Tim Holland: wir zaudern, wir brennen
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Kristian Kühn
Tim Holland: wir zaudern, wir brennen. Berlin (Rohstoff
Verlag) 2022. 112 Seiten. 10,00 Euro.
Feuer nimmt durch Feuer zu
Letztes Jahr erschien beim gemeinnützigen Ableger von
Matthes & Seitz, beim Rohstoff-Verlag in Berlin, ein feines Büchlein namens
„wir zaudern, wir brennen“.
Wer brennt und dabei zaudert, verbrennt wohl – doch wer
brennt und weiterzündet, das Feuer verbreitet, es überträgt auf andere – so das
Bild – muss nicht handeln, nur verteilen.
Äußerlich – innerlich.
Er/sie gehört dann zu jenen, denen warm ums Herz geworden ist.
Der Verfasser dieser Gedanken & Gefühle, dieser
Meditationen ums Feuer, die ausgerechnet bei Rohstoff erschienen sind, diesem
sprechenden Namen, ist kein Unbekannter. Von Tim Holland erschien bereits 2016
sein Debüt „vom wuchern“ im Gutleut Verlag, und seit geraumer Zeit ist er auch
für den hochroth Verlag München Mitherausgeber. Holland, der vom Wuchern zum
Lodern übergegangen ist, sprich: zur Tat schreiten will, befasst sich, wie
sollte es thematisch anders sein, mit dem Nature Writing und den
Schwierigkeiten der Menschen, sich als kleiner Teil der immerwährenden
Naturerscheinung zu verstehen.
So sind die sich mal verbindenden wie auch mal voneinander
in ihren Wandlungsprozessen scheidenden Elemente gleich zu Beginn des Themas in
ein kreisrundes Piktogramm geschrieben: „bricht das eis, erwärmt sich das
wasser, erwärmt sich die luft, erstarkt der wind, erstarken die wellen“.
Das erinnert mich ein bisschen an den großen Empedokles und
seine naturphilosophischen Fragmente, etwa an Fragment B 8: „Doch eines will
ich dir verkünden. Geburt gibt es von keinem einzigen unter allen sterblichen
Dingen, auch nicht ein Ende im verwünschten Tode, sondern nur Mischung und
Austausch der gemischten Stoffe gibt es; Geburt wird nur dafür bei den Menschen
als üblicher Name gebraucht.“
Und in Fragment B37 heißt es bei Empedokles: „Feuer nimmt
durch Feuer zu, es mehrt die Erde ihre eigene Gestalt und den Äther der Äther.“
Auf den Äther als fünftes werden wir noch zu sprechen kommen.
Jedes Element sorgt – wie bei Tim Holland – für die eigene
Vermehrung, obwohl sie sich ständig bekämpfen und dabei ineinander verschränken
und in der Mischung wandeln, so kehren sie zur eigenen Gestalt wieder zurück
und vermehren damit ihr eigenes Wesen.
Um zu Tim Holland zurückzukommen, er beginnt in diesem Ton
lapidar:
Schaut zu, wie ihr land gewinnt. //wir häufen erde auf, klopfen salz ab, kratzen die stadtzusammen, lösen berlin aus dem land, jetzt plustert sichdie stadt auf, blüht auf dem meer, trudelt. wir sind eineinsel, fern aller inseln. eine seerose entzieht sich derkartografie. die alte wasserwaage horizont wiegt uns.(S. 7)
Und die Menschen, wie werden, wie können sie reagieren? Sie beobachten, weinen, wachen, registrieren die Änderungen und verursachten Schäden, ihre eigenen Reaktionen, hoffen, hinterfragen die Elemente, ob sie bis in den Himmel ragen, ob sie vielleicht Gefühle haben, ähnlich denen der Gattung Mensch, zerlegen sich in Dystopien und Dekonstruktion, lernen:
es brannte.
wie feuer uns verband, einzelne bäume und uns
zusammenfügte.
wir lernten jetzt wald. (S. 29)
Ich denke, das stimmt nicht. Ich denke, und mit mir auch der zweifelnde Autor, wir sehen nur uns selber und dabei, wie man so schön sagt, den Wald vor lauter Bäumen nicht:
lässt sich feuer mit tränen löschen?
(…)
wir versuchten uns an einer umverteilung der tränen,
lagerten sie auf gesichtern, die nicht unsere waren, um
sie zu beobachten, zu nähren, später zu nutzen. (S. 31)
Ja später. Vorher noch ein Manifest schreiben:
wir waren unendlich müde, wo war der nächste rastplatz? (S. 33)
Bei allem Humor, ein Stimmungsbericht, der mir selber auch bekannt vorkommt. Grüne und sozialistische Ideen poppen auf, verschwinden wieder, im Laufe der Gezeiten. Holland ist ein guter und genauer Beobachter. Wie bekommen wir den Wald nach Berlin?
guten tag,
schießt diamanten in die atmosphäre, das wärs
vielleicht. (S. 44)
Doch auf Seite 48 endet schon dieser Kreislauf rotierender Impulse:
sickerung.
ein archiv für mögliche zukünfte wurde eingerichtet.
nebenan hatten sich neue wesen installiert.
Die zweite Hälfte des Werkes ist ein großer Anhang, bestehend aus vier Kapiteln, Ordner genannt, und einem Sachregister (von ahab bis zuckertang).
Der erste Ordner gibt „ungefragte manifeste“ frei. Aufrufe etwa eines „moralisch-radikalen kollektivs“ oder der „glücklichen (und KÜMMERUNGStreuen)“:
glück ist unveräußerlich und bestimmung, daran
glauben die glücklichen.
(…)
für eine glückliche zukunft wurde die KÜMMERUNG
entwickelt. (S. 55)
Holland schließ mit seiner ihm eigenen Satire dieses Kapitel der Manifeste mit einer leeren Seite ab, die ganz klein gedruckt unten die Frage stellt: „ist das ein haar vor augen oder ist das bereits der horizont?“ (S. 63)
Der zweite Ordner, eine „hymne auf den zusammenhang“ spricht das Wir an und fordert den Zusammenschluss vom ich zum wir.
wir sind ohne angst.
Die KÜMMERUNG machts möglich (S. 75)
Der schlussfolgernde dritte Ordner widmet sich den Heimlichkeiten und Abweichungen und der Dissidenz. Er ist in Prosa geschrieben.
Ich habe uns verraten. Es krümelt. (S. 80)
Wir zumindest ich bin keiner von uns. So wandeln sich die Elemente im Fluss und kehren zu sich zurück ins zugrundeliegende Prinzip. Schließlich jedoch hofft Holland auf ein neues Wesen, ein fünftes Element, das aufsaugt und verknotet. Doch bei Holland ist es nichts Geistiges wie die Idee des prinzipiell allesdurchdringenden Äthers.
Hier kommen bei ihm die Quallen, Polypen und Tentakel der transhumanistischen Idee einer unterirdisch vielleicht cyborgartig wurzelnden Rhizom-Welt (s. Donna Haraway und ihre Ausführungen) ins Spiel:
ein lappen mit läppchen, paddelt mit paddellappen,
tätschelt sich lautlos an, klumpt an, pumpt mit. puppt
aber nicht. fast medusig. (S. 100)
Es bleibt offen, ob Holland tatsächlich mit diesen unterirdischen „elastischen tasthaaren und wurzelhärchen“ sympathisiert oder sich nur in ein von auswärts propagiertes Zukunftsbild hinein zu imaginieren versucht.
Er schließt mit dem Unsterblichen (id immortale, S. 102)
das unsterbliche lebt terrestrisch, schlafwarm unter
der erde, ab ca. 3m tiefe.
Ob damit die Dämonenwelt gemeint ist oder die der Manen & Ahnen, denen die Antike nur bei Blutzufuhr eine gewisse Erinnerung und Lebendigkeit zugesprochen hat, lässt Holland offen.
bei gefahr wird das unsterbliche kurz zum schwarm.
Wie recht er damit hat. Die Zukunft ist offen. Wir selbst entscheiden mit unseren Neigungen, Ahnungen und unserem freien Willen, wie es mit der Erde und unseren Gefahren weiter gehen wird. Sprich, ebenso mit unserer Zuversicht. Ein schlaues Buch, das zwischen innen und außen, zwischen Zaudern und Brennen einen Raum aufgemacht hat, in dem Stimmen leise Echos bilden, sich wandeln oder verhallen. Für 10 Euro ein Schnäppchen.