Werner Hamacher: Mit ohne Mit
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Jan Kuhlbrodt
Werner Hamacher: Mit ohne Mit. Unveröffentlichte Denkfiguren.
Zürich (TransPositionen – Diaphanes Verlag) 2021. 384 Seiten. 38,00 Euro.
Hamacher lesen
„Weder zufällig noch empirisch. Weder willkürlich noch unwillkürlich empfängt er seine Regel von einer Notwendigkeit, die eher von der Kraft assoziativer Anziehung, als von der rationalen Logik abhängt.“
Das schrieb die französische Theoretikerin Sarah Kofman über
das Vorgehen Derridas, das als Methode zu bezeichnen falsch wäre, da der
Dekonstruktivismus sein Konzept nicht wie andere philosophische Schulen einer
Tarnkappe gleich über die Texte legt, um sich selbst in den Texten zu finden,
sondern seine Verschleierungsstrategien offenlegt, indem er die seiner
Gegenstände entbirgt. Er macht etwas im Text sichtbar, was in der normativen
Rezeption dem Verschwinden anheimgefallen wäre. Er geht den Texten nicht, wie
wir so schön zu sagen gewöhnt sind, auf den Grund, sondern zeigt ihre
Grundlosigkeit.
Wenn man das als Vorwurf denkt, ist dieser genauso auch
Hamacher zu machen. Und wir entschulden damit aber zugleich den Term. Der
Vorwurf geht dem Entwurf voraus, indem er ein Feld absteckt und somit
hervorbringt. Aus Weite wiederum wird Landschaft.
„Das Nicht des Nichts, das im Grundsatz aller Sätze und deshalb in jedem Einzelnen am Werk ist, erscheint in diesem Satz nicht. Es ist dasjenige Nicht im Satz, das nicht im Satz selber vorkommt. Es muss in ihm verborgen bleiben, weil es nichts sagt, sondern weil es sein Nichts-sagen nicht sagt.“
So formuliert Hamacher in dem Aufsatz „Das Nicht im Satz der
Identität“. Hamachers Lektüre der Hegelschen „Wissenschaft der Logik“ ist detektivisch.
Es spürt dem gesagt Ungesagten nach, dem, was die Sprache verschweigt und in
diesem Verschweigen ausdrückt. Und dadurch wird er wieder zum Dialektiker, mehr
vielleicht als Hegelkritiker sich selbst eingestehen würden, wenn sie sich auf
Nietzsche und Heidegger berufen.
Sichtbarer noch wird dieser Move, wenn Hamacher sich dem
ersten Band des Marxschen Kapitals zuwendet, und das, was Marx als Warensprache
bezeichnet, als Sprache ernst nimmt. Wenn Hamacher das, was in der bisherigen
Rezeption meta-phorisch erscheint, in „Vom Messianismus der Warensprache“
entmetaphorisiert, so beobachtet er in diesem Aufsatz zugleich Derrida. Er hört
ihm quasi beim Marxlesen zu. Gleichzeitig aber begibt er sich selbst in die
Marxlektüre. Die Erkenntnis also erscheint als mehrfach gebrochen und
abgelenkt. Und ihr Sprechen ist ein Versprechen, ein Wechsel auf die Zukunft,
deren Grammatik sich erst noch erweisen muss.
Dieses Motiv findet sich auch im Aufsatz „Messianisches
Nicht“; der mich am meisten beeindruckt hat im Augenblick. Eine Nancy-Lektüre.
„Wenn wir diese Zukunft – dieses Nicht einer Zukunft – auch nicht kennen können, so können wir uns doch auf sie einlassen – und lassen uns seit je auf sie ein, oder sind auf sie eingelassen, sofern wir zeitlich, zukünftig sind.“
Hamacher zu lesen, scheint zuerst unmöglich. Seine Texte
entziehen sich mit dem ersten Wort, verschwinden. Aber im Verschwinden öffnen
sie den Raum, in dem sie allererst sichtbar werden. Es ist zum Verzweifeln.
Aber da muss man durch. Man muss den Zweifel also zulassen und den Fehler
machen, sich denkend dem Denken des Vorliegenden mimetisch anzuschmiegen. Wer
Hamacher liest, wird also ein Stückweit sich verhamachern müssen, also selbst
zu Hamacher werden. Das birgt die Gefahr, den Ausgang nicht mehr zu finden,
nicht mehr zurückzufinden zu sich, weil das Sich sich auflöst im Mit.
Bei Diaphanes sind unter dem Titel „Mit ohne Mit“ Texte
Hamachers versammelt, die sein Vorgehen demonstrieren. Zeigen. Die
unmethodologische Methode der Dekonstruktion. Die Dekonstruktion des
Dekonstruktivismus. Und natürlich wird einem schwindlig bei der Lektüre, vor
allem, wenn man schnell liest, wie es meine Gewohnheit ist. Aber es macht Sinn.