Ulla Hahn: stille trommeln
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Timo Brandt
Ulla Hahn: stille trommeln. Neue Gedichte aus zwanzig Jahren. München (Penguin Verlag) 2021. 208 Seiten. 20,00 Seiten.
Wünsche, Träume, dann und wann auch nicht zu saumselig
"Traum vonNamen nackt wie die Dinge diesie verhüllen"
Ich finde, es ist etwas ungeschickt, wenn der Verlag auf den Rückendeckel dieses Gedichtbandes schreibt, dass die Texte darin als "Antwort und Reaktion auf ihre erzählerische Prosa entstanden sind".
Das schreckt nicht nur Leser*innen ab, die diese Prosa nicht kennen, es wirkt auch wie ein Eingeständnis, dass diese Text nicht für sich stehen können. Mit diesem Gefühl bin ich in den Band gestartet – und losgeworden bin ich es bis zum Ende nicht.
"Wer möchte es nichtglauben dass das GuteSchöne und Wahre sich schütteln lässtwie Pflaumen vom Baumaufs Blatt ins Gedicht"
Sentimentalität, das beschreibt einen Zustand, ein Verhalten, in dem auch der kleinste Gegenstand, die kleinste Erinnerung, einen Anlass für Glorifizierung, große Fragen und/oder Rührung darstellt, in jedem Fall für eine als überzogen wahrgenommene Gefühlsverlautbarung.
Die Lyrik, ob es ihr gefällt oder nicht, wird sich in Teilen auch immer im Umfeld dieses Gefühls bewegen, es gehört zu einer ihrer Naturen. Oder, anders gesagt: die Sentimentalität ganz aus der Lyrik zu verbannen, würde ihr viel nehmen, zumal der einzig probate Ersatz für Sentimentalität Zynismus ist, und der ist auf Dauer, zumindest wenn er gegen nichts antritt, genauso unausstehlich wie schrankenlose Sentimentalität.
Aber zurück zu Hahn. Ich habe den Begriff der
Sentimentalität überhaupt erst ins Spiel gebracht, weil ich mich gefragt habe,
ob das die Gedichte adäquat beschreibt. Bisher hätte ich, was Hahn angeht,
immer gesagt: Sie enthalten fast immer ein bisschen Sentimentalität, verstehen
es aber blendend, diese auf links zu drehen, plötzlich spitz und schneidend zu
machen oder zumindest kurz vorm Kitsch mit einem Lächeln, mit Ironie, Witz oder
Klugheit auszustatten.
"Ach einmal noches rausschnippen ausdem Brustkorb rausaus dem Rippengitterin die Wiese kickendas rote Klümpchenrunter rollenins Wasser ansandere Ufer"
In diesem neuen Band aber verwischen die
Grenzen zwischen Kitsch und Kunst bei Hahn hier und da dann doch. Das habe ich
schon oft so gesehen, diese Verwischung, sie ist nicht selten ein Beikraut des
Alterswerks - und als solches auch weder zu verachten noch zu belächeln, in
Maßen.
In manchen Gedichten hält Hahn Maß, und dann
haben ihre Verse zwar etwas Nostalgisches, aber verstehen sich wie sonst auf
Witz und Verstand und können, obgleich sie von vielen Lyrikleser*innen als
leichte Kost bezeichnet würden, unterhalten und zum Nachdenken bringen.
Aber in manch anderen Texten, da gibt es keine
Brechung, da werden uns die "noch am Halme wogenden Gefühle"
präsentiert, um Kästner zu zitieren, der einmal ein bitterböses Epigramm über
solche Texte geschrieben hat. Hier fühle ich mich dann wieder an den
Klappentext erinnert, bin aber mehr schlecht als recht damit getröstet, dass
das alles vielleicht im Kontext von Hahns Prosa Sinn und Kunst ergibt.
"Ein Wortergibt zu viele andere Ihr sentimentales Flehenaus dem Staub von Jahrhunderten"
Womit wir zur schwersten Frage kommen: ist der
Band überhaupt empfehlenswert? Ich will, nicht etwa aus falscher Gutmütigkeit,
sondern aus Überzeugung, betonen, dass es in diesem Band sehr wohl gute
Gedichte gibt. In der Summe würde man die Texte wohl als hübsch, als nett
bezeichnen, was auch abwertend klingt, hier aber nicht (unbedingt) so gemeint
ist. Es sind Vierzeiler wie dieser, die den Band lesenswert machen, allerdings
nur, wenn man über manche Texte einfach hinweglesen kann:
"In der Sonne sitzen nichts tunabwarten sich wärmen lassenreif werden wie der Apfel im BaumDer Pflücker wird keinen vergessen"