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Ulrike Schrimpf: bernstein verschleppen: aus riesengroßen nadelwäldern

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Ulrike Schrimpf

engramme: dinge ohne augen zeugen.
gedichte zu den arolsen archives


 
III. bernstein verschleppen: aus riesengroßen nadelwäldern

für die eigentliche eigentümerin ist
es zu spät das muss man sich vor augen
führen wenn vor mehr als 50 millionen
jahren kiefern aus bernsteinen wuchsen
in einer gegend die wohl den namen

südskandinavien trug wurden solche
sonnenkäfer gegossen von denen es
gleich drei an der zahl gibt mutter
vater kind spazieren ein handgelenk
entlang vielleicht in silber gefasst

oder aus berggeistern geschmiedet die
an anderen orten nickeln heißen wenn
lebewesen kilometerlängen zu fuß gehen
streckenweise durch tiefschnee laufen
aberwitzige längen hinter die eigenen

körper schaffen jahrzehntelang also
schritt vor schritt setzen in jeder
einzelnen frühe in jeder einzelnen
finsternis all who walk the earth
remember eine wirklichkeit verschleppen

um später einzig zahllose schritte aus
ihren mündern gehen zu lassen um keinen
preis munition die sie abfüllen mussten
außerhalb von haselnussbraunen organen
den unfassbar hellen tochteraugen einer

mutter gedenkend die eine elegante
erscheinung war



 
Wieslawa Brzyś wurden bei der Ankunft im Konzen-trationslager diverse Schmuckstücke abgenommen, darunter ein Bernsteinarmreif. In Bergen-Belsen arbeitete sie in einer Rüstungsfabrik. Wieslawa Brzyś überlebte das Dritte Reich. Der Armreif allerdings wurde ihrer Tochter erst zurückgegeben, als ihre Mutter schon gestorben war.
Die Arolsen Archives sind ein internationales Dokumentationszentrum zu den national-sozialistischen Gewaltverbrechen mit der weltweit umfassendsten Sammlung zu den Opfern und Überlebenden des Nationalsozialismus. 1963 erhielten die Arolsen Archives 4700 Umschläge mit sogenannten Effekten: Uhren, Eheringe, Brieftaschen, Modeschmuck, Brillen, Fotos mit Widmungen und mehr – alles persönliche Gegenstände, die die Nationalsozialisten den Inhaftierten bei ihrer Einlieferung in die Konzentrationslager abnahmen. Sie stammen von Menschen aus über 30 Ländern und waren von der SS unter den Namen der Häftlinge in den „Effektenkammern“ der Konzentrationslager eingelagert worden. Die Arolsen Archives haben es sich seither zur Aufgabe gemacht, das Raubgut an die Überlebenden oder Angehörigen der Opfer zurückzugeben.
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