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Thomas Kling: Die gebrannte Performance

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Jan Kuhlbrodt

Sounds vom Schreibgebirge


zu Thomas Kling



Die Kunststiftung NRW gibt im Lilienfeldverlag eine Schriftenreihe heraus. Hier trifft die unendliche künstlerische Substanz einer Gegend auf ein großes gestalterisches Feingefühl. Wer Bücher des Verlages kennt, wird unmittelbar wissen, was ich meine. Auch macht der Verlag sich um Bewahrung und Eröffnung historischen Materials verdient.

Als Band 5 dieser Schriftenreihe ist Thomas Klings Die gebrannte Performance erschienen. Dabei handelt es sich um vier CDs mit Begleitbuch, herausgegeben von Ulrike Janssen und dem nimmermüden Norbert Wehr.


Diese Edition machte mir zunächst einmal schmerzlich eine Lücke deutlich. Ich habe niemals eine Lesung von Thomas Kling live gehört, gesehen, „erlebt“ wäre vielleicht der richtige Ausdruck. Und nur so ist es zu erklären, dass ich lange Zeit ein wenig fremdelte, wenn ich auf seine Texte traf. Vielleicht kann man sagen, ich starrte auf seine Texte wie auf eine Partitur, die zu entschlüsseln mir einiges abverlangte.

Das änderte sich erst, als ich, eher aus Zufall, das von Kling herausgegebene Buch Sprachspeicher in die Hände bekam. Dort konstruierte Kling anhand überlieferter Texte so etwas wie eine Fluchtlinie, eine Lyrikgeschichte, die auch eine Sozialgeschichte ist, welche in der Gegenwart nicht endet. In so eine Linie wird auch der Tod des Dichters zu einer, dramatischen zwar, aber Episode. Und doch: Klings Texte hätten sich mir im Grunde von vornherein erschließen müssen, von Anfang an, denke ich jetzt, da ich die aufgezeichneten Texte höre. Die auf CD gebrannte Performance.

Denn das, was da passiert, kannte ich aus der neuen Musik. Das Übereinanderschieben von Geschichtsschollen, die Klangschollen sind, oder eben Wortfelder bei Kling. Die Rhythmik dabei ergibt sich aus einer Art Plattentektonik. Nicht umsonst taucht das Wort Gebirge an der einen oder anderen Stelle auf. Als Allegorie aber auch als geografisches Faktum.

Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen.

Klar werde ich hier pathetisch, aber selten habe ich derart gebannt eine Reihe von CDs gehört.

Im Begleitbuch finden sich Texte von Kling zum Vortrag und auch Texte von Freunden und Kollegen wie Marcel Beyer und Norbert Hummelt über Klings Vortrag, Texte vielleicht, die belegen, auf wie vielfältige Weise Kling die ihm Nachfolgenden beeinflusste.

Und noch eine Sache: Auf der letzten CD findet sich das letzte Gespräch, das Kling mit Hans Jürgen Balmes führte, und das mich stark berührte. Der Kampf des schwer kranken Kling um Stimme, um seiner Sprache die nötige Materialität zu verleihen. Wenn etwas den Namen berührendes und aufwühlendes Dokument verdient hat, dann das.



Thomas Kling: Die gebrannte Performance. 4 CDs (Laufzeit ca. 260 Minuten), Begleitbuch. Hrsg. von Ulrike Janssen, Norbert Wehr. Düsseldorf (Lilienfeld Verlag) 2015. 24,90 Euro.

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