Werner Weimar-Mazur: dom
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Werner Weimar-Mazur
dom
Krakau war morgens bewölkt, die Hügel dampften.
(Adam Zagajewski: Der Koffer. in Asymmetrie, Gedichte, aus
dem Polnischen
von Renate Schmidgall, Krakau/München, 2014/2017)
wir hätten in krakau bleiben
können
aber wir wollten ins salz von
wieliczka
später weiter nach zakopane und
an den dunajec
wir hielten die zeit an
das licht über den beskiden und
der tatra
wir erinnerten uns
an die tuchhallen
die kirche
den drachen in seiner höhle
unter dem burgberg
wawel
das ufer der weichsel
wir dachten an
kopfsteinpflaster
oder einen schlafenden ritter
der
motor des wagens stotterte
ein
paar polnische wörter hinaus in die nacht
hier
muss es gewesen sein
wo
die pferde gelahmt hatten
beim
rückzug einer ganzen armee
am
himmel kreisten kraniche und flugzeuge
in
der stadt panzer
die
bewegungen glichen wellenbewegungen
glichen
flucht
mädchen
sangen
die
burschen grölten
ein
vorhang aus wasser licht und luft
legte
sich über die landschaft
irgendwo
blökten schafe rinder wieherten pferde
das
gras war vergiftet die weiden die brunnen
auf
den anhöhen gab es stellungen mit flakgeschützen
luftabwehrraketen
irgendwo
in den wäldern herrschte krieg
und
plötzlich wurde es still
gott
hörte auf zu zählen
veronika
schlief
die
züge standen
die
steine schwiegen
wenn
es eine auferstehung gibt dann
genau
hier
genau
jetzt
aber
das sind nur geschichten die schon lange niemand mehr glaubt
ich
habe von einer frau gelesen
dass
sie durch seine straße gegangen war
stehengeblieben
vor seinem haus
sich
aber nicht getraut hatte
hinein
zu gehen ihn zu besuchen
jetzt
ist er tot
heute
nacht wird die zeit umgestellt
[geschrieben waldkirch, 27.
März 2021]