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Sylvia Plath: Übers Wasser / Crossing the Water

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Jörg Neugebauer


Der Geist der Schwärze



Zunächst einmal kann man sich freuen, dass es diese zwischen 1961 und 1962, also in den allerletzten Jahren vor Sylvia Plaths frühem Tod entstandenen Gedichte nun auf Deutsch gibt. In einer sehr guten Übersetzung. Es sind 34 Texte, von denen die meisten sich auf zwei, manche auf drei Buchseiten erstrecken. Verse, aus denen sozusagen das Blut abgelassen wurde, das nun - in Kanister abgefüllt - nachträglich wieder hinzugefügt werden muss. Vom Leser, besser noch von einem Sprecher, der ihnen seinen Atem leiht. Auf dem Papier wirken sie zunächst wie Allegorien der Hoffnungslosigkeit. Oder auch "tonlose Sirenen", wie es im Titelgedicht "Übers Wasser" heißt. Trockenblumen.

Nicht wenige Gedichte scheinen aus konkreten Situationen heraus entstanden zu sein, auf Reisen ("An Deck"), im Krankenstand ("In Gips") oder aus der Erinnerung an früher Erlebtes ("Die Babysitterinnen"). Manchmal bildet auch ein Wort - als Laut - den Ausgangspunkt ("Witwe"). Ausgangspunkt wofür? Für dunkle Visionen, die aber nicht "ausgemalt" werden, sondern wirken wie schwarze Blitze, die nur kurz aufzucken, ohne ein Leuchten:

Witwe - die mitleidigen Bäume krümmen sich,
Die Bäume der Einsamkeit, die Bäume der Trauer,
Sie stehen wie Schatten herum in der grünen Landschaft -
Oder wie ausgeschnittene schwarze Löcher sogar.
Eine Witwe ist ihnen ähnlich, ein Schatten-Ding.


In "Die Frau des Tierpflegers" wird die Schlaflosigkeit, unter der Sylvia Plath in extremem Maß litt, zum Thema gemacht. Die eben angesprochenen "Visionen" wirken hier nicht wie Produkte dichterischer Einbildungskraft, willkommene Ausgeburten der Phantasie, sondern wie Wortdämonen aus einem Zwischenreich, in dem es sonst keine Sprache gibt:

Wenn's sein muss, kann ich die ganze Nacht wach bleiben -
Kalt wie ein Aal, ohne Augenlider.
Wie ein toter See hüllt mich die Dunkelheit ein


Dieses Lebendig-Sein-im-Zustand-der-Schlaflosigkeit erscheint als die Vorstufe zu einem dem Menschlichen ganz entzogenen Dasein, einem Nur-noch-Vorhandensein als Ansammlung teilweise schon ausgelagerter Körperorgane, in einem Krankenbett:


Zwei graue, papierene Beutel -
Das ist es, woraus ich gemacht bin, dies und das Grauen

                                                                             ("Vorahnungen")


Diese Gedichte beschwören nicht ein Grauen, wie etwa bei E.A. Poe, sie sind aus dem Grauen heraus geschrieben. Ohne sich dabei an jemanden, an einen Gott, an den Leser oder sonstwen, zu wenden, damit er dem Grauen ein Ende bereiten möge. Das Grauen ist hier kein Effekt, es ist die einzige beschreibbare Realität:


Ich bin nicht grausam, nur wahrheitsgetreu -
                                                                             ("Spiegel")


Die Welt eine Leichenhalle, auch wenn es am Anfang des jeweiligen Gedichts meist noch nicht so scheint. Jedoch - wie bei "Früher Aufbruch" - läuft es am Ende oft darauf hinaus:


Wir schliefen wie Steine. Meine Dame, was mache ich
Mit einer Lunge voll Staub und einer Zunge aus Holz,
Knietief in der Kälte und überschwemmt mit Blumen?


Was sich noch bewegt, wirkt wie lebend tot:

Die Stadt ist jetzt ein Plan vergnügten Zwitscherns,
Und überall fahren Leute, die Augen glimmersilbern und leer,
In Reihen zur Arbeit, wie frisch gehirngewaschen.

                                                                            ("Schlafloser")


Trotzdem sind diese Gedichte nicht düster, man könnte sie beinahe heiter nennen, denn es herrscht keine Stimmung der Trauer, der Wehmut oder der Klage. Kühl wird konstatiert:


Nun bietet Stille um Stille sich an.
Wie ein Verband hemmt der Wind meinen Atem.

                                                                           ("Parliament Hill Fields")


Ein Naturphänomen, ein "Element" im antiken Verständnis, wird mit etwas verglichen, das der Wundpflege dient. Wo die Welt noch nicht Leichenhalle ist, ist sie Krankenhaus, Intensivstation mit frankensteinischen Zügen.
Und doch sind diese Gedichte im ganz altmodischen Sinne "schön". Gerade weil sie ohne jede Rhetorik auskommen, sie wollen keinen zu irgendwas überreden. Sie sagen nicht zum Leser: Du musst diese Welt unerträglich finden, schattenhaft, fahl. Hier ertönt eine durchaus lebendige Stimme, eine Stimme, die weiß, dass ihre Zeit knapp bemessen ist, die fast schon von "drüben" aus spricht über das Hiesige, das sie längst nicht mehr als ihres empfindet. Aber hell und sehr klar klingt diese Stimme, selbst wenn sie von nichts als von Schwärze spricht:


Kalte Welten zittern vom Ruder.
Der Geist der Schwärze ist in uns, er ist in den Fischen.
Ein Baumstumpf hebt Abschied nehmend die blasse Hand.

                                                                           ("Übers Wasser")




Sylvia Plath: Übers Wasser / Crossing the Water. Nachgelassene Gedichte. Zweisprachig. Übers. Judith Zander. Wiesbaden (Luxbooks) 2013. 140 Seiten. 22,80 Euro.

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