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Walter Fabian Schmid: Varus (Auszug Werkstatttext 4)

Montags=Text
Walter Fabian Schmid
Varus
(Auszug Werkstatttext 4)


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nebelstreifen und windbrüche – eine baumwüste schönheit – verholztes dickicht – das stahl der
steinzeit – gerüstet fürs hambacher forstfest – schonungen gabs nie – immer nur lager zur inventur ausgeschabter felder – deutschland besteht zu 0.2 prozent aus blösse – ein kahler
zivilisationsschlag – beinahe grosstadtfeeling – betonwüste depression – die stämme stehen spalier
– ein korridor zur militärischen fucht – die schmerzliche durchbruchtechnik durch die geschichte
– aus astlöchern tränt pech – heimat ist verödete stumpfheit – geschleift durch die kleine eiszeit.
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stolpern über ränkende wurzeln – die stämme verstehen sich nicht – altsächsisch ist mit unruh zu übersetzen – schlagen sies nach im kodex abrogans – ein wörterbuch für reisende – nicht wieder
körner rauspicken – ausgrenzungsdichtung wie max und moritz von arndt – auch grimm schrieb
mit an der verfassung – eine auszeit der märchen – time for a glorious healing bis sommer 2006 –
die vaterlandsbürde im neuen trikot – ein schutzmantel vor heimsuchungen.
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gehts hier die ganze zeit um einheit? – ein welscher halbgott bildete den bund – fremdbestimmt
wie der begriff germane – was heisst das schon? kulturunfähig, politisch zerrissen und ökonomisch rückständig – deutsch ist keine zivilisation – das diplomatische risiko europas – also einfach durchregieren bis gott mal gnädig wird – gehorsam und devotismus predigte schon wulfla – mit
einem vertrauen, wie varus es kannte – der falsche freund im deutschen – mehr
schicksalsgemeinschaft als volk – unterm verkohlten himmel.
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dusterer hall vom aufschlagen der brocken – prasselnder ausschuss der opfer – ein heiliger
wahnsinn als symbolischer akt – arminus vom rassenscharfen luther zu hermann verdeutscht –
dass gar kein eichhörnchen an kronen nagt – auch intrigen erfordern gehorsam – ein zwang wie
nur kant ihn kannte – da zuckt sogar der weltgeist – das rüttelt am universalen – chronisches
scheitern an der verschattung – so nacht im hirn, dass gar die augen dunkeln – armer seher! – nur
tappsen durch aussichtslose unsicherheit.
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das idyll der enterbten gegend – äste wie knüppel – knackskandieren den frühling – die traurigkeit wehender demonstranten – unbewusste verlustängste – freud sieht das anders – selbst
grossdeutschland war kleindeutsch – ein ausschnitt – an der grenze splittert die walddichte auf –
lies die kyrillische borke: schneeschmelze ist territorialer sieg – die einheit nur einmarschentfernt
– den deutschen folgen disteln und dornen – das narbige gelände, ein lebensraum für dissidenten.
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das heilige laub um die schläfen gezogen – der eichel könig sticht! – mit dem klang der motorsäge
setzt die wartung der geschichte setzt ein – eine metamorphose der furcht – die erträglichkeit des
todes beginnt mit der aufforstung des waldes – oder hang zum kahlschlag – am ende kommen
hirsche und knabbern die knospen – jährlich das schamlose grün – zynischstes grau – das bild
schreibt sich selbst fort – mit untertänigst römischem gruss: eine identität zu wahren ist
barbarisch.
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