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Volker Sielaff: Glossar des Prinzen

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Jan Kuhlbrodt

Nach der Zeit



Eines fasziniert mich an der Vorstellung einiger christlicher (und vielleicht auch anderer) Reformatoren. Alles befindet sich in gleicher Entfernung zu Gott. Und diese Entfernung der Dinge ist Gottes Nähe. Diese Vorstellung hebt Geschichte auf, denn das Räumliche und das Zeitliche durchdringen sich darin.

In der Konsequenz bedeutet das allerdings auch, dass die Welt immer komplett da ist; uns aber, aufgrund unserer eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeit, ist sie nur in Ausschnitten vorhanden. (Zuhanden nennt ein umstrittener Philosoph diesen Sachverhalt.) Damit müssen wir leben, dass das Ganze sich uns entzieht.
Sielaffs Gedichte spielen mit dieser Inkongruenz aus Dasein und Zuhandenheit und im letzten Zyklus des Bandes, Nach dem Traum, wird eben jener Widerspruch Thema:



Ich höre jetzt deine Stimme:
Siehst du Himmel? Was siehst du?
Welche Farbe. Und ist, was du siehst
vollständig,

ich meine, vollständig da?

Ja sagst du, ich muss
den Hörer nur näher ans Ohr.
Langustenknacken, Seemuschelrauschen.


Die Wahrnehmung wird ergänzt durch die Vorstellung und die Vorstellung als Wahrnehmung mitgeteilt.

Und natürlich könnte man Gott streichen, man könnte, aber man muss es nicht. Gleichberechtigt tritt an seine Stelle die Form. Formbildung, scheint mir, ist hier Epiphanie. Etwas lässt seine Anwesenheit durchscheinen, macht sich merkbar. Und so wird es Gegenwärtig. Denn es gibt Formen, die wir als abgelegt betrachten.
Der Dialektiker Sielaff aber weiß, dass im Moment der Überwindung auch die Bewahrung wohnt. Dadurch kommt es zu Begegnung: Zum Beispiel begegnet das lyrische Ich auf einer Hiddenseefähre dem Görlitzer Mystiker Jakob Böhme. Und wie Böhme sucht Sielaff in seinen Texten die Signaturen.

Ein solches Vorgehen erfordert Mut, weil es sich dem Diskurs der Gegenwart entgegenstellt. Denn das Gegenwärtige, das sich selbst überhöht, ist ein Ausschlussphänomen. Trotzig formuliert also der Dichter:

Will nach euch werfen mein kaputt zerbrochnes Glas
Ihr sollt nicht glauben, dass ich hätte nicht gestört.


So endet das Dritte Lied der 13 Lieder des Prinzen.
Diese trotzige Haltung wird im Band nicht überlagernd, aber ist als Grund spürbar. Als wollte das lyrische Ich, nichts aufgeben, keinen Gedanken, kein Gemälde, kein Lied, nur weil wir annehmen, es herrsche die Zeit. Trotz ist auch Trost.

Im ersten Zyklus des Bandes spielt Sielaff mit dem Reim, aber es ist kein Spiel, das allein seiner Rehabilitation dient. Manche Reime ergeben sich in den Rhythmus der Texte, auch nahtlos in die Semantik. Manche aber wirken auch wie Störgeräusche, wie etwas, dass sich gegen die Vereinheitlichung im Gleichklang stemmt. Das wirkt zum Teil irritierend, aber immer auch anregend.



Volker Sielaff: Glossar des Prinzen. Gedichte. Wiesbaden (luxbooks) 2015. 120 Seiten. 19,80 Euro.

http://www.luxbooks.de/buecher/volker-sielaff-glossar-des-prinzen


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