Werner Söllner: Auf dem schmalen Grat der Verse
Tom Schulz
AUF DEM SCHMALEN GRAT DER VERSE
Werner Söllner meldet sich nach über zwanzigjährigem Schweigen literarisch zurück.
Als im Jahr 1992 der Lyriker Werner Söllner im mittlerweile nicht mehr existierenden Züricher Ammann Verlag mit seinem Band „Der Schlaf des Trommlers“ Furore machte, ahnte niemand, dass es dreiundzwanzig Jahre dauern würde, bis ein weiteres Werk des rumäniendeutschen Autors erscheint. Hatte sich der 1951 in Rumänien geborene und seit 1982 in Deutschland lebende Dichter leergeschrieben oder war er in eine längere Schaffenskrise geraten?
Wer die Antwort in seinem neuen Gedichtbuch „Knochenmusik“ sucht, wird womöglich fündig werden: „Guten Tag, Sprache. Lang/ nicht gesehn. Wie geht’s? Komm/ herein. Siehst ziemlich verhärmt/ aus. Kein Wunder, wenn man allein/ in der Welt ist.“ heißt es im vierten Stück des Bandes „Besuch“. Was Wunder, denn Söllner war spätestens im Dezember 2009 ins Abseits geraten. Auf einer Tagung in München, die im Umfeld der rumäniendeutschen Literatur vom „Institut für deutsche Kultur und Geschichte in Südosteuropa“ veranstaltet wurde, gestand er öffentlich seine Tätigkeit als Informant der „Securitate“ in den 1970er Jahren ein. Es wurde publik, dass er in einem Zeitraum von wenigen Jahren auch Auskünfte über die Arbeit seiner Schriftsteller-kollegen gegeben haben soll. Im Augenblick seiner nicht mehr länger aufzuschiebenden „Enttarnung“ leitete Söllner das „Hessische Literaturforum“ in Frankfurt am Main. Dies blieb nicht ohne Folgen.
Und wie so oft stellte sich die Frage nach Schuld und Verrat, doch wer hat das moralische Recht auf seiner Seite, darüber zu urteilen? Der Mensch und Autor Werner Söllner antwortet auf seine Weise im Gedicht „ Zweite Natur“: „Ich weiß, ohne irgendein Recht, da/ zu sein, bin ich hier. Fristlos kündbar/ sitz ich am Zaun, arglos fertig / gemacht unter einem fremden Stern…“ - und weiter: „Im gemieteten Paradies nenn ich/ nichts Nennenswertes mein eigen, nur/ eine machtlose Liebe, die fremd gehen wird/ mit dem Tod…“. Das nicht Nennenswerte, wie es Bertolt Brecht befürchtete, das nach uns kommen wird - ist es schon unter uns? Nicht alle neuen Gedichte von Werner Söllner kommen so schwer behangen und endgültig daher. Gegen die poetische Erstarrung retten ihn Witz und Ironie. Mit diesen Stilmitteln gelingen ihm leichte, einzigartige und wundervolle Gedichte. Sie erzählen von Alltäglichkeiten und Begegnungen, Ausflügen mit Frau und Hund nach Limburg, wo der Hund an das Haus des Bischofs pinkelt. Wie eine Befreiung wirken seine kurzen gereimten Verse: „Bis gestern hab ich an den Tod gedacht/ und hab ihm recht gegeben./ Was hast du nur mit mir gemacht?/ Ich will jetzt lieber leben.“ Und wenn der Dichter an der Prisengracht in Amsterdam nach einem noblen Restaurantbesuch mit einigem Alkoholgenuss im Titelgedicht „Knochenmusik“ ausruft: „Der Engel, der mir zu Kopf stieg, er war schwarz anzuschauen./ Auf dem Heimweg lag Knochenmusik/ überm Wasser, dem grauen.“ – möchte man den Hut ziehen vor diesem passablen Nachfahren von Heine und Ringelnatz. Wie stark der Gedanke von Vergänglichkeit und Nichtwiederkommen sein kann, bezeugen einige Gedichte auf außerordentliche Weise, allen voran der Text über die Hinterlassenschaft des Vaters („Hinterlassenschaft“) und das Gedicht auf dem Sterbebett der Mutter („Mutters Mund). Hier wird der Sinn von Poesie offensichtlich: sie stellt sich gegen die postulierte Ewigkeit und das Verschwinden. Am Ende der Lektüre dieser knapp vierzig neuen Gedichte von Werner Söllner, bleibt die Frage nach dem Grad der (Selbst)-Reflektion. Wie tief und verletzlich greift das Infrage-Stellen? Vielleicht muss ein Gedicht darauf keine so eindeutige Antwort geben: „Weißt du, alles was ich/ falsch gemacht habe, war falsch,/ weil ich es richtig machen wollte.“ heißt es in: „Du sagst, ich soll es/ richtig machen…“. Das Richtige und Falsche, liegt es nicht zusammen, nebeneinander auf der Hand? Und das oft zitierte nicht vorhandene wahre Leben im Falschen? Mit diesem Zwiespalt müssen die Texte von Werner Söllner leben. Dass es kein Schwarz und Weiß gibt, sondern Zwischen- und Störtöne, Lebens- und Liebestöne. Auf diesem schmalen Grat der Verse jongliert der Dichter, ohne Netz und doppelten Boden, und ist vor dem Fall nicht gefeit. Die Gedichte von Werner Söllner indes nötigen uns den größten Respekt ab.
Werner Söllner: Knochenmusik. Gedichte. Mit einem Nachwort von Eva Demski. Frankfurt am Main (Edition Faust) 2015. 72 S. 18 Euro.