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Steffen Popp: Dickicht mit Reden und Augen

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Jan Kuhlbrodt

Das Dickicht und ich

Gedanken zu Steffen Popps aktuellen Gedichtband


Zum ersten Mal las ich ihn kurz nach Erscheinen, wollte aber erst darüber schreiben, wenn meine Begeisterung verklungen ist. Ich legte das Buch beiseite und wartete ab. Nach der Bekanntgabe des diesjährigen Huchelpreisträgers nahm ich es unwillkürlich wieder zur Hand, mit der entsprechenden Skepsis. Wer vertraut schon Juryentscheidungen?!

Was ist es, das diesen Band so unwiderstehlich macht, was macht den Sog aus, der mich mit dem ersten Vers ergriff, und mich auch jetzt wieder erfasst, mein Inneres aufwühlt, gewissermaßen damit eine Formulierung herauskitzelt, die ich normalerweise unter Verschluss halte, und einige Sachen mehr mit mir anstellt.


Ich ging durch diesen Band hindurch voller erst zögernder aber dann ungebremster Begeisterung, und weil Steffen Popp eben der Huchelpreis für das Buch zugesprochen wurde, scheint es nicht nur mir so zugehen. Obwohl ich mich zuweilen von den Texten persönlich angesprochen fühlte, also ich als ich selbst und direkt, und das einer gemeinsamen Herkunft (DDR) zuzuschreiben geneigt war, denn gerade das Kapitel Narrativ spielt doch auf ein Aufwachsen in diesem vergangenen Land an. Die Gedichte dieses Teils sind denn auch im Präteritum verfasst.


ein Ballonteam: du spartest auf Helium ich auf Sand


Allein dieser Vers bringt meine damalige Gemütslage, die auch ein Bewusstseinszustand war, auf den Punkt. Und vielleicht ist es diese Ambivalenz in der Sehnsucht nach Flug oder Flucht und in der Verbundenheit mit dem Boden, die das ganze Buch durchzieht und die Nähe ausmacht auch zu denen, die entfernt von Dresden oder Chemnitz aufwuchsen.

Von Anfang an, von seinem Debüt Wie Alpen verschränkt Popp Bildwelten, die ihren Ursprung in der deutschen Romantik haben, zu lyrischen Teppichen, die im Zusammenspiel der Bilder deren Ernsthaftigkeit mit ihrer Absurdität kollidieren lassen. Und so auch in diesem Band.

Die ersten zwei Kapitel sind dabei den Urromantischen Topoi Meer und Wald gewidmet. Und natürlich steigt die Flut und dunkelt der Wald aus urbaner Sicht zu Dickicht und Getöse. Aber Wald und Dickicht blicken zurück mit Reden und Augen eben, sie zeigen uns als Projektionsmaschinen. Wir sehen, wenn wir hinter uns blicken uns selbst als Schatten, aber eben uns selbst und auch die Undurchdringlichkeit, die wir zu erkennen glauben, ist unser Produkt. Die Welt ist eben Referenz. Und in diesem referenziellen Gefüge treibt Popp sein, treiben seine Texte ihr waghalsiges Spiel. Immer kurz vor dem Absturz halten sie mich, den Leser in Atem. Und jede Begegnung in diesen Texten ist neu, aber eine Wiederbegegnung:


Beim Gehen durch diese Motive: Als Kind war ich
nicht so naiv: Aß Erde, Schnee, baute aus Käferschädeln
Häuser für Spinnen. Flog mit einem Blick durch
den Mond. Goss mit einer roten Teekanne roten Phlox.


So heißt die letzte Strophe eines Gedichts aus dem Zyklus vom Meer. Und vielleicht war es dieser Text, der mich bei der ersten Lektüre des Bandes dazu brachte, über eine Theorie der Collage nachzudenken, weil ich inzwischen vermute, dass alle Kunst collagierend verfährt. Und es ist eben die Crux dieser Texte, dass sie die Referenz nicht verbergen oder verleugnen, dass sie sich in ihrem Gemachtsein präsentieren zuweilen für kurze Momente gar roh erscheinen. Danke also, Steffen Popp, für diesen Band, für die Anregungen und herzlichen Glückwunsch zum Huchelpreis.



Steffen Popp: Dickicht mit Reden und Augen. Gedichte. Berlin (Kookbooks) 2013. 83 Seiten. 19,90 Euro.

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