin klaren, wenn auch nicht sehr poetischen Reimen. In seinem »Beschreibenden Katalog« in der »Ansprache an das Publikum«, in den »Bemerkungen über Sir Joshua Reynolds«, in dem »Buch des Mondlichts« – von dem bloß einige nicht sehr würdevolle Reime übrig sind – in vereinzelten schönen Stellen im »Buch der Manuskripte« hat er die geistige Kunst erklärt und die Florentiner Maler und ihren Einfluß gepriesen, und alles verflucht, was aus Venedig oder aus Holland gekommen. Die Beschränktheit seiner Ansicht kam von der wahrhaften Intensität seiner Gesichte, er war in viel zu wörtlichem Sinne ein Realist der Phantasie, so wie andere Realisten der Natur sind, und da er meinte, die Gestalten, die man mit den Augen des Geistes sieht, wenn dieser zur Inspiration erhoben ist, seien »ewige Existenzen, Symbole von göttlichen Wesenheiten«, so haßte er jegliche Grazie des Stils, die ihre Linien verdunkeln könnte. Sie in reflektierte Lichter einzuhüllen, war ein solches Verfahren, und in überzärtlicher Weise bei der Weichheit des Haares oder des Fleisches zu verweilen, hieß ihm, sich bei dem aufhalten, was am wenigsten beständig und charakteristisch ist, denn das große goldene Gesetz der Kunst sowohl als des Lebens ist dieses: je bestimmter, schärfer und härter die Kontur ist, desto vollkommener ist das Kunstwerk; und je weniger klar und scharf, desto stärker wird der Eindruck schwächlicher Nachahmung, des Plagiats und der Pfuscherei. Der Inspiration kommt es zu, das Bleibende und Charakteristische in allen Gestalten zu sehen, und wer sie nicht besitzt, der muß notwendigerweise mit geduldigem Sinn die Dinge nachahmen, die er gesehen oder deren er sich erinnert, und so in den Schlaf der Natur zurücksinken, wo alles sanft ist und hinschmelzend. »Große Erfinder haben dies zu allen Zeiten gewußt. Protogenes und Apelles haben sich an ihrer Strichart erkannt. Raffael und Michelangelo, ebenso wie Albrecht Dürer werden daran und nur daran erkannt. Wie sollen wir die Eule vom Vierfüßler, das Pferd vom Ochsen unterscheiden, wenn nicht durch ihre Umrisse? Wie ein Antlitz oder eine Gesichtsbildung von der anderen trennen, wenn nicht durch ihre Konturen und unendlich verschiedenen Ausbiegungen und Bewegungen? Kann man ein Haus bauen oder einen Garten pflanzen ohne endgültige Entschiedenheit und Bestimmtheit? Wodurch unterscheidet sich die Ehrenhaftigkeit von der Schurkerei, wenn nicht durch die harte und sehnige Linie der Geradheit und der Sicherheit in Handlungen und Absichten? Wird diese Linie verlassen, dann wird das Leben selber aufgegeben, alles wird wieder zum Chaos, und die Meßschnur des Allmächtigen muß darüber ausgespannt werden, auf daß Mensch und Vieh existieren können.« Er hat sogar darauf bestanden, daß das »Kolorit nicht davon abhängt, wohin die Farben gesetzt werden, sondern davon, wie Licht und Schatten verteilt sind, und daß alles von der Gestalt des Umrisses abhängt« – und er ist offenbar der Ansicht gewesen, eine Farbe verdanke ihren Glanz oder ihre Tiefe dem Umstande, ob sie sich im Licht oder im Schatten befindet. Unter Umriß versteht Blake hier nicht, wie einer seiner Kommentatoren gemeint hat, jene Begrenzungslinie, die eine Gestalt von ihrem Hintergrunde abhebt, sondern die Linie, die sie von dem umgebenden Raum trennt, und wer dafür nicht einen überlegen starken Sinn hat, wird nicht imstande sein wahre Schönheit darzustellen, sondern nur »jene Schönheit, die der Torheit anhängt«, »eine Schönheit von bloß sinnlicher Weichheit«, »eine betrübliche Zufälligkeit des sterblichen und vergänglichen Lebens«, denn »die Schönheit, wie sie der erhabenen Kunst entspricht, ist die der Körperformen oder jener Bildungen und Züge, fähig, ein Behältnis des Geistes zu sein«, und »jenes Antlitz und die Gliedmaßen sind die schönsten, die sich von der Jugend bis zum Greisenalter am wenigsten verändern.« Blakes Lob der ernsten Kunst würde von unschätzbarem Nutzen gewesen sein, hätte sein Zeitalter ihm, inmitten seines Enthusiasmus für Correggio und die späte Renaissance, für Bartolozzi und Stothard, einen Augenblick lang zugehört. In seinem visionären Realismus und in der Begeisterung für alles, was schließlich vielleicht größte Kunst ist und ein notwendiger Bestandteil jedes Gemäldes, das überhaupt als Kunstwerk gelten soll, hat er trotzdem vergessen, daß er, der seine Gesichte in Licht und Schatten und irisierende oder glühende Farben gekleidet, inmitten seiner Arbeit viele kleinere Visionen von jenen nebensächlichen Wesenheiten gehabt, bis schließlich die Form, zur Hälfte im Schablonenhaften verloren, die Leinwand oder das Papier gezwungen hatte, selber zum Symbol einer nicht unbestimmten, weil unerforschlichen Wesenheit zu werden. Und ist denn nicht Tizians Bild »Bacchus und Ariadne« ein Talisman, ebenso stark mit intellektueller Kraft beladen wie ein juwelenbesetztes Tor jener Stadt, die dem Seher auf Patmos erschienen?
Die unvergleichlichen Linien der Schönheit mit Schattierungen und reflektierten Lichtern verdecken, war ihm gleichbedeutend damit, in die Machtsphäre seiner »Vala« zu fallen, jener trägen Bezauberung der Natur, jener weiblichen Gottheit, die so oft in seinen »Prophetischen Büchern« als »süße Pestilenz« geschrieben worden und deren Kinder Gewebe fertigen, die Seelen der Menschen damit einzufangen. Aber es gab eine noch traurigere Möglichkeit, denn die Natur hat auch »einen männlichen Teil« oder »ein Gespenst«, das tötet, statt bloß zu verbergen, und das immerdar mit der Inspiration in Streit liegt. Formen und Schatten »generalisieren«, Raumformen und Linien »ausgleichen«, um »Gesetzen der Komposition und der Malerei« zu genügen, nicht gegründet auf eine stets nach Abwechslung dürstende und in der Freiheit schwelgende Phantasie, sondern auf ein Vernünfteln über Empfindungen, das immer versucht ist, alles auf eine leblose und sklavische Einförmigkeit zurückzuführen; jenes Verfahren der populären Kunst zu Blakes Zeiten, wovor er glaubte Sir Joshua Reynolds warnen zu müssen, hieß in »Entuthon Benithon« oder in den »See von Udan Adan« fallen oder in irgendeine andere jener Regionen, die er mit so vielen klingenden phantastischen Namen benennt, wo Phantasie und Fleisch gleich tot sind. »Generelle Kenntnis ist entfernte Kenntnis«, schreibt er; »das Wissen besteht aus Einzelheiten, ebenso wie das Glück. Sowohl in der Kunst wie im Leben bedeuten Massen im allgemeinen so wenig die Kunst, als eine Pappendeckelfigur menschlich ist. Jeder Mensch hat Augen, Nase und Mund, das weiß ein jeder Idiot. Aber nur wer auf das genaueste in die Manieren, die Absichten und die Charaktere in allen ihren Verzweigungen eindringt und sie zu unterscheiden weiß, ist der einzig weise und vernünftige Mensch, und auf diese Unterscheidung ist alle Kunst gegründet ... So wie die Dichtkunst keinen einzigen Buchstaben verträgt, der ohne Bedeutung wäre, so duldet die Malerei kein Sandkorn und keinen Grashalm, die bedeutungslos wären, noch viel weniger aber einen sinnlosen Fleck oder Klecks.« Auch gegen ein anderes Verlangen seiner Zeit, wie es gleichfalls der »leiblichen Vernunft« entstammte, die Sucht nach »lauer Mäßigung«, einer leblosen »Gesundheit in Kunst und Leben«, hatte er schon Jahre vorher mit paradoxer Heftigkeit protestiert. »Der Weg des Übermaßes leitet hin zum Palast der Weisheit«, »und nur in den Zeiten der Teuerung haben wir nötig, Maß und Gewicht hervorzuholen.« In seinen Bemerkungen über Sir Joshua Reynolds treibt er diesen Protest so weit, daß er mit Genuß bei dem Gedanken verweilt, Raffael sei nach der »Lebensgeschichte der Maler« an den Folgen von Ausschweifungen gestorben, Ausschweifung sei aber besser als Armut der Gemütserregungen; und dieser Protest ist ihm im Alter ebenso wichtig erschienen wie in der Jugendzeit. Auch seine Schüler hat er in diesem Sinne beeinflußt, und man findet denselben Gedanken in rein künstlerischer Gestalt in einem Tagebuch Samuel Palmers aus dem Jahre 1824: »Übermaß ist der wesentlich belebende Geist, der Lebensfunke, das Salböl der höchsten Kunst. Es gibt viel Durchschnittliches in der Mitte – keinerlei, nicht ein Jota, nicht einen Schatten von einem Jota am Ende der hohen Kunst. Ein Gemälde, das sich durch besondere Brillianz auszeichnen soll, kann nicht leuchtkräftig genug sein; nur einzelne Töne können zu lebhaft sein .... Wir dürfen niemals mit dem Durchschnitt beginnen, stets sollen wir an ein Übermaß denken und den Durchschnitt nur gebrauchen, um die Überfülle noch reichlich übertriebener zu machen.«
Auf diesen drei grundlegenden Geboten: eine bestimmte Linie zu suchen, eine generelle Behandlung zu vermeiden und stets nach Überfluß und Übermaß zu trachten, hat Blake mit heftigem Zorn bestanden und immer wieder die Gegner von den Reichen und Müßiggängern bezahlte »Dämonen« und »Bösewichter« genannt, insgeheim aber, wie Palmer uns mitteilt, »Quellen des Genusses in dem ganzen Gebiet der Kunst« gefunden, immer bereit, Hervorragendes in was immer für einer Schule anzuerkennen, denn seinen Freunden gegenüber hatte er doch zweifellos die Emphase der Übertreibung nicht nötig. Es gibt eine schöne Stelle in »Jerusalem«, wo der bloß sterbliche Anteil des Geistes, »das Gespenst«, »Pyramiden des Stolzes« schafft und »Säulen, um von der tiefsten Hölle aus das Gewölbe des Himmels zu erreichen«, und versucht, die Weisheit »in den Räumen zwischen den Gestirnen« zu entdecken und nicht »in den Sternen selbst«, wo sie sich befindet; aber der unsterbliche Anteil macht all diese Arbeit zunichte und verwandelt die Pyramiden in »Sandkörner«, die Säulen in »Staub auf den Flügeln von Fliegen« und macht »aus dem Sternenhimmel eine Motte von Gold und Silber, die sich über seinen gierigen Griff lustig macht.« In dem Augenblick, da der Wunsch des Menschen, von geistiger Arbeit auszuruhen, und das Verlangen, seine Kunst mit bloßen Empfindungen und Erinnerungen zu erfüllen, eben zu triumphieren schien, kann es geschehen, daß irgendein Wunder sie in eine neue Inspiration umwandelt; und hier und da vernimmt man zwischen den Bildern, die aus Gefühl und Erinnerung geboren sind, das Gemurmel eines neuen Rituals, den Schimmer neuer Talismane und Symbole.
Erst während und nach Niederschrift dieser Ansichten hat Blake die verschiedenen Bilderserien geschaffen, die ihn hauptsächlich berühmt gemacht haben. Die Illustrationen zu Youngs »Nachtgedanken« waren bereits fertiggestellt, deren große ausgereckte Gestalten, die sogar in den leuchtenden Farben des Originalaquarells ein wenig ermüdet hatten, nun aber im bloßen Schwarz-Weiß unerträglich wirkten; – außerdem beinahe alle Illustrationen zu den »Prophetischen Büchern«, die, von elementarer Energie, doch eher schnell hingeworfene Skizzen als durchgearbeitete Kompositionen waren, hingezeichnet, als irgendein gespenstischer Zug über ihn hinweggezogen; in ihren schattenhaften Abenteuern findet man nicht allein, wie Dr. Garth Wilkinson meint, »die Hölle der alten Völker, die Anakim, Nephilim und Rephaim ... gigantische Versteinerungen, aus denen die Gluten der Lust und der heftigen selbstsüchtigen Leidenschaften seit langem alles vertrieben haben, was tierisch und lebendig gewesen«, man erkennt nicht allein die Schatten der Mächte, die das Licht von ihm abgesperrt wie »mit einer Tür und Fensterläden«, sondern vielmehr die Schatten jener, die mit ihnen im Kampf lagen. Um diese Zeit aber hat er die vielen Zeichnungen zu Milton entworfen, von denen ich bloß die zum »Wiedergewonnenen Paradies« kenne, dann die Reproduktionen der zu »Comus« (ich glaube, bei Quaritch erschienen) und die drei oder vier zum »Verlorenen Paradies«, von Bell Scott gestochen, – ferner eine Serie Zeichnungen, die ein bedeutender Kenner als sein größtes Werk ansieht, jene Illustrationen zum »Grab« von Blair, deren Ernst und Leidenschaft gegen die mechanische Weichlichkeit und triviale Glätte des Schiavonettischen Stiches anzukämpfen haben; dann die Illustrationen zu Thorntons »Virgil«, und ihr Einfluß spricht deutlich aus dem Werk des kleinen Kreises von Landschaftsmalern, die sich in seinen alten Tagen um ihn versammelt, froh, ihn Meister nennen zu dürfen. Jener Genosse des Kreises, den ich schon des öfteren zitiert, hat allein diese Illustrationen zur ersten Ekloge in würdiger Weise gepriesen: »Es gibt da überall solch einen nebelhaften und traumverlorenen Schimmer, wie er die innerste Seele durchdringt und erleuchtet und ein völliges und rückhaltloses Entzücken gewährt, ganz und gar ungleich dem flitterhaften Tageslicht dieser Welt. Diese Zeichnungen sind, gleich allen Werken dieses wundervollen Künstlers, wie das Zurseiteziehen des fleischlichen Vorhanges und ein Lichtstrahl von jenem den Kindern Gottes gewährten Frieden, den alle in Betrachtung versenkten erhabenen Heiligen und Weisen genossen haben.«
Nun schuf er die große Serie, die Krone seines Lebenswerkes: die Illustrationen zum Buch Hiob und zur »Göttlichen Komödie«. Bisher hatte er sich gegen die mechanischen Punkte und Rhomben, »Flecken und Kleckse« der Woollett und Strange aufgelehnt, obwohl er selber von Punkten und Rhomben, Flecken und Klecksen, wenn auch stets mit Unterordnung unter eine feste und bestimmte Kontur, Gebrauch gemacht hatte. Aber bei Mark Anton, von dem ihm Linnell einige Stücke gezeigt hatte, fand er einen Stil voll der feinsten Züge, wo alles lebendig und kraftvoll, stark und fein war. Und in seinen beinahe letzten Worten, in einem Brief, den er auf dem Totenbett geschrieben, werden die »Tupfen und Vierecke« bekämpft mit einem Symbolismus, fremdartiger sogar als sonst, und es wird die ausdrucksvolle Kontur gepriesen. »Ich weiß wohl, die Mehrzahl der Engländer liebt das Unbestimmte ... Eine Linie ist eine Linie in ihren allerkleinsten Teilen, sei sie nun gerade oder krumm, sie kann selbst durch nichts anderes ausgemessen werden ... aber seit der Französischen Revolution – seit die Herrschaft der Vernunft begonnen – sind alle Engländer einer durch den anderen meßbar; sicherlich ein recht glücklicher Zustand der Übereinstimmung, mit dem ich aber nicht übereinstimme.« Die Dante-Serie hat die letzten Jahre seines Lebens ausgefüllt; sogar wenn er zu schwach war, das Bett zu verlassen, arbeitete er weiter daran, den Arm aufgestützt und die große Zeichenmappe vor sich. Er entwarf gegen hundert Skizzen, die er aber alle unvollendet ließ, einige sogar zum größten Teil, und er hat sieben Platten zur Hälfte gestochen, darunter »Francesca und Paolo« die am meisten ausgeführte. Sie steht, wie mir scheint, keineswegs hinter irgendeiner von den besten der Hiob-Serie zurück und zeigt in ihrer Vollendung jene Meisterschaft, die Blake über die elementaren Dinge errungen, den Wirbel, in den die verlorenen Geister gehetzt worden, »eine wässerige Flamme«, wie er die verhexten Gewässer mit den sich zusammendrängenden Gestalten genannt haben dürfte. In den Bildern zum »Purgatorio« begegnet man einer heiteren Schönheit und erblickt Dante und Virgil, wie sie unter einem bewölkten Himmel über wilde Felsen emporsteigen; und über ihren Schlaf auf den glatten Stufen, die zum Gipfel führen, ist eine ruhige, marmorne, sanfte und gestirnhafte Entzückung ausgegossen.
Alle Gestalten in dieser großen Serie sind bis zu einem gewissen Grade mächtig und eindrucksvoll, nicht darum weil, wie von Blakes Lebenswerk gewöhnlich gesagt wird, seine flammende Phantasie durch eine nebelhafte und unausgesprochene Technik hindurchbricht, sondern weil diese Gestalten alle von einer Vollendung zeugen, wie sie nur in einem Kunstwerk möglich ist von einer völligen Beherrschung des künstlerischen Ausdrucks. Die Technik Blakes war unvollkommen, unvollständig, wie die beinahe aller Künstler, die darnach gestrebt, Feuer von entlegenen Gipfeln herabzuholen; wo aber seine Phantasie vollkommen und lückenlos ist, da ist auch seine Technik von gleicher Vollendung, von gleicher Fülle. Mehr als irgend jemand vor ihm ist er bestrebt gewesen, subtilste Entrücktheit und vollkommenes Anschauen zu verkörpern, und seine Phantasie und seine Technik sind mehr als die irgendeines anderen Meisters unter einer großen Bürde niedergebrochen. »Ich bin«, hat Blake einmal geschrieben, »so wie andere gerade gleich stark in der Erfindung wie in der Ausführung.« »Niemand kann originelle Erfindung verbessern wollen, noch ist diese möglich ohne die entsprechende Ausführung, die entweder von Gott oder von Menschen organisiert, entworfen und gegliedert wäre .... Ich habe Leute sagen hören: ›Gebt mir die Ideen, so ist es mir gleich, mit welchen Worten ihr sie aussprecht‹, und wieder andere, die sagten: ›Gebt mir die Entwürfe, es ist mir um die Ausführung nicht bange.‹. ...« »Ideen können nur in den ihnen durchaus genau angemessenen Worten ausgesprochen werden, und eine Zeichnung ist nichts ohne die genau entsprechende Durchführung.« Wir, die wir in einer Zeit leben, wo Technik und Phantasie fortwährend vollkommen und formvollendet sind, weil sie nicht mehr bestrebt sind, das Feuer vom Himmel herabzuholen, wir vergessen, wie unvollkommen und mangelhaft sie sogar bei den größten Meistern, bei Botticelli, Orcagna und Giotto, gewesen ist.
Die Mängel in den Werken erlauchter Geister sind wie die phantastischen Verirrungen in ihrem Leben; hierher gehören z. B. Coleridges Wolke von Opium, oder Villiers De L'Isle Adams Kandidatur für den Thron von Griechenland, oder Blakes Zorn gegen Ursachen und Zwecke, die er nur halb begriff, oder jene flackernde Tollheit, die ein östliches Sprichwort erhabenen Träumern zugesteht; denn wer zur Hälfte in der Ewigkeit lebt, nimmt einen Riß im Gefüge des Geistes, eine Kreuzigung seines geistigen Leibes auf sich.
II. Blakes Ansichten über Dante
Als Blake über die große Zeichenmappe gebeugt saß, in die er seine Entwürfe zur »Göttlichen Komödie« zeichnete, war er sich darüber ganz im klaren, daß er und Dante Zustände des Geistes repräsentierten, die sich in ewiger Feindschaft gegenüberstehen. Dante war, als ein großer Dichter, vom Heiligen Geist erleuchtet, aber seine Inspiration war vermischt mit einer gewissen, seiner Zeit entstammenden Philosophie, die Blake für vergänglich und den Feind von allem Unsterblichen hielt, die seit Urzeiten auf hohen Thronen gesessen und die Welt regiert hatte. Es war die Philosophie von Soldaten, Weltleuten und Priestern, die sich um Regierungsgeschäfte kümmerten, und von allen, die zufolge ihrer Anteilnahme am tätigen Leben sich haben überreden lassen zu richten und zu strafen, und, wie er zugab, zum Teil die Philosophie Christi, der, da er in die Welt hinabgestiegen, diese auf sich nehmen mußte und, geboren von Maria – in Blakes symbolischer Sprache ein Sinnbild des Gesetzes, – seiner Mutter nachgeraten und daher die Geldwechseler aus dem Tempel austreiben mußte. Dieser entgegengesetzt war eine andere Philosophie, nicht von Menschen der Tat gemacht, Handlangern von Raum und Zeit, sondern von Christus, umkleidet mit der göttlichen Wesenheit, und von Künstlern und Dichtern, die durch die Natur ihres Handwerks belehrt worden, mit allem Lebendigen zu fühlen und sich, je reiner und wohlriechender ihre Lampe brennt, um so weiter von aller Beschränkung zu entfernen, um schließlich dahin zu gelangen, daß sie Gut und Böse in einer entrückten Vision von Glück und Unglück vergessen. Die eine Philosophie war weltlich und für die Einrichtungen des Leibes und des gefallenen Willens bestimmt, und solange sie ihre »Klugheitsregel« nicht für »göttliche Gesetze« ausgab, war sie eine Notwendigkeit, weil es »in dieser Welt keine Freiheit geben kann ohne das, was man sittliche Tugend nennt«; die andere war göttlich, für den Frieden der Phantasie und des ungefallenen Willens bestimmt, und selbst, wenn man ihr mit einer zu wörtlich genommenen Verehrung anhing, konnte sie die Menschen unmöglich gegen ein höheres Prinzip zu sündigen verleiten, als gegen die Vernunft. Blake nannte die Anhänger der ersteren Philosophie Heiden, gleichgültig wie sie selbst sich nennen mochten, weil die Heiden, wie er das Wort verstand, mehr an das äußere Leben glaubten und an das, was er »Krieg, Fürstlichkeit und Sieg« nannte, als an ein verborgenes Leben des Geistes; und die Anhänger jener anderen Philosophie nannte er Christen, weil nur jene, deren Gefühlsleben durch Kunst und Dichtung erweitert und bereichert worden, dem Gebote Christi von der unbegrenzten Vergebung nahezukommen vermöchten. Blake hatte jene »Heiden«-Philosophie schon bei Swedenborg, bei Milton, Wordsworth, bei Sir Joshua Reynolds und vielen anderen entdeckt; sie hatte ihn unaufhörlich zu so zornerfüllten Paradoxien aufgeregt, daß ihre Vernichtung die hervorstechende Leidenschaft seines Lebens geworden ist, und alles, was er tat und dachte, mit der Erregung einer letzten Proklamation erfüllte. Ihre Herrschaft mußte gebrochen werden, sobald das Leben anfing ein wenig von der rohen Leidenschaft und dem naiven Tumult zu verlieren; Blake aber war der erste, der ihre Nachfolge verkündet, und wie es notwendigerweise bei allen Revolutionären der Fall ist, die »das Gesetz« als ihre »Mutter« ansehen, tat er es mit der festen Überzeugung, alles, was seine Gegner für weiß hielten, sei schwarz, und weiß, was sie für schwarz hielten, mit der inneren Gewißheit, alle Menschen, die sich mit Regierungsgeschäften abgeben, seien Dunkelmänner und »etwas vom menschlichen Leben Verschiedenes«. Man wird an Shelley gemahnt, als den nächsten, der diesen Kampfruf, wenn auch mit geringeren philosophischen Fähigkeiten wieder aufgenommen, noch mehr aber an Nietzsche, dessen Gedanken sich immer, wenn auch mit noch viel heftigerer Brandung, in dem Strombett bewegten, das von Blakes Ideen war gegraben worden.
Das Reich, das zu Ende ging, war seiner Ansicht nach das des Baumes der Erkenntnis; das Reich aber, das da kommen sollte, das des Lebensbaumes. Menschen, die vom Baume der Erkenntnis gegessen, zerstörten ihre Lebenstage im Zorn gegeneinander, der eine den anderen in großen Netzen gefangen haltend; diejenigen aber, so ihre Nahrung unter den grünen Blättern des Lebensbaumes gesucht, verurteilten niemand, es sei denn, die Phantasielosen und die Eitlen, und jene, die vergessen, daß sogar Liebe, Tod und Alter eine Kunst der Phantasie sind.
In diesen, einander entgegengesetzten Reichen ist die Erklärung zu finden für die verdrossenen Bemerkungen am Rand der großen Skizzenbücher und andere noch ärgerlichere, von denen Crabb Robinson in seinem Tagebuch berichtet. Die Worte über die Vergebung der Sünden bedürfen weiter keiner Erklärung, sie stehen im Gegensatz zur Haltung des so ausgezeichneten Kommentators Hettinger, der, befangen in einem Netz von Theologie, obgleich Dante in der Erzählung von der Francesca vor Mitleid ohnmächtig hinfällt, »mit ihr nur bis zu einem gewissen Grade sympathisiert«. »Es scheint,« schreibt Blake, »als wollte Dante annehmen, Gott sei eine Wesenheit, höher als der Vater des Jesus, denn wenn Er über Gute und Böse regnen läßt und sein Sohn über Gerechte und Ungerechte, dann kann Er nimmermehr Dantes Hölle gemacht haben, noch die Hölle der Bibel, wie unsere Priester sie verstehen. Sie muß vom Bösen selber gezimmert worden sein, und so fasse ich es auch auf.« »Was es auch immer sei, das der Rache angehört, und was immer gegen die Vergebung der Sünden ist, das kommt nicht vom Vater her, sondern vom Satan, dem Ankläger, dem Vater der Hölle.« Ferner in einem Schreiben an Crabb Robinson: »Dante sieht Teufel, wo ich keine sehe. Ich sehe nur Gutes.« »Ich habe noch niemals einen sehr bösen Menschen gesehen, der nicht irgend etwas sehr Gutes an sich gehabt hätte.« Diese Vergebung war nicht die des Theologen, der ein Gebot von weitem her erhalten, sondern die des Dichters und Künstlers, der in einer mystischen Vision belehrt worden zu sein glaubt, »daß die Phantasie der Mensch selber sei«, und er habe in der Ausübung seiner Kunst entdeckt, daß es ohne eine vollkommene Liebe keine vollkommene Phantasie und darum auch kein vollkommenes Leben geben könne. Ein anderes Mal nennt er Dante »einen Atheisten, einen gleich Milton bloß um diese Welt besorgten Politiker, und er sei erst im hohen Alter zu Gott zurückgekehrt, den er in seiner Kindheit besessen.« Wie er schon erklärt hat, »ist alles Atheismus, was an die Realität der natürlichen und geistigen Welt glaubt.« Dante, meinte er, nahm ihre Realität an und machte zur Bedingung für den jenseitigen Zustand des Menschen, daß er ihren Gesetzen gehorche; Swedenborg stellt er hinsichtlich seines Unglaubens neben Dante, weil er die Natur als den »äußersten von den Himmeln« bezeichnet, gleichsam als die unterste Sprosse auf der Jakobsleiter, anstatt daß er sie ein Netz genannt hätte, vom Satan gewoben, um unsere herumschweifenden Freuden in Verwirrung zu bringen und unsere Herzen in Gefangenschaft zu setzen.
Es gibt, verstreut über die jetzt voneinander getrennten Blätter des Skizzenbuches, gewisse sonderbare unausgeführte Diagramme, und unter diesen eines, das, wenn alle die konzentrischen Kreisringe und Namen ausgefüllt wären, eine systematische Darstellung von Blakes Animositäten in allen ihren verschiedenen Graden bilden würde. Es stellt das Paradies dar, und in der Mitte, wo Dante sich aus dem irdischen Paradies erhebt, ist der Name »Homer« zu lesen, und im nächsten Kreise »Swedenborg«; am Rande aber finden sich die Worte: »Alles in Dantes Paradies zeigt, daß er die Erde zum Fundament des Ganzen gemacht hat und zu ihrer Göttin die Natur, das Gedächtnis«, die Erinnerung an Empfindungen, »nicht den Heiligen Geist« ... Rings um das Fegefeuer befindet sich das Paradies, und um dieses herum der leere Raum. Homer, also die Dichtkunst der Heiden, ist der Mittelpunkt von allem. Die Behauptung, um das Paradies herum befinde sich der leere Raum, ist ein Beweis für die Hartnäckigkeit von Blakes Ansichten und für die sonderbar wörtliche Auffassung seiner eigenen Symbole, denn sie stellt nur eine andere Form jener Anklagen gegen Milton dar, wie er sie Jahre vorher in der »Hochzeit von Himmel und Hölle« erhoben hatte: »Bei Milton bedeutet der Vater die Bestimmung, der Sohn ein Verhältnis der fünf Sinne«, und dies ist Blakes Definition der Vernunft, die der Feind der Phantasie ist und »das Vakuum des Heiligen Geistes«. Dante hat, wie manche Mystiker des Mittelalters auch, die höchste Ordnung der geschaffenen Wesen durch die Fixsterne symbolisiert, und Gott durch die Finsternis jenseits von ihnen, durch das »Primum Mobile«. Blake, in seine durchaus andersartigen Visionen versunken, in denen Gott immer eine menschliche Gestalt annahm, war der Meinung, es sei Götzendienst, wenn man Gott in der Gestalt eines der äußeren Welt entnommenen Symbols denkt, daß jedoch, sich ihn als eine unbevölkerte Unendlichkeit vorstellen, hieß, ihn unter jenem einen Symbol begreifen, das von seinem Wesen am weitesten entfernt ist, weil es eine Schöpfung der zerstörenden, alle die kleinen Besonderheiten des Lebens »hinweggeneralisierenden« Vernunft ist. Er meinte, anstatt Gott in den Wüsteneien von Raum und Zeit zu suchen, in den äußeren Unendlichkeiten sowie in allem, was er die »abstrakte Leere« genannt, und in dem Maße, als er alle Erinnerung von Raum und Zeit, auf Empfindungen gegründete Vernunft und die für die Ordnung in dieser Welt bestimmte Sittlichkeit hinter sich ließ, je mehr er in Emotionen aufging und in solchen vor allem, die den Antrieben körperlichen Verlangens und den Hemmungen einer leiblichen Vernunft entwachsen waren, werde es ihm möglich sein, sich, wie er so schön sagt, desto mehr dem »atmenden Garten von Eden« und dem unverhüllten Angesichte Gottes zu nähern.
Kein würdiges Symbol Gottes gibt es, als die innere Welt, die wahrhafte Menschheit, deren verschiedenartigen Aspekten er vielerlei Namen gab: »Jerusalem«, »Freiheit«, »Eden«, »Das göttliche Anschauen«, »Der Leib Gottes«, »Die menschliche Gottesgestalt«, »Die göttlichen Gliedmaßen«, und deren intimster Ausdruck Kunst und Poesie sind.
Unter diesem Symbole hat Blake Gott immer wieder besungen:
»Denn Gnade, Mitleid, Fried und Lieb
Ist Gott der Vater uns,
Und Gnade, Mitleid, Fried und Lieb
Der Mensch, sein Kind, sein Schutz.
Denn Gnade hat ein menschlich Herz;
Mitleid ein menschlich Aug
Und Lieb des Menschen Gottgestalt
Und Frieden Menschenkleid.
Und jeder Mensch an jedem Ort,
Der betet voller Leid,
Fleht zu dem Menschenantlitz dort
Lieb, Gnade, Frieden, Freud.«
Jedesmal, wenn Blake diesem Symbol einen Ort im Räume zugewiesen, hat er es in die Sonne, als die Quelle von Licht und Leben versetzt; und in die Finsternis jenseits der Sterne, wo Licht und Leben dahinsterben, hat er Og und Anak gesetzt, und die Riesen, die von Anbeginn gewesen, und den eisernen Thron des Satan.
Wenn ich so, vermöge einer Beleuchtung durch Blakes paradoxe Weisheit, Blake und Dante einander gegenüberstelle, als hätten nicht auch auf Dantes Seite des Wagebalkens gewichtige Wahrheiten gehangen, versuche ich bloß, lieber eine weniger verstandene Philosophie vorzutragen, als eine, die bereits in die Gedanken- und Gebrauchswelt des Christentums übergegangen war. Jede Philosophie verdankt die Hälfte ihrer Wahrheit der Zeit und der Generation, und für uns ist die Hälfte von Dantes Philosophie weniger lebendig als seine Dichtung, während die Wahrheit, die Blake verkündigt, gesungen und gemalt hat, die Wurzel des kultivierten Lebens ist, der gebrechlichen, vollkommenen Blüte jener Welt, geboren in Zeiten der Muße und des Friedens, die nie länger dauert als eine kurze Jahreszeit, die Wurzel von jenem Leben, das die Phäaken gelebt, die dem Odysseus sagten, sie hätten ihr Herz an nichts anderes gehängt als an »Tanz, Wechsel der Gewandung, Liebe und Schlaf«, bis Poseidon den Berg über sie getürmt; des Lebens aller derer, die vom Baum des Lebens gegessen und darum mehr als in den barbarischen Zeiten, wo niemand Zeit hatte zu leben, die geringen Einzelheiten des Lebens geliebt, jene kleinen Bruchstücke von Raum und Zeit, die ganz in schöner Erregung untergegangen waren, weil sie so gering sind, daß sie Raum und Zeit kaum mehr angehören.
»Jeder Raum, kleiner als ein Blutkügelchen,« schrieb er, »führt in die Ewigkeit, von der diese vegetabilische Erde nur ein Schatten ist.« »Jeder Zeitabschnitt, kürzer als die Dauer eines Pulsschlages«, ist in seiner Bedeutung und in seinem Wert sechstausend Jahren gleich, weil innerhalb dieser Zeit, innerhalb eines solchen kurzen Zeitabschnittes, in einem einzigen Augenblick, in der Zeit von einem Pulsschlag zum andern das Werk des Dichters vollbracht wird und alle die großen Ereignisse der Zeit anheben und empfangen werden. Dante hat allerdings im »Purgatorio« gelehrt, wie Sünde und Tugend in gleicherweise von der Liebe herstammen und daß die Liebe von Gott kommt, aber diese Liebe wollte er durch ein verwickeltes ewiges Gesetz einschränken, durch eine komplizierte äußere Kirche. Blake hingegen hat zur Verachtung des ganzen Schauspiels der äußerlichen Dinge, als einer im Augenblicke vergänglichen Vision, aufgerufen, und er predigt das kultivierte Leben, die innere Kirche, die keine Regel kennt, sondern nur Schönheit, Verklärung und Arbeit. »Ich kenne kein anderes Christentum und kein anderes Evangelium, als 'die Freiheit des Körpers und des Geistes, um die göttlichen Künste' der Phantasie auszuüben, die wahrhaftige und ewige Welt, von der dieses vegetabilische Universum nur ein schwacher Schatten ist und in der wir in unseren ewigen oder Phantasieleibern leben werden, wenn jene vegetabilischen sterblichen Körper nicht mehr sein werden. Die Apostel haben von keinem andern Evangelium gewußt. Was sind alle ihre geistigen Gaben? Was ist der göttliche Geist? Ist denn der Heilige Geist irgendeine andere als eine intellektuelle Quelle? Was bedeuten im Evangelium Ernte und Erntearbeit? Was ist das Talent, das zu verbergen ein Fluch ist? Was sind jene Schätze des Himmels, die wir für uns sammeln sollen? Sind sie vielleicht etwas anderes als geistige Studien und geistige Ausübung? Was alle die Gaben des Evangeliums, wenn nicht durchaus geistige Gaben? Muß nicht Gott im Geiste und in der Wahrheit verehrt werden? Und sind die Gaben des Geistes den Menschen nicht alles? O ihr Frommen! Jeder von euch muß verdammt werden, der vorgibt, er verachte Kunst und Wissenschaft. Ich rufe euch an in Jesu Namen! Was ist das Leben des Menschen, wenn nicht Kunst und Wissenschaft? Ist es etwa Essen und Trinken? Ist nicht der Leib mehr als die Gewandung? Und was ist Sterblichkeit anderes als die Welt, die dem vergänglichen Leib angehört? Was ist Unsterblichkeit, wenn sie nicht das ist, was sich auf das unvergängliche Geistige bezieht? Was sind die Schmerzen der Hölle anderes als Unwissenheit, Eitelkeit, körperliche Wollust und die Zerstörung der geistigen Dinge? Beantworte all dies selber und vertreibe alle aus deiner Umgebung, die da vorgeben, sie verachten die Arbeiten von Kunst und Wissenschaft, die einzig und allein die Arbeiten des Evangeliums sind. Ist dies alles nicht klar und offenkundig? Kann man denn überhaupt denken, ohne dabei mit dem Herzen auszusprechen: in der Weisheit arbeiten sei gleichbedeutend mit dem Aufbauen von Jerusalem, und das Wissen verachten, heiße Jerusalem und seine Erbauer verachten? Und erinnere dich: wer eine geistige Gabe bei einem andern verachtet oder verhöhnt und sie Hochmut nennt und Selbstsucht und Sünde, der verhöhnt Jesus, den Spender aller Geistesgaben, wie sie dem die Unwissenheit liebenden Heuchler immer als Sünde erschienen sind. Was aber Sünde ist in den Augen der Grausamen, ist nicht Sünde in den Augen unseres gütigen Gottes. Möge jeder Christ, soviel an ihm gelegen ist, sich aufrichtig und offen vor aller Welt an irgendeiner geistigen Angelegenheit zum Aufbau von Jerusalem beteiligen.«
Ich habe diese Stelle ganz zitiert, weil sie, obwohl der Schlüssel zu Blakes Gedankenwelt, doch wenig bekannt und, wie beinahe alle seine tiefen Gedanken, in jenen geheimnisvollen »Prophetischen Büchern« vergraben ist. Obwohl in mancher anderen Hinsicht dunkel, sind jene Gedanken hinsichtlich dieses Punktes immer klar und deutlich und kehren zu ihm immer wieder zurück. »Es ist Mir gleichgültig, ob ein Mensch gut ist oder böse«, so lauten die Worte, die er Gott in den Mund legt, »es kommt Mir nur darauf an, ob er weise ist oder töricht. Geh hin, leg ab die Heiligkeit und erwirb Verstand.« Dieses Leben der Kultur, das uns als ein so künstliches Bild erscheint, ist, diesen Ideen zufolge, in Wirklichkeit die mühsame Wiederentdeckung des goldenen Zeitalters, der ursprünglichen Einfalt jener primitiven Welt, in der Christus gelehrt und gelebt, und ihre Gesetzlosigkeit ist die jenes, der, »da er ganz Tugend ist, aus Antrieben gehandelt hat und nicht nach Regeln« und der
»Seine siebzig Jünger sandt' zum Streit
Gegen Glauben und Obrigkeit.«
Der historische Christus ist tatsächlich nicht mehr gewesen, als das höchste Symbol künstlerischer Phantasie, in der wir leben sollten, nachdem jede Leidenschaft durch Kunst und Poesie zu vollkommener Schönheit verklärt worden ist, wenn der Leib zum letzten Male dahingegangen; aber bis dahin muß der Mensch arbeiten, durch vielerlei Leben und manchen Tod hindurch. »Die Menschen werden in den Himmel eingelassen, nicht weil sie ihre Leidenschaft gezügelt und beherrscht, sondern weil sie ihren Verstand kultiviert haben. Die Schätze des Himmels sind nicht die Verneinung der Leidenschaft, sondern geistige Realitäten, von denen die Leidenschaften ungezügelt in ihrer ewigen Glorie ausstrahlen. Der Tor soll nicht in den Himmel eingehen, möge er auch noch so heilig sein. Heiligkeit ist nicht der Preis für den Eintritt ins Himmelreich. Ausgestoßen werden jene, die ohne eigene Leidenschaften, weil ohne Intellekt, ihr Leben damit verbracht haben, das der anderen durch die mannigfachen Kniffe der Armut und der Grausamkeit aller Art zu zügeln und zu beherrschen. Die moderne Kirche kreuzigt Christus mit dem Haupt nach unten. Wehe! Wehe! Wehe über euch, ihr Heuchler!« Nach einer gewissen Zeit muß der Mensch »zurück in das finstere Tal, daher er gekommen, und muß sein Werk aufs neue beginnen«; aber bevor er zurückkehrt, lebt er in der Freiheit der Phantasie, in dem Frieden des »göttlichen Ebenbildes«, des »Anschauens Gottes«, in jener Stille, die jenseits des Verstandes liegt, in dem Frieden der Kunst. »Ich bin den Toren des Todes sehr nahe gewesen«, schreibt Blake in seinem letzten Brief, »und bin sehr schwach und als alter Mann zurückgekehrt, schwach und wankend, nicht aber schwach an Geist und Leben, nicht was den wirklichen Menschen oder die Phantasie betrifft, die in Ewigkeit lebt. Hierin werde ich immer stärker und stärker, je mehr dieser törichte Leib verfällt ... Flaxman ist dahingegangen, und wir alle müssen folgen, ein jeder muß hin zu seiner Behausung in der Ewigkeit und muß die Täuschungen der Göttin Natur und ihrer Gesetze hinter sich lassen, um einzugehen in die Freiheit von allen Gesetzen der Zahlen«, aus der Vielfältigkeit der Natur »in den Geist, in dem ein jeder König und Priester in seinem eigenen Hause ist.« Dieses Wort von König und Priester ist eine Reminiszenz an die Krone und die Mitra, die Dante aufs Haupt gedrückt worden, ehe er das Paradies betrat. Unsere Vorstellungen sind nichts als Bruchstücke von der allgemeinen Vorstellung, dem allgemeinen Leib Gottes, und in dem Maß, als wir sie vermöge der mitfühlenden Phantasie erweitern, als wir die Sorgen und Freuden der Welt mit Hilfe der Schönheit und des Friedens der Kunst umwandeln, streifen wir den beschränkten sterblichen Menschen mehr und mehr von uns ab und ziehen den unbegrenzten, den »unsterblichen Menschen« an uns. »Wenn das Samenkorn sehnsuchtsvoll der Blüte und der Frucht entgegenreift, dann blickt seine kleine Seele bang in den blauen Himmel, ob nicht draußen hungrige Winde mit ihrer unsichtbaren Schlachtordnung sich nahen; so blickt der Mensch auf Baum, Strauch, Fisch, Vogel und Vieh, und trägt die Bruchstücke seines unsterblichen Leibes zusammen zu den elementaren Formen von allem, was da wächst.... Sorgenvoll seufzt er, voller Unruhe arbeitet er in seiner Welt, mit den Vögeln sorgt er sich über dem Abgrund, mit dem Wolf heult er über dem Schlachtopfer, er brüllt im Vieh und heult im Sturm.« Die bloße Liebe zum Lebendigen allein ist nicht hinreichend, denn wir müssen lernen, das »Vergiftete« von dem Ewigen, den satanischen Anteil von dem Göttlichen zu trennen, und dies kann nur geschehen durch ein fortwährendes Ringen nach Schönheit, jener einzigen Maske, durch die hindurch die unverschleierten Augen der Ewigkeit erblickt werden können. Darum müssen wir in allen Dingen Künstler sein und begreifen, daß Liebe, Alter und Tod unter den Künsten obenan stehen. In diesem Sinne besteht Blake darauf, »die Apostel Christi seien Künstler gewesen«, »das Christentum sei eine Kunst« und »Kunst die ganze Aufgabe des Menschen«. Dante hat das Gesetz vergöttlicht, dessen Gegenpol, die Leidenschaft, für die wesentlichste aller Sünden erklärt und darum die Regionen, wo sie bestraft wird, zu den größten gemacht. Blake, der die Freiheit der Phantasie vergöttlicht hat, hält die »leibliche Vernunft« für das Fluchwürdigste von allem, weil sie bewirkt, daß die Phantasie sich auflehnt und sich von der Oberhoheit des Schönen hinweg unter die Herrschaft der Körpergesetze begibt, und dies ist die »Ägyptische Knechtschaft«. Wahre Kunst ist ausdrucksvoll und symbolisch, und sie macht aus jeder Gestalt, aus jedem Klang, jeder Farbe und jeder Bewegung eine Signatur von einer nicht analysierbaren Phantasiewesenheit. Falsche Kunst ist nicht ausdrucksvoll, sondern nachahmend, sie kommt nicht aus der Erfahrung, sondern aus der Beobachtung, und sie ist die Mutter von allem Übel, weil sie uns überredet, wir sollten unsern Leib am Leben erhalten, gleichgültig durch welchen Raub oder Betrug es auch immer geschehen möge. Wahrhafte Kunst ist die Flamme des letzten Gerichts, das für jeden in dem Augenblick anhebt, wo er zum erstenmal von der Schönheit ergriffen wird, und sie trachtet, alle Dinge zu verzehren, bis sie »unendlich« und »heilig« geworden sind.
III. Die Illustrationen zu Dante
In einer Vorrede zu den Dantebildern eines gewissen Stradanus, eines nicht sehr hervorragenden Künstlers aus dem XVI. Jahrhundert, die Unwin 1892 in Phototypie herausgegeben hatte, schrieb der verstorbene John Addington Symonds: »Ich glaube, die Illustrationen Gustave Dorés müssen trotz ihrer offenkundigen künstlerischen Mängel unter den zahlreichen Versuchen, Dantes Konzeptionen in die Formen der bildenden Kunst zu übertragen, an die erste Stelle gerückt werden.« Dieses Lob für eine lärmende und demagogische Kunst wird nur verständlich, wenn man annimmt, ein Temperament, stark genug, um mit unfehlbarer Raschheit die unzähligen Schulen und Einflüsse der italienischen Renaissance durchdringend zu erfassen, habe naturgemäß ein wenig von der Feinheit des Urteils und der zarten Substanz des Gefühls einbüßen müssen. Schwieriger hingegen ist es, bei einem so bewunderungswürdigen Forscher zu begreifen, wie er diese Illustrationen den Arbeiten des seiner Ansicht nach »graziösen und affektierten« Botticelli vorziehen konnte, obwohl »Doré für seine Aufgabe weniger durch dramatische Kraft geeignet war, noch durch sein Schönheitsgefühl, oder sonst durch irgend etwas, was im strengeren Sinne mit der gewaltigen Seele des Dichters übereingestimmt hätte, als vielmehr durch einen ausgesprochenen Sinn für Hell und Dunkel.« – Noch weniger aber begreift man, wieso er jene Illustrationen gerade darum vorgezogen haben sollte, weil Doré »eine phantastische Welt geschaffen hat, in der die Bewegungen von Dantes handelnden Figuren deutlich werden, weil er das gemeine Verständnis in jene weiten Gebiete einführt, die drangvoll gefüllt sind mit den Schicksalen von Seelen, Religionen und Weltreichen.« Findet nun das Durchschnittspublikum dieses Verständnis bei einem Illustrator, so vermeint es, weil dies seine eigene Auffassung ist, einer genauen Interpretation des Textes gegenüberzustehen, während ihm die Werke von außerordentlichen Geistern als bloße Äußerung von deren eigenen Ideen und Gefühlen erscheinen. Doré und Stradanus, meint er dann, haben uns etwas von der Welt des Dante gegeben, Blake und Botticelli hingegen ihre eigene Welt geschaffen und sie für die des Dante ausgegeben, – als ob die Welt Dantes mehr gewesen wäre, als eine Masse von Sinnbildern, von Form, Farbe und Ton, die Menschengestalt annehmen, sobald sie irgendeinen Geist zu einem starken und romantischen Leben erwecken, das nicht das ihre ist; als ob es nicht unsere eigenen Sorgen wären, unser Zorn, Bedauern und Schrecken und unsere Hoffnung, die zur Mißbilligung und zur Buße aufrütteln, wenn Dante auf seiner ewigen Pilgerfahrt dahinschreitet; als ob irgendein Dichter, Maler oder Musiker etwas anderes sein könnte, als der Zauberer, der mit einem überzeugenden und zwingenden Ritual edle oder unedle, göttliche oder dämonische Geschöpfe, mit Schuppen bekleidete, oder solche, die angetan sind mit strahlender Gewandung, wie er sich sie zuvor niemals vorzustellen vermochte, heraufbeschwört aus den bodenlosen Abgründen von niemals vorher gesehenen Phantasien, als ob nicht die edelsten Errungenschaften der Kunst gerade darin bestünden, daß der Dichter sich in Dunkelheit hüllt, während er über seine Leser ein Licht verbreitet, gleich einer wilden und schrecklichen Dämmerung.
Wir wollen darum die Zeichnungen zur »Göttlichen Komödie«, in denen das »gewöhnliche Verständnis« vorherrscht, beiseite lassen und nur jene Bilder in Betrachtung ziehen, wo das magische Ritual außerordentliche Gestalten heraufbeschworen hat, in denen das magische Licht über eine Welt geschimmert hat, verschieden von der dantesken Welt unseres eigenen Intellekts in seiner gewöhnlichen und alltäglichen Verfassung, über eine Welt, die schwierig ist und eigenartig. Unter den Serien von Zeichnungen zu Dante, und es gibt deren eine große Anzahl, brauchen einen die meisten nicht einen Augenblick in Anspruch zu nehmen. Von Genelli rührt eine große Menge her, sehr gut hinsichtlich jener »formellen, generalisierenden« Art, wie sie Blake so haßte und die vom geistigen Gesichtspunkt aus lächerlich erscheint. Genelli hat das Inferno in eine gemeine Walpurgisnacht umgewandelt, und einer seiner Schüler, dessen Namen ich aber in den biographischen Wörterbüchern nicht finden kann, offenbar ein Deutscher, hat einer Anzahl kraftloser Zeichnungen einige vorzügliche Tabellen als Vorrede vorausgeschickt, während Stradanus für das »Inferno« eine Serie von Bildern hergestellt hat, mit so vielen, mehr materiellen und künstlerisch unwesentlichen Qualitäten und in der Konzeption so außerordentlich unbedeutend, daß man annehmen muß, er habe im XVI. Jahrhundert dasselbe Publikum in Aufregung versetzt, wie Doré im neunzehnten.
Obwohl mit mancherlei Vorbehalt, bin ich versucht, Flaxmans Zeichnungen zum »Inferno«, dem »Purgatorio« und dem »Paradiso« nur um weniges über die besten von diesen Zeichnungen zu stellen, denn es macht nicht den Eindruck, als sei er von Dante in Wirklichkeit jemals ergriffen worden, sondern vielmehr in eine formale Manier herabgesunken, die ein Widerschein ist von der lebendigen Art seiner Homer- und Hesiodbilder. Ich glaube, seine Zeichnungen zur »Göttlichen Komödie« werden einmal mit einem gewissen Zeremoniell in jenen unsterblichen Papierkorb geworfen werden, in dem die Zeit, unter vielerlei Seufzern, die Mißgriffe großer Männer begräbt. Vielleicht bin ich im Unrecht, da Flaxman mich auch in seinen besten Werken niemals besonders ergriffen hat und ich kaum hoffen kann, dieser Beschränkung durch meine Lebensgestirne jemals entrinnen zu können. Daß Signorelli nur hie und da wesentlich interessanter erscheint, wie z. B. in der Zeichnung, wo der von Unschuld und Kraft erfüllte Engel von dem Boot herkommt, das so viele Seelen an den Fuß des Berges der Läuterung gebracht hat, kann nur durch den Umstand erklärt werden, daß man ihn zumeist nur aus schlechten Reproduktionen von Fresken kennt, die zur Hälfte durch die Feuchtigkeit zerstört sind. Eine wenig bekannte Serie, gezeichnet von Adolf Stürler, einem Künstler deutscher Abstammung, der in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in Florenz lebte, ist sehr schwach in der Zeichnung, jedoch von durchaus pathetischer, starker Erfindung und voll von höchst interessanten präraffaelitischen Einzelheiten. Es finden sich da bewundernswürdige und ergreifende Gestalten, die Liebe über Vernunft gesetzt haben und in der letzten Verlassenheit der Verzweiflung das Urteil des Minos hinnehmen, oder mit tiefster Melancholie den Stufen seines Thrones entgegengehen durch Länder hindurch, wo Eulen und fremdartige Tiere mit der unfruchtbaren Zufriedenheit des Bösen, das weder liebt noch haßt, sich hin und her bewegen, und ein Zerberus, erfüllt von geduldiger Grausamkeit. Allen Zeichnungen von Stürler haftet jedoch die Mattigkeit eines Geistes an, der sein Werk mehr durch eine Aufeinanderfolge von feinen kritischen Wahrnehmungen hervorbringt, als durch die Entschiedenheit und Energie wahrhaft schöpferischer Kraft, und sie sind eher ein sonderbarerer Beitrag zur künstlerischen Methodik, als Kraftäußerungen der Phantasie.
Die einzigen Zeichnungen, die mit denen Blakes wetteifern können, sind jene von Botticelli und die Blätter des Giulio Clovio, aber sie stehen zu ihnen eher in einem Gegensatz, denn Blake hat es nicht mehr erlebt, daß sein »Paradiso« über die ersten schwachen Bleistiftstriche und die ersten dünnen Farbentöne hinausgekommen wäre, während Botticelli, wie mir scheint, nur in seinem »Paradies« überlegene Phantasie offenbart und Clovio sich weder am »Inferno« noch am »Purgatorio« jemals überhaupt versucht hat. Die Eingebungen Botticellis und Clovios sind beherrscht von der Welt des Klosters, und sie erreichen vollkommene Freiheit nur, wo sie über die Welt hinausgeschritten oder zu einem edlen Frieden gelangt waren, der nicht von dieser Welt ist.
Blake verfügte nicht über jene meisterliche Beherrschung von Figuren und Draperien wie Botticelli, aber er war imstande, mit den Gestalten des »Inferno« und des »Purgatorio« zu fühlen und in ihrer Szenerie zu schwelgen, wie Botticelli es nicht gekonnt, und er versuchte, sie mit einer geheimnisvollen und geistigen Bedeutsamkeit zu erfüllen, die vielleicht eine Folge seines mystischen Pantheismus gewesen ist. Die Flammen Botticellis ergreifen einen nicht, und sein Wagen der Beatrice ist nicht der symbolische Wagen der Kirche, der von dem Greifen gezogen, halb Adler, halb Löwe, von der zwiefachen Natur Christi ist: er ist nichts als ein Bruchstück von einem mittelalterlichen Schauspiel, gemalt mit bloß technischer Inspiration. Clovio, der Illuminator von Meßbüchern, hat versucht, mit seiner nur allzu leichten Hand, wie in einem kleinen Spiegel aufgefangen, ein Paradies heiterer Atmosphäre zu schaffen, einen Himmel von Geselligkeit, Demut und Niedlichkeit, einen Himmel für Frauen und Mönche, aber man kann sich nicht vorstellen, daß er von dem Symbolismus von Vogel und Tier, Baum und Gebirge oder von Flamme und Finsternis so tief ergriffen worden, wie die moderne Welt es ist. Was dagegen Blake zu dem einzig durchaus geeigneten Illustrator des »Inferno« und des »Purgatorio« gemacht hat, war sein tiefes Verständnis für alle Kreaturen und Dinge, sein tiefes Mitgefühl mit den leidenschafterfüllten und verlorenen Seelen, das in solch äußerster Stärke nur durch seine Auflehnung gegen die Gesetze körperlicher und leiblicher Vernunft ermöglicht worden ist. In der heiteren und hinreißenden Leere von Dantes Paradies konnte er keine Symbole finden, sondern nur einige abstrakte Embleme, er hatte keine Neigung zum Abstrakten, und hätte dabei mit der Draperie und den Gesten der Beatrice und des Virgil weniger Erfolg gehabt als Botticelli, weniger sogar als Clovio.